Robert Musil

Gesammelte Werke


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sehe daran, von welcher Art die Genüsse unserer Zeit sind: während das schwarzverbundene Auge das freie unterstützt und bildhaft geheimnisvoll macht – man sucht geradezu das andere Auge –, schlägt das «bewaffnete» Auge seinen Zwilling aus dem Feld; ich erinnere mich in der Tat bei keinem einzigen unserer monokeltragenden Bekannten an die Farbe seiner Augen, und so soll es wahrscheinlich auch ihrer Meinung nach sein: blendend, blitzend, spießend, aber nicht gespießt werden dürfend, sie haben aus einem geistigen Reiz eine lächerliche Einschüchterungstechnik gemacht. Die Augenfarbe meines Unbekannten hatte ich dagegen bald festgestellt. Wenn es wahr ist, daß auf einen groben Klotz ein grober Keil gehört, so muß, nach der «Schneidigkeit» des Keils zu urteilen, unsere Frauenphantasie heute wirklich prima deutsche Eiche sein.

      Das gesunde Auge meines Unbekannten lag halb im Schatten seines herabhängenden Pelzes. Mit einer ganz kleinen Bewegung kam es hervor, wenn es mich betrachten wollte, was oft genug geschah, aber sobald ich aufsah, verschwand es geschickt, und das schwarze Oval des Verbandes fing den Blick wie ein Schild auf, während der entschlüpfte Gegner unsichtbar aus dem Dschungel des Pelzwerks zielte. Das ist auf nicht zu langen Eisenbahnfahrten ein ganz lustiges Spiel. Wir blieben beide, wie sich’s gehört, völlig ernst dabei. Ich weiß natürlich genau, wie ich aussehe. Nicht mehr ganz jung, wie Du zugeben wirst. Das Kinn war energisch und der Hals gerade, heute hängt ein leichter Vorhang von Fett über beiden wie ein weiches, angeschmiegtes Tuch. Manchmal im Spiegel hat das für mich den Reiz schwerer Winterkleider oder überhaupt langer und hochgeschlossener Kleider, unter denen der Körper nur noch in schwächster und wie alle Unbestimmtheit erregender Andeutung zu fühlen ist; ich liebe es dann auch, daß meine Hüften im Verhältnis zu meiner Größe schon die äußerste noch schöne Breite erreicht haben, daß die Spindelform der Schenkel so hochgewickelt ist, daß wir bald, aber jetzt gerade noch nicht ausgesponnen haben werden, und daß man nicht mehr wie einst, aufrecht stehend in den zarten Einschnitt zwischen Brust und Bauch einen Seidenfaden legen könnte, ohne daß er herunterfiele. Ich denke mir, so könnte einem Akrobaten auf dem Turmseil in der tiefsten, schwankendsten Mitte zumute sein; von hier ab geht dann jeder Schritt wieder ins Ruhigere und Befestigte. Aber ich vermag mir vorzustellen, daß ein zwanzig Jahre junger Mann vor mir schaudern könnte wie weiland Joseph, wenn ich mich vergessen würde, an ihm zu handeln wie Potiphar. Auch meine brünette Haut müßte dazu beitragen, die an der Stelle, wo der Hals der Brust aufsitzt, bräunlich zu werden beginnt und den blonden Puder nicht mehr trägt, den meine «aufgehellten» Haare verlangen. Aber die Augen liegen noch dunkel in ihren Räucherpfannen, und neben ihnen steht die blonde Nase mit allem Reiz der Umkehrung, die sich ihnen zuliebe adelig abwärts beugen müßte, aber statt dessen sich eins in die Luft schwuppt. Nicht deshalb, weil ich mir über die Freundschaft keine Illusionen mache, schildere ich Dir das so sachlich, sondern weil ich überzeugt bin, daß es nichts Böses gibt; man darf bloß zwei Fehler nicht begehen, weder es nicht bemerken, noch blind vor Abscheu werden, dann entsteht schon noch etwas Gutes daraus. Mein Mann muß längst jede Einzelheit meines Körpers gesehen haben und er liebt mich trotzdem, er liebt mich so, wie ich bin: das macht ihn mir zu Zeiten fast unerträglich, denn es nimmt mir alle Kraft, ich möchte sagen, alles Phantasieren aus dem Körper; ich bin dann wie ein ausgelesenes Buch, das man für sehr schön erklärt, denn daß ein Buch schön ist, ist auch kein Ersatz dafür, daß es ausgelesen ist.

      Dabei fällt mir ein, daß ich Dir noch eine Frage beantworten muß: Es ist mir natürlich ganz gleichgültig, was ich lese. Die ersten fünfzig Seiten brauche ich vielleicht, um mich hineinzufinden, und da bin ich auch noch empfindlich gegen die größere oder geringere Geschicklichkeit des Autors, aber dann glühe ich bloß vor Begeisterung darüber, daß ich noch dreihundert unbekannte Seiten vor mir habe oder noch drei, denn das ist mir ganz egal, solange ich nur überhaupt noch eine Seite vor mir sehe. Das Buch braucht auch nicht spannend zu sein; Regentropfen, die aufs Fensterblech trommeln, sind weniger belehrend, aber viel suggestiver als Beethoven. Im übrigen will ich mich damit aber gar nicht als Vorbild aufspielen, und wenn ich auf der letzten Seite bin, halte ich jeden Schriftsteller für einen Betrüger. Auch am Mann ist das Wichtigste, daß er uns in erhöhtem Maß möglich sein läßt, solang’ er uns nicht satt hat. Denn ich bin überzeugt, obgleich Du mich nicht verraten darfst, denn ich kann es nicht beweisen, daß z. B. Napoleon in jüngeren Jahren sicher sehr enttäuscht gewesen wäre, wenn man ihm vorausgesagt hätte, daß er einmal Kaiser der Franzosen sein werde und nicht auch Kaiser der Welt, Papst, der erste Mensch, der fliegen kann usw., ja daß sein Niedergang mit der ersten Minute der Selbstzufriedenheit begann. Wie haben wir es in der Naturgeschichtsstunde gelernt? Die Natur verschwendet Millionen Keime, damit einer sein Ziel erreicht! Also ist die Monogamie eine geminderte Form der Unzucht wider die Natur.

