und jetzt, da dieser doch wohl schon schlief, lag erst recht ein grausamer Kitzel darin, den Schlafenden wie eine Beute zu überfallen.
Törleß spürte schon die Bewegungen des Sichaufrichtens und aus dem Bette Steigens in allen Muskeln zucken. Trotzdem vermochte er aber noch nicht, seine Reglosigkeit abzuschütteln.
«Was soll ich denn eigentlich bei ihm?» fragte er sich in seiner Angst fast laut. Und er mußte sich gestehen, daß die Grausamkeit und Sinnlichkeit in ihm gar kein rechtes Ziel hatte. Er wäre in Verlegenheit gekommen, wenn er sich wirklich auf Basini gestürzt hätte. Er wollte ihn doch nicht prügeln? Gott bewahre! Und in welcher Weise sollte sich denn seine sinnliche Erregung an ihm befriedigen? Er empfand unwillkürlich einen Abscheu, als er an die verschiedenen kleinen Knabenlaster dachte. Sich vor einem anderen Menschen so bloßstellen? Nie! …
In dem Maße aber, als dieser Abscheu wuchs, wurde auch der Antrieb stärker, zu Basini hinüberzugehen. Schließlich war Törleß ganz von der Unsinnigkeit eines solchen Unterfangens durchdrungen, aber ein förmlich physischer Zwang schien ihn wie an einem Seile aus dem Bette zu ziehen. Und während alle Bilder aus seinem Kopfe wichen und er sich unaufhörlich sagte, daß es jetzt wohl am besten wäre, den Schlaf zu suchen, richtete er sich mechanisch von seinem Lager auf. Ganz langsam – er fühlte ordentlich, wie dieser seelische Zwang nur Schritt für Schritt gegen die Widerstände Boden gewann – richtete er sich auf. Erst einen Arm, .. dann stützte er den Oberkörper auf, dann schob er ein Knie unter der Decke hervor, .. dann ..: doch plötzlich eilte er mit bloßen Füßen, auf den Zehen zu Basini hinüber und setzte sich auf den Rand des Bettes.
Basini schlief.
Er sah ganz so aus, als ob er angenehm träumte.
Törleß war noch immer nicht Herr seiner Handlungen. Einen Augenblick saß er still und starrte dem Schlafenden ins Gesicht. Jene kurzen, abgerissenen, gleichsam nur den Situationsbefund konstatierenden Gedanken zuckten durch sein Gehirn, die man hat, wenn man sein Gleichgewicht verliert, stürzt oder wenn einem ein Gegenstand aus den Händen gerissen wird. Und ohne Besinnen faßte er Basini an der Schulter und rüttelte ihn wach.
Der Schläfer reckte sich einige Male träge, dann fuhr er auf und blickte Törleß mit schlafblöden Augen an.
Törleß erschrak; er war völlig verwirrt; seine Handlung kam ihm zum ersten Male zur Besinnung, und er wußte nicht, was er nun weiter tun solle. Er schämte sich furchtbar. Sein Herz klopfte hörbar. Worte der Erklärung, Ausreden drängten sich auf seine Zunge. Er wollte Basini fragen, ob er keine Streichhölzchen habe, ob er ihm nicht sagen könne, wie viel Uhr es sei …
Basini glotzte ihn noch immer ohne Verständnis an.
Schon zog Törleß, ohne ein Wort hervorgebracht zu haben, den Arm zurück, schon glitt er von dem Bette herunter, um lautlos in das seine zurückzuschleichen, – da schien Basini die Situation erfaßt zu haben und richtete sich mit einem Rucke auf.
Törleß blieb unschlüssig am Bettende stehen. Basini sah ihn noch einmal mit einem fragenden, prüfenden Blicke an, dann stieg er vollends aus dem Bette, schlüpfte in Mantel und Hausschuhe und ging mit schlurfenden Schritten voran.
Törleß wurde es mit einem Schlage klar, daß dies nicht zum erstenmal geschehe.
Im Vorbeigehen nahm er die Schlüssel zur Kammer, die er unter seinem Kopfkissen versteckt gehabt hatte, mit. –
Basini schritt geradenwegs zur Bodenkammer voraus. Er schien mit dem Wege, den man ihm damals doch noch verheimlicht hatte, inzwischen genau bekannt geworden zu sein. Er hielt die Kiste fest, als Törleß daraufstieg, er räumte die Kulissen zur Seite, umsichtig, mit diskreten Bewegungen, wie ein geschulter Lakai.
