Novalis

Die wichtigsten Werke von Novalis


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die Taube Gesellschafterin und Liebling des Adlers wird, so ist die goldne Zeit in der Nähe oder gar schon da, wenn auch noch nicht öffentlich anerkannt und allgemein verbreitet.

      Wer den ewigen Frieden jetzt sehn und lieb gewinnen will, der reise nach Berlin und sehe die Königin. Dort kann sich jeder anschaulich überzeugen, daß der ewige Friede herzliche Rechtlichkeit über alles liebt, und nur durch diese sich auf ewig fesseln läßt. Was ich mir vor allen wünschte? das will ich euch sagen: eine geistvolle Darstellung der Kinder- und Jugendjahre der Königin. Gewiß im eigentlichsten Sinn, weibliche Lehrjahre. Vielleicht nichts anders, als Nataliens Lehrjahre. Mir kommt Natalie, wie das zufällige Porträt der Königin vor. Ideale müssen sich gleichen.

      Novalis.

      III. Politische Aphorismen

       Inhaltsverzeichnis

      

      Der Grund aller Verkehrtheit in Gesinnungen und Meinungen ist – Verwechselung des Zwecks mit dem Mittel.

      Genau haben die meisten Revolutionisten gewiß nicht gewußt, was sie wollten – Form, oder Unform.

      Revolutionen beweisen eher gegen die wahre Energie einer Nation. Es gibt eine Energie aus Kränklichkeit und Schwäche – die gewaltsamer wirkt, als die wahre – aber leider mit noch tieferer Schwäche aufhört.

      Wenn man von einer Nation urteilt, so beurteilt man meistens nur den vorzüglich sichtbaren, den frappanten Teil der Nation.

      Kein Argument ist der alten Regierung nachteiliger, als dasjenige, was man aus der disproportionellen Stärke der Glieder des Staats, die in einer Revolution zum Vorschein kommt, ziehen kann. Seine Verwaltung muß höchst fehlerhaft gewesen sein, daß viele Teile fehlerhaft werden konnten und eine so hartnäckige Schwäche überall einwurzelte.

      Je schwächer ein Teil ist, desto mehr zu Unordnungen und Entzündungen geneigt.

      Was sind Sklaven? Völlig geschwächte, komprimierte Menschen. Was sind Sultane? Durch heftige Reizungen inzitierte Sklaven. Wie endigen Sultane und Sklaven? – Gewaltsam. Jene leicht als Sklaven, diese leicht als Sultane, d.h. phrenitisch, hirnwütig. Wie können Sklaven kuriert werden? Durch sehr behutsame Freilassungen und Aufklärungen. Man muß sie wie Erfrorne behandeln. Sultane? Auf die Art, wie Dionysius und Krösus kuriert wurden. Mit Schrecken, Fasten und Klosterzwang angefangen und allmählich mit Stärkungsmitteln gestiegen. Sultane und Sklaven sind das Extrem. Es gibt noch viel Mittelklassen bis zum König und dem echten Zyniker – der Klasse der vollkommensten Gesundheit. Terroristen und Hofschranzen gehören so ziemlich in die nächste Klasse nach Sultanen und Sklaven – und gehen so ineinander über, wie diese. Beides sind die Repräsentanten der beiden Krankheitsformen einer sehr schwachen Konstitution.

      Die gesundeste Konstitution unter einem Maximum von Reizen repräsentiert der König, – dieselbe unter einem Minimum von Reizen – der echte Zyniker. Je gleicher beide sind, je leichter und unveränderter sie ihre Rollen verwechseln könnten, desto mehr nähert sich ihre Konstitution dem Ideal der vollkommenen Konstitution. Je unabhängiger also der König von seinem Thron lebt, desto mehr ist er König.

      Alle Reize sind relativ – sind Größen – bis auf Einen, der ist absolut – und mehr als Größe.

      Die vollkommenste Konstitution entsteht durch Inzitation und absolute Verbindung mit diesem Reize. Durch ihn kann sie alle übrige entbehren – denn er wirkt anfänglich stärker im Verhältnis, daß die relativen Reize abnehmen, und umgekehrt. Hat er sie aber einmal ganz durchdrungen, so wird sie völlig indifferent gegen die relativen Reize. Dieser Reiz ist – absolute Liebe.

      Ein Zyniker und ein König ohne sie, sind nur Titulaturen.

      Jede Verbesserung unvollkommener Konstitutionen läuft darauf hinaus, daß man sie der Liebe fähiger macht.

      Der beste Staat besteht aus Indifferentisten dieser Art.

