einen Wink und zog die Tür hinter sich ins Schloß.
»Du verreist wirklich?« fragte er, langsam näher kommend
Gleichmütig raffte Leontine Handschuhe und Tasche vom Tisch.
»Wie du siehst!«
»Mutter, du weißt, Petra Eckhardt wird heute aus dem Krankenhaus entlassen. Hast du dich nicht anders besonnen?«
»Nein!« Unversöhnlich, feindselig sagte sie es. »Du hast von mir verlangt, ich solle die Stellung der mir verhaßten Frau im Hause klarstellen. Nun, wie du siehst, bin ich im Begriff, es zu tun – und zwar gründlich. Soll man ruhig wissen, daß es von heute ab zwei Parteien in der Familie Eckhardt gibt, daß der eigene Sohn sich gegen die Mutter stellt.«
Leidenschaftlich anklagend schleuderte sie ihm die Worte ins Gesicht.
»Mutter!« kam es entsetzt von seinen Lippen. »Wie kannst du behaupten, daß ich mich gegen dich stelle? Bis zu diesem Moment habe ich immer die Mutter, meine Mutter in dir geachtet. Was du aber jetzt tust, verstehe ich nicht mehr. Ich beuge mich nur dem Recht und lebe im Sinne meines Vaters. Deshalb bin ich aber nach wie vor dein dankbarer Sohn.«
»Haha!« Sie lachte ihm rauh ins Gesicht. »Dankbarer Sohn? Ich habe nichts von Dankbarkeit wahrnehmen können. Sag mir, daß du dich auf meine Seite stellst, daß du der Frau den Zutritt zu unserem Haus verweigerst, und ich ändere sofort meinen Entschluß.«
Mutlos, in einem inneren Zwiespalt, starrte er an dem lauernden Blick der Mutter vorbei. Nur sekundenlang währte jedoch seine Unschlüssigkeit, dann richtete er sich höher auf und sagte fest:
»Das kann ich nicht. Eine Stimme in meinem Innern sagt mir, daß die Frau meines Bruders hochanständig ist, und dieser Stimme folge ich. Die Hauptsache ist und bleibt doch, daß Vater den Frieden mit ihr und dem Kind wünschte. Ich selbst sehne mich nach einem friedlichen Zusammenleben mit ihr, denn solange ich denken kann, hat es keine Ruhe in unserer Familie gegeben. Vater und du, ihr wart wie zwei Fremde, und wir standen dazwischen. Wann wurden wir schon einmal ins Elternhaus gerufen? Von einem Internat ins andere habt ihr uns geschickt. Heute kann ich Vater verstehen. Er wollte nicht, daß wir in den Unfrieden eurer Ehe hineingerissen wurden. Aber wir haben schwer darunter gelitten. – So«, schloß er, tief aufatmend, »das mußte ich dir einmal sagen, damit du meine Beweggründe verstehst. Und nun wünsche ich dir eine gute Reise und entsprechende Erholung. Jede Summe, die du benötigst, steht dir zur Verfügung.«
Er verneigte sich leicht, wie vor einer Fremden. In seinem Innern war jedes Gefühl erstorben. Er war der ewigen Streitereien müde.
Eigenartige Gefühle beherrschten ihn, als er den Wagen der Mutter davonfahren sah.
Glitt ein Seufzer der Erleichterung von seinen Lippen? Er kam sich geradezu schlecht vor, daß er kein Bedauern empfinden konnte. Nun, da er sich alles von der Seele gesprochen hatte, was ihn seit langem beschwerte, kam er sich freier und leichter vor.
Er schüttelte sich und damit fiel auch das letzte drückende Gefühl von ihm ab. Dann ging er ans Telefon und rief Beate Eckhardt an; ordentlich vergnügt klang seine Stimme:
»Tante Beate, pack deine und Lorchens Koffer und komm auf dem schnellsten Weg zu mir, du mußt Hausfrau bei uns spielen. – Meine Mutter? Sie ist eben abgereist – ins Bad zur Erholung.«
*
Mit großen, sehnsüchtigen Augen lag Petra Eckhardt in den Kissen.
Sie warf einen ängstlichen Blick in die Richtung, wo die Schwester sich an ihrer Kleidung zu schaffen machte.
Es war dasselbe duftige weiße Gewand, das sie an jenem Tage getragen hatte, als sie die Nachricht von Josts Unglück erhielt. Jener Tag, der mit soviel heimlichem Jubel begonnen und in Schmerz und Verzweiflung geendet hatte.