      Ein Mensch, der nur mit einem Auge schaut, hat einen langen Blick, er geht wie eine Fingerspitze über das Gesicht und den Körper hin. Ich fühlte geradezu die Neugierde – nicht mich berühren, das wäre eine Indiskretion gewesen, die sich der aufs beste erzogene Fremde nicht erlaubte, aber mich vorsichtig auskundschaften. Bald war er da, bald war er dort; manchmal war seine Diskretion auch unerhört indiskret; das Hübsche war, daß man die geistige Leistung dahinter fühlte. Ich öffnete oder schloß den Pelz und den seidenen Schal, zeigte Teile, stützte den Arm auf oder ließ ihn in den Schoß weisen; ich bilde mir ein, daß ich den Fremden sehr bemühte, der aus Umrissen und Einzelheiten ein Bild des Ganzen gewinnen wollte. Und ich kann nur sagen, er erfand mich dabei in der begabtesten Weise, während wir beide den endgültigen Sinn nicht voraus wußten. Erinnerst Du Dich, bei Nietzsche gelesen zu haben: ‹Alles Gute macht mich fruchtbar, das ist die einzige Form der Dankbarkeit, die ich kenne›? Das ist ein wunderbarer Satz für Frauen, die keine Kinder haben wollen.

      Von Zeit zu Zeit fragte mich ‹Manni›, ob er mir ein anderes Buch reichen dürfe oder etwas Konfekt oder ein Fläschchen mit irgendwas: ein Abgrund lag zwischen uns, auf dessen anderer Seite ich mich mit dem Fremden befand. Aber siehe, wir näherten uns dem Ziel, und die Nervosität der Ankunft kam über meinen Gatten, der alle Köfferchen auf-und zuklappte, einlegte, herausnahm, umlegte usw., die Vororte flogen vorbei, und nun kommt das, weswegen ich Dir heute überhaupt schreibe. Ich dachte mir plötzlich, was wohl das Auge des Fremden zu all den Eröffnungen sagen werde, die ihm mein Gatte in der naivsten und taktlosesten Weise bereitete? Aber wie ich aufsah, erkannte ich, daß dieses Auge gar nicht mehr zu uns gerichtet war, sondern in der sorgenvollsten Weise zwischen den eigenen Gepäckstücken seines Herrn hin und her flog. Und da bemerkte ich erst, daß auch ich selbst schon längst mit nichts anderem beschäftigt war, als meinem kleinen goldenen Taschenspiegelchen, Puderquästchen und der ganzen übrigen Katzentoilette, die uns schon ganz unbewußt ist; ich hatte tatsächlich den Fremden völlig vergessen.

      Und das ist nun eigentlich wirklich ein sonderbarer Schluß. Niemand erwartete mich, und ich putzte mich für niemand, während der Konkrete, der Wirkliche mir gegenüber, der die Hand schon an der Klinke gehabt hatte, mich dabei nur unbedeutend finden konnte. Oder ich habe die Pfanne mit der Taube auf dem Herd anbrennen lassen, weil Spatzen auf den Dächern sitzen, ja nicht einmal deshalb, sondern wegen eines allgemeinen Spatzen, der in seiner Allgemeinheit nur eine Fiktion ist. Ich habe wirklich darüber nachdenken müssen. Dabei fiel mir ein altes, aber sehr passendes Beispiel ein; es ist nämlich ganz ähnlich wie das Spiel mit der Rüstungsindustrie bei den Männern, die geschieht auch für keinen im Bestimmten geplanten Krieg, sondern nur so im allgemeinen; höchstens stößt ein Unglück gelegentlich hinzu. Es sind die Männer uns viel ähnlicher, als wir glauben.

      Unsere Männer (später: Zweiter Brief Susannens)

[5. Februar 1925]

      Meine Liebe! Ich finde, unsre Männer haben sich in heillose Ideen verrannt, und es hat mir in den letzten Jahren nie Vergnügen bereitet, zu fragen, wie sie sich die eigentlich denken. Sie sind völlig unfähig, ihr Leben mit diesen Ideen zu beherrschen und haben eine große Angst vor ihnen, welche sie Verehrung nennen. Eigentlich ist es so: Wenn ich meine Kammerzofe dabei erwische, daß sie sich von meinem Freund hat küssen lassen, ist mein Mann wütend und weiß nicht, ob er sofort die Zofe entlassen oder meinem Freund das Haus verbieten soll, wegen «Untergrabung der Autorität», «taktloser Außerachtlassung der Herrschaft» und einem guten Dutzend anderer Gründe. Er bekommt einen angestrengten Kopf, wenn er sich ausdenkt, wieviel schuldige Rücksichten ein solches Benehmen verletzt hat; und wenn ich schließlich sage: «Weißt du, Manni, das gescheiteste ist,