Törleß sperrte auf, und sie traten ein. Er stand mit dem Rücken zu Basini und zündete die kleine Lampe an.
Als er sich umdrehte, stand Basini nackt vor ihm.
Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück. Der plötzliche Anblick dieses nackten, schneeweißen Körpers, hinter dem das Rot der Wände zu Blut wurde, blendete und bestürzte ihn. Basini war schön gebaut; an seinem Leibe fehlte fast jede Spur männlicher Formen, er war von einer keuschen, schlanken Magerkeit, wie der eines jungen Mädchens. Und Törleß fühlte das Bild dieser Nacktheit wie heiße, weiße Flammen in seinen Nerven auflodern. Er konnte sich der Macht dieser Schönheit nicht entziehen. Er hatte vorher nicht gewußt, was Schönheit sei. Denn was war ihm in seinem Alter Kunst, was kannte er schließlich davon?! Ist sie doch bis zu einem gewissen Alter jedem in freier Luft aufgewachsenen Menschen unverständlich und langweilig!
Hier aber war sie auf den Wegen der Sinnlichkeit zu ihm gekommen. Heimlich, überfallend. Ein betörender warmer Atem strömte aus der entblößten Haut, eine weiche, lüsterne Schmeichelei. Und doch war etwas daran, das zum Händefalten feierlich und bezwingend war.
Aber nach der ersten Überraschung schämte sich Törleß des einen wie des anderen. «Es ist doch ein Mann!» Der Gedanke empörte ihn, aber ihm war zumute, als ob ein Mädchen nicht anders sein könnte.
Beschämt herrschte er Basini an: «Was fällt dir denn ein?! Gleich wirst du wieder …!!»
Nun schien dieser bestürzt; zögernd und ohne die Augen von Törleß zu lassen, nahm er den Mantel vom Boden auf.
«Da, setz dich!» wies Törleß Basini an. Dieser gehorchte. Törleß lehnte mit hinter dem Rücken gekreuzten Händen an der Wand.
«Warum hast du dich ausgezogen? Was wolltest du von mir?»
«Nun, ich dachte …»
Zögern.
«Was dachtest du?»
«Die anderen …»
«Was die anderen?»
«Beineberg und Reiting …»
«Was Beineberg und Reiting? Was taten sie? Du mußt mir alles erzählen! Ich will es so; verstehst du? Obwohl ich es schon von den andern gehört habe.» Törleß wurde bei dieser unbeholfenen Lüge rot. Basini biß sich die Lippen.
«Nun, wird’s?!»
«Nein, verlange nicht, daß ich erzähle! Bitte, verlange es nicht! Ich will ja alles tun, was du willst. Aber laß mich nicht erzählen … Oh, du hast solch eine besondere Art mich zu quälen …!» Haß, Angst und eine flehentliche Bitte kämpften in den Augen Basinis. Törleß lenkte unwillkürlich ein.
«Ich will dich gar nicht quälen. Ich will dich nur zwingen, selbst die volle Wahrheit zu sagen. Vielleicht in deinem Interesse.»
«Aber ich habe doch gar nichts getan, was besonderen Erzählens wert wäre.»
«So? Warum aber hast du dich dann ausgezogen?»
«Sie verlangten es so.»
«Und warum hast du getan, was sie verlangten? Du bist also feig? Erbärmlich feig?»
«Nein, ich bin nicht feig! Sag das nicht!»
«Wirst du den Mund halten! Wenn du ihre Prügel fürchtest, so könnten dir die meinen auch nicht schlecht bekommen!»
«Ich fürchte aber gar nicht ihre Prügel.»
«So? Was denn?»
Törleß sprach wieder ruhig. Seine rohe Drohung ärgerte ihn bereits. Aber unwillkürlich war sie ihm entschlüpft, lediglich weil ihm schien, daß sich Basini ihm gegenüber mehr herausnehme als gegen die anderen.
«Wenn du dich, wie du sagst, nicht fürchtest, was ist dann mit dir?»
«Sie sagen, wenn ich ihnen zu Willen sei, werde mir nach einiger Zeit alles verziehen werden.»
«Von ihnen beiden?»
«Nein, überhaupt.»
«Wie können sie das versprechen; ich bin doch auch noch da!»
«Hiefür werden schon sie sorgen, sagen sie!»
Dies gab Törleß einen Schlag. Beinebergs Worte, daß Reiting gegebenenfalls gegen ihn gerade so handeln würde wie gegen Basini, fielen ihm ein. Und wenn es wirklich zu einer Intrige gegen ihn käme