sie ihn.
»Du bist ein schlechter Menschenkenner«, sagte sie matt, als könne sie sich des Ansturms der Empfindungen, die über sie dahinfluteten, kaum erwehren. Traurig, todtraurig war ihr zumute. Sie dachte nicht einmal so sehr an Petra Eckhardt, um die es hier ging, sie dachte augenblicklich nur an sich und ihre Jugend, die sie diesem gewissenlosen Mann geopfert hatte.
Oder war er früher nicht so gewesen? Hatte ihn nur die Leidenschaft zu Petra so schlecht gemacht?
Groß, anklagend schlug sie die Augen zu ihm auf.
»Und wenn Petra Eckhardt ein völlig fremder Mensch für mich wäre, niemals gäbe ich mich zu einem so gemeinen Ränkespiel her! Und nun laß mich allein, ich weiß nicht, was sonst geschieht.«
»Regina!« Hart umspannte er ihr Handgelenk. Er begriff, daß er im Übereifer sich in ihre Hände gegeben hatte. Er hatte sich bloßgestellt, hatte seine Pläne verraten, ohne sicher mit ihrer Hilfe rechnen zu können. Die Wut darüber wollte ihn fast ersticken.
»Regina«, keuchte er, als wolle er ihr seinen Willen aufzwingen. »Du wirst mich doch jetzt, gerade jetzt nicht im Stich lassen?«
»Laß mich los, laß mich los!« Ihre Stimme erhob sich, wurde eisig und entschlossen. »Das einzige, was ich für dich in dieser schmutzigen Angelegenheit tun konnte, war… dich zu warnen.«
Mit einem Ruck befreite sie ihre Hände aus seiner Umklammerung, und ohne sich weiter um ihn zu kümmern, lief sie davon, wo sie Leonores helles Stimmchen hörte.
»Komm, Lorchen«, sagte sie zu dem fröhlich lächelnden Kind; dabei ging ihr Atem so schwer, daß die Kleine erstaunt zu ihr aufsah. »Komm, wir gehen ins Haus.«
*
Jedes Wort, das zwischen Beate Eckhardt, dem Arzt und Nikolaus gewechselt worden war, hatte Petra vernommen. Sie hatte jedoch keine Kraft gehabt, die Augen aufzuschlagen oder irgendeine Frage zu stellen. Sie hörte jetzt, wie die Tür ins Schloß fiel und Schritte sich verloren.
Man hatte sie allein gelassen.
Wie gut das war! Nun konnte sie wieder Klarheit in ihre Gedanken bringen, die sich durch die Ereignisse der letzten Stunde völlig verwirrt hatten.
Sie schämte sich, daß sie die Menschen, die so gut zu ihr waren, in neue Aufregung gestürzt hatte. Warum hatte sie sich nicht besser in der Gewalt? Sie war doch nicht krank? Nein, der Arzt hatte Tante Beate und Nikolaus jede Besorgnis genommen.
Nur matt fühlte sie sich, sterbensmatt. Aber das würde sich wieder geben…
Nikolaus!
Sie wußte selbst nicht, wie weich und gut das Lächeln war, das sich über ihr blasses Gesicht breitete.
Nikolaus wollte für sie sogar seine Freiheit opfern!
Das war natürlich völlig ausgeschlossen. Dieses Opfer konnte sie nicht annehmen. Aber er würde sie solange bedrängen, bis sie nachgab.
Das durfte nicht geschehen. Wie kam er dazu, auf alles zu verzichten, nur um ihr das Leben zu erleichtern?
Nein, das durfte nicht geschehen!
Ein anderer Ausweg?
Es gab nur einen: Fortgehen! Zurückgehen in die Welt, aus der sie gekommen war, um Nikolaus’ Frieden nicht zu stören.
Sie glitt von ihrem Lager, lief ans Fenster und sog in tiefen Atemzügen die herbe Luft ein.
Stimmen, ganz in der Nähe, ließen sie zusammenzucken.
Mein Gott! Diese Männerstimme kannte sie doch? Unmöglich… ganz unmöglich! Ein Spuk narrte sie!
Sie beugte sich hinaus, soweit sie es vermochte und fuhr entsetzt wieder zurück.
Detlef Sprenger!