      In unvollkommenen Staaten sind sie auch die besten Staatsbürger. Sie nehmen an allem Guten Teil, lachen über die Alfanzereien ihrer Zeitgenossen im Stillen, und enthalten sich von allem Übel. Sie ändern nicht, weil sie wissen, daß jede Änderung der Art und unter diesen Umständen nur ein neuer Irrtum ist, und das Beste nicht von außen kommen kann. Sie lassen alles in seinen Würden, und so wie sie keinen genieren – so geniert auch sie keiner, und sind überall willkommen.

      Der jetzige Streit über die Regierungsformen ist ein Streit über den Vorzug des reifen Alters, oder der blühenden Jugend.

      Republik ist das Fluidum deferens der Jugend. Wo junge Leute sind, ist Republik.

       Mit der Verheiratung ändert sich das System. Der Verheiratete verlangt Ordnung, Sicherheit, und Ruhe – er wünscht, als Familie, in Einer Familie zu leben – in einem regelmäßigen Hauswesen – er sucht eine echte Monarchie.

      Ein Fürst ohne Familiengeist ist kein Monarch.

      Aber wozu ein einziger, unbeschränkter Hausvater? Welcher Willkür ist man da nicht ausgesetzt?

      In allen relativen Verhältnissen ist das Individuum einmal für allemal der Willkür ausgesetzt – und wenn ich in eine Wüste ginge – ist da nicht mein wesentliches Interesse der Willkür meiner Individualität noch ausgesetzt? Das Individuum, als solches, steht seiner Natur nach unter dem Zufall. In der vollkommenen Demokratie steh ich unter sehr vielen, in repräsentativer Demokratie unter Wenigern, in der Monarchie unter Einem willkürlichen Schicksale.

      Aber fordert nicht die Vernunft, daß Jeder sein eigener Gesetzgeber sei? Nur seinen eigenen Gesetzen soll der Mensch gehorchen.

      Wenn Solon und Lycurg wahre, allgemeine Gesetze, Gesetze der Menschheit gegeben haben, – woher nahmen sie dieselben? – Hoffentlich aus dem Gefühl ihrer Menschheit und seiner Beobachtung. Wenn ich ein Mensch bin, wie sie, woher nehme ich meine Gesetze? Doch wohl aus derselben Quelle – und bin ich, wenn ich dann nach Solons und Lycurgs Gesetzen lebe, der Vernunft untreu? Jedes wahre Gesetz ist mein Gesetz – sagen und aufstellen mag es, wer es will. Dieses Sagen und Aufstellen aber, oder die Beobachtung des ursprünglichen Gefühls und ihre Darstellung muß doch nicht so leicht sein, – sonst würden wir ja keiner besondern geschriebenen Gesetze bedürfen? Es muß also wohl eine Kunst sein? So auch das Gesetz anzuwenden, scheint in der Tat eine langwierige Übung und Schärfung der Urteilskraft vorauszusetzen. Wodurch entstanden Stände und Zünfte? – aus Mangel an Zeit und Kräften des Einzelnen. Jeder Mensch konnte bisher nicht alle Künste und Wissenschaften lernen und zugleich treiben – sich nicht alles in Allem sein. Die Arbeiten und Künste wurden verteilt. Nicht auch die Regierungskunst? Der allgemeinen Forderung der Vernunft zufolge sollten auch alle Menschen Ärzte, Dichter, und so fort, sein. Bei den übrigen Künsten ist es übrigens schon größtenteils hergebracht, daß sich da die Menschen darüber bescheiden – nur Regierungskunst und Philosophie – dazu glaubt jeder gehöre nur Dreistigkeit, und jeder vermißt sich, als Kenner, davon zu sprechen, und Prätentionen auf ihre Praxis und Virtuosität zu machen.

      Aber die Vortrefflichkeit der repräsentativen Demokratie ist doch unleugbar. Ein natürlicher, musterhafter Mensch ist ein Dichtertraum. Mithin, was bleibt übrig – Komposition eines künstlichen. Die vortrefflichsten Menschen der Nation ergänzen einander. – In dieser Gesellschaft entzündet sich ein reiner Geist der Gesellschaft. Ihre Dekrete sind seine Emanationen – und der idealische Regent ist realisiert.

      Zuerst zieh ich die vortrefflichsten Menschen der Nation und die Entzündung des reinen Geistes in Zweifel. Auf die sehr widersprechende Erfahrung will ich mich nicht einmal berufen. Es liegt am Tage, daß sich aus toten Stoffen kein lebendiger Körper – aus ungerechten, eigennützigen und einseitigen Menschen kein gerechter, uneigennütziger und liberaler Mensch zusammensetzen läßt. Freilich ist das eher ein Irrtum einer einseitigen Majorität, und es wird noch lange Zeit vergehn, eh man sich von dieser simpeln Wahrheit allgemein überzeugen wird.