Was mochte wohl Nikolaus von ihr denken, wenn sie ihm in diesem strahlenden Weiß entgegentrat?
»Sie werden sich neu einkleiden müssen«, bemerkte da die Schwester und brachte Petras Wäsche ans Bett.
»Danke«, hauchte Petra, von der schmerzlichen Erinnerung überwältigt. »Die Kleidung ist im Prinzip unwichtig, wenn nur das Herz trauert – aber Sie haben recht, ich kann nicht aus der Reihe tanzen.«
Nun saß sie im Sessel und schaute sehnsüchtig in den weiten Klinikgarten.
Sie war so sehr in Gedanken eingesponnen, daß sie erst aufschreckte, als das Klappen der Tür an ihr Ohr schlug.
Nikolaus Eckhardt war eingetreten.
Mit einer langsamen, fast feierlichen Bewegung erhob sie sich und schaute ihm, einen rätselhaften Glanz in den großen Augen, entgegen. Ihr Mund war leicht geöffnet, und die Lippen, die ihr natürliches Rot wieder zurückgewonnen hatten, bebten vor unterdrückter Erregung.
»Grüß Gott, Nikolaus«, begrüßte sie ihn.
Da fiel die Starre von Nikolaus, die wie eine Art Lähmung über ihn gekommen war.
So schön – so wunderbar schön war Petra Eckhardt! Sie war während ihrer Krankheit noch schlanker geworden und wirkte dadurch größer. Trotzdem mußte Nikolaus sich zu ihr hinabneigen, um ihr voll ins Gesicht sehen zu können.
»Fühlst du dich auch stark genug, Petra?« Besorgnis schwang in seiner Stimme, die ihm nicht recht gehorchen wollte.
Petra vermochte sich sein Anstarren nur so zu erklären, daß er Anstoß an ihrer Kleidung nahm.
Sie errötete über und über und sah verlegen an sich hinab.
»Du mußt entschuldigen, Nikolaus«, sagte sie scheu. »Ich habe wirklich nichts anderes bei mir.«
»Das habe ich noch gar nicht bemerkt«, stammelte er ehrlich und sah rasch zur Seite. Wie dumm und unbeholfen er sich benahm! Um über diese Verwirrung hinwegzukommen, reichte er ihr den Arm. »Hast du hier alles erledigt?«
Sie nickte und verließ, von Nikolaus geführt, das Krankenzimmer.
Wie ein Kind führte er die junge Frau aus dem Krankenhaus, und Petra war zumute, als stehe sie unter verläßlichem Schutz – fast so wie früher, als Jost neben ihr ging.
*
Er hatte diesmal den Chauffeur mitgebracht und saß neben der Schwägerin im Rücksitz des geräumigen Wagens.
Petra hatte die Hände im Schoß zusammengelegt und blickte aus großen, wehmütigen Augen durch die Scheibe.
Draußen flog die Landschaft vorüber.
Als sie durch die nächste große Ortschaft fuhren, ließ Nikolaus halten.
»Willst du hier die passende Kleidung auswählen?« fragte er gutmütig.
Dankbar lächelte sie ihn an.
»Du denkst doch an alles.« Sie ließ sich aus dem Wagen helfen und blickte sich ratlos um. »Willst du mich nicht doch lieber begleiten, Nikolaus? So stark fühle ich mich noch nicht, um den Weg allein zu machen.«
Petra brauchte nicht viel Zeit, um ihre Einkäufe zu erledigen. Nikolaus hatte Gelegenheit, sie dabei zu beobachten. Er bewunderte ihre ruhige, sichere und doch freundliche Art. Sie würde auch sofort den richtigen Ton für die Angestellten des Hauses finden.
Eine Stunde später bestieg sie abermals den Wagen. Nun saß sie äußerlich völlig verwandelt neben Nikolaus.
Leuchtend hob sich das Rostbraun ihres Haares von dem tiefen Schwarz ab. Die grauen, dunkelbewimperten Augen erschienen noch reizvoller.
Die Zeit verstrich. Das gedämpfte Summen des Motors machte Petra schläfrig. Sie hatte zu sehr in der Erwartung gelebt, nun machte sich eine zunehmende Müdigkeit bemerkbar
Nikolaus spürte es. Fürsorglich legte er ihr ein weiches Kissen hinter den Kopf.
»Du kannst ein wenig schlafen, Petra«, sagte er dabei freundlich, ihr blasses Gesicht mit einem besorgten Blick streifend.
»Wirklich?«