Mit angehaltenem Atem, mit den Händen das Fensterkreuz umklammernd, lauschte sie.
Mit einer Frau stritt Sprenger – ihretwegen? Wer war die Frau? Sie kannte diese dunkle, wohllautende Stimme doch?
Regina Reuter! Das neue Kindermädchen? Die junge Frau, der sie ihr Kind anvertraut hatte, gehörte zu Sprengers Bekannten?
Gütiger Himmel! War sie von Verrätern umgeben? Von Aufpassern?
Aber nein! Die Frau sprang hart mit Sprenger um. Sie kämpfte förmlich mit ihm, bedrohte ihn – und er…?
Eisige Schauer fegten über Petras Rücken. Er wollte sie, Petra, in seine Gewalt bekommen. Und Regina Reuter sollte ihm dabei helfen?
Wie gemein. Wie verabscheuungswürdig!
Immer leidenschaftlicher wurden die Stimmen. Vor Petras Ohr setzte ein mächtiges Rauschen ein. Sie taumelte zurück ins Zimmer und ließ sich matt auf dem Bettrand nieder.
Fröstelnd strich sie sich über die Arme
Wann hörte das einmal auf? Wann kam endlich die Ruhe, die sie so heiß ersehnte?
Draußen war nach dem leidenschaftlichen Wortwechsel Ruhe eingetreten. Wie hatte die Unterredung geendet?
Vielleicht hatte er die Frau betört? Vielleicht war sie sein Werkzeug geworden?
Fort! Nur fort!
Dem Mann wie der Frau entfliehen! Das war ihr einziger Gedanke.
*
Regina hatte gemeinsam mit Lorchen die Mahlzeit eingenommen und dann zu Bett gebracht.
Nur ein paar Minuten plapperte Leonore noch, dann drehte sie sich zur Seite und schlief ein.
Lange sah Regina auf das friedlich schlummernde Kind herab.
Sie sorgte sich um Petra Eckhardt, sorgte sich um die Zukunft des Kindes, das sie liebgewonnen hatte.
Wo war Sprenger geblieben? Ob sie zu Nikolaus Eckhardt ging und ihm alles erzählte?
Vielleicht gerieten die beiden Männer dann aber aneinander und es geschah ein Unglück? Nikolaus Eckhardt sah ganz so aus, als ließe er nicht mit sich spaßen, zumal es schließlich um das Ansehen des Hauses ging.
Sie mußte schnell feststellen, ob Sprenger das Grundstück verlassen hatte. Wenn er nun tatsächlich bei Petra Eckhardt eingedrungen war?
Oh – alles Schlechte, jede Gewalttat traute sie ihm zu.
Von Angst getrieben, eilte sie zurück in den Park und lief Sprenger direkt in die Hände.
»Regina«, sagte er fast demütig. »Nur um eines bitte ich dich: Vermittle mir eine Unterredung mit Petra, ich verspreche dir, nichts zu unternehmen. Weist sie mich ab, so will ich mich damit zufriedengeben.«
Regina hatte sich schnell gefaßt und sah forschend zu ihm auf. Scheu wich sein Blick zur Seite.
Er lügt, er will mich in eine Falle locken, dachte sie, straffte sich und griff bedenkenlos zu einer Lüge.
»Petra Eckhardt ist nicht hier, nicht im Hause. Nur das Kind ist da.«
»Das ist nicht wahr!« rief er leise, betroffen.
Regina hatte sich in der Gewalt.
»Doch, es ist wahr, sie ist in ihrer Wohnung.«
So, nun konnte er sie suchen, er würde sie nicht finden, dachte sie, und ihr war, als falle eine schwere Last von ihrer Seele.
»Nicht hier…?« überlegte Sprenger, dann blitzte es in seinen Augen auf. Er mußte ihr wohl glauben.
»Es ist gut, Regina, ich danke dir. Ich will es versuchen, ein letztes Mal versuchen, dann – dann will ich mich zufriedengeben.«
Grußlos ging er davon, wie ein Traumwandler. Mitleidlos sah sie hinter ihm her.
Auch sie sah ihren Weg vor sich: Sie würde Dr. Wendler aufsuchen, sich ihm anvertrauen und ihm Sprengers Plan enthüllen. So half sie allen Beteiligten.
So schnell sie konnte, eilte sie