Heinrich Zschokke

Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke


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werth. Habet ihr die Weisheit, so werdet ihr das Gold haben und es nicht mehr hochachten. Aber ihr kommet nicht zu dem Glücke, ohne vorher geprüft worden zu sein. Und die Zeit der Prüfung währt sieben Jahre und sieben Wochen. Wer ausharrt bis ans Ende, wird Freuden über Freuden ärnten. Wahrlich, ich sage euch, wenn diese Zeit erfüllt ist, wird Jeder von euch mehr Gold auf seinen Tisch werfen, als eure Augen hier sehen. – Die Prüfung aber ist dem Gottlosen schwer und dem Sünder hart. Denn er muß sein ganzes Herz umkehren und ein neuer Mensch werden.«

      Die zweiunddreißig Hausväter hörten in banger Stille die Worte Oswalds. Sie betrachteten ihn alle mit starren Augen.

      »Wer von euch,« sprach Oswald, »die sieben Jahre und sieben Wochen der Prüfung bestehen will, kann bleiben. Wer sich fürchtet oder im Glauben wankt, gehe fort von hier.«

      Keiner ging.

      »Wohlan,« rief Oswald, »so müsset ihr mir vor dem allgegenwärtigen Gott sieben Gelübde geloben, und solche während sieben Jahren getreu halten.«

      Erstens: Ihr müsset sieben Jahre und sieben Wochen lang alle Wirthshäuser meiden, aber desto fleißiger zur Kirche gehen und Gottes Wort hören, und darnach thun.

      Zweitens: Sieben Jahre und sieben Wochen lang keine Karten, keine Würfel berühren, und nichts, womit man um Geld spielt.

      Drittens: Sieben Jahre und sieben Wochen darf kein Fluch, kein Scheltwort aus euerm Munde gehen, auch keine Bosheit, Lästerung und unwahre Rede.

      Viertens: Sieben Jahre und sieben Wochen muß euer Tagwerk Gebet und Arbeit sein. Morgens und Abends sollt ihr feierlich mit Weib und Kindern auf die Knie fallen, zu Gott beten, eure Sünden bereuen. Euere Arbeit sollt ihr mit Fleiß und Treue verrichten, keine Schulden mehr machen.

      Fünftens: Wer binnen sieben Jahren und sieben Wochen sich mit Wein und Branntwein ein einziges Mal berauscht und vergeht, ist aus unserer Gemeinschaft verstoßen.

      Sechstens: Auf dem Acker, welchen ihr bauet, soll kein Unkraut wachsen, in euern Wohnungen kein Unflath liegen. Euere Hütten und die Ställe des Viehes und alles Geräthe, was ihr habet, soll von Reinlichkeit glänzen. Daran werde ich euch erkennen.

      Siebentens: Euer Leib soll sein ein Tempel Gottes, darum keusch, züchtig und ehrbar; auch von aller Unreinigkeit frei an Haut und Haar und Gewand. So auch bei Kindern. Das soll unser Zeichen sein.

      »Wer nun die sieben Gelübde geloben und halten will, der trete hervor und reiche mir die Hand zum Bunde. Dem Schwachen wollen wir helfen.«

      Als Oswald so gesprochen hatte, traten die Zweiunddreißig einer nach dem andern hervor, jeder reichte dem Oswald die Hand über den Tisch voller Gold, und sprach: »Ich will!«

      »So gehet denn heim in Frieden und wendet euch noch vor Schlafengehen im Gebet zu Gott, daß er euch Stärke verleihe, das Gelübde zu halten. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wenn die Zeit erfüllt ist, wird Jeder mehr Gold auf seinen Tisch werfen, als eure Augen hier sehen.« So sprach Oswald, und ermahnte die Leute, von Allem, was sie diese Nacht gesehen und gehört hätten, keinem Menschenkinde etwas zu verrathen, ja sogar selbst nie von dem zu reden, noch auf das zu deuten, was diese Nacht angehe.

      Damit entfernten sich die Zweiunddreißig in großer Stille. Unterwegs sprach Keiner mit dem Andern ein Wort. So voll waren sie von allen dem Wunderbaren, das sie vernommen hatten. Sie hatten ganz andere Dinge erwartet zu erleben, und gerade das Gegentheil erfahren. Mancher, wenn er an die Gelübde dachte, fühlte zwar Bangigkeit, denn sie waren auch gar zu streng. Aber das Geheimnißvolle, und die sieben Jahre und sieben Wochen, und die Reden des Oswald, und der Tisch voll Goldes, und der prächtige Offizier mit dem Orden auf der Brust und die schwarze Mitternachtsstunde, das konnte Keiner wieder vergessen, und es war wie ein seltsamer Traum.

      14.

       Die Leute verwundern sich sehr.

       Inhaltsverzeichnis

      »Was gibt's denn, Velten? Kaspar, was gibt's denn?« fragte der alte lahme Wächter, als er am andern Tage durchs Dorf entlang ging: »Was gibt's denn? Kommt wieder ein Prinz oder Kaiser, oder gar ein Bürgermeister aus der Stadt? Was ist denn los, daß ihr so aufputzet?« So fragte er, und man lachte.

      Es fiel aber wirklich vielen Menschen auf, und war in vielen Häusern ein sonderbares Leben. Da wurden Fenster gewaschen, Fußboden gescheuert, Thüren gesäubert, Tische, Schemel und Bänke gefegt. Sogar vor den Häusern wurde Alles in Ordnung gebracht, Schutt und Unflath auf die Seite geschafft, und allem, was herum lag, ein besserer Ort gegeben. Die zweiunddreißig Hausväter wußten es wohl, sagten aber nichts. Denn sie dachten: in sieben Jahren haben wir alle Kisten und Kasten voll Geld.

      Als Oswald die Geschäftigkeit der armen Leute sah, sprach er zu Elsbeth: »Ich weiß nicht, ob ich darüber traurig werden oder lachen soll. Denn siehe, was die Leute nicht aus eigenem Gefühl, nicht aus Liebe zu Weib und Kind, nicht aus Liebe zu Gott, nicht aus Noth und Ueberzeugung früher gethan haben, das thun sie jetzt aus abergläubischer Furcht und Hoffnung. Wie thöricht sind doch die Menschenkinder! – Aber sie sollen durch den Aberglauben zur Erkenntniß der Wahrheit, und durch ihre Verderbtheit zur Rechtschaffenheit eingehen.«

      Die Verwunderung im Dorfe ward aber von Woche zu Woche größer. Denn die Wirthshäuser wurden fast leer. Sonntags hörte man auf der Kegelbahn weder Kegel, noch Flüche, noch Gelächter. Kartenspiel und Würfel rührte fast Keiner mehr an. Den Wirten ward im Keller das Bier sauer, weil es Keiner mehr trank. Von Wein und Branntwein hatten sie nur einen geringen Absatz. Die meisten Leute blieben daheim bei Frau und Kindern, oder gingen auf die Felder und besahen ihre wenigen Aecker und beriethen, was in der Woche daran zu machen und zu bessern sei. Die, welche vormals zu den lustigen Brüdern gehörten, thaten jetzt gar ernsthaft und altklug; die, welche sonst ein wüstes Leben führten, waren in der Kirche sehr andächtig. Die, welche sonst gern herumlagerten und müßig gingen, waren jetzt vom Morgen bis zum Abend an der Arbeit, im Taglohn oder auf ihren Feldern.

      Der Adlerwirth, wenn er Sonntags seine leeren Bänke und Tische beschaute, brach vor Wehmuth fast in Thränen aus. »Sind denn die Leute alle verrückt geworden im Kopf?« schrie er. »Was für ein Kukuk ist ihnen in den Leib gefahren. Das kann so nicht gehen. Dabei kann kein Ehrenmann länger bestehen. Es muß im Dorfe andere Ordnung werden. Das ist schändliche Ordnung.«

      Der Gemeindsvorsteher Brenzel sagte: »Wenn das Unwesen so fortgeht, muß ich die Wirtschaft aufgeben. Aber ich merk' es wohl, das ist ein infames Komplott gegen mich. Man will mich zu Grunde richten. Aber ehe das geschieht, soll das Dorf zu Grunde gehen. Wenn ich nur dahinter kommen könnte, wer diese Teufelei angerichtet hat.

      Sogar dem Herrn Pfarrer war die Sache aufgefallen. Er rechnete nach und fand, daß die Aenderung so vieler Menschen angefangen hatte seit dem Sonntag, da er eine sehr lange Predigt über die christliche Wiedergeburt durch den Glauben gehalten hatte. Er meinte, damit habe er Alles ausgerichtet, und sagte es auch. Nun aber verfolgten ihn seit einiger Zeit die Gemeindsvorsteher, wo sie konnten, und die Wirthe spielten ihm allerlei böse Streiche hinterrücks, und gingen fast gar nicht mehr zur Kirche.

      Der Adlerwirth, um sein saures Bier anzubringen, verkaufte es um halben Preis; er schwefelte seinen Wein, und machte ihn süß, und bezahlte alle Sonntage Spielleute, die mußten lustig aufspielen. Aber von den zweiunddreißig Hausvätern, ihren Söhnen und Töchtern kam Niemand.

      Der Löwenwirth suchte gleichfalls seine Kunden wieder an sich zu locken, that freundlich, schenkte Manchem umsonst ein und fragte: »Warum kommst du gar nicht mehr trinken?« Sie antworteten: »Wir haben kein Geld!« – Dann rief er: »Ei, Dummheit! Ihr wisset ja, ich bin nicht so streng, und borge schon. Ihr seid mir lange gut genug.« – Aber die Leute kamen doch nicht.

      Da gerieth der grimmige Löwe in Wuth und sprach: »Wenn ihr mir' s so macht, will ich euch die Faust auch zeigen. Ihr sollt an den Löwenwirth Brenzel glauben lernen!«

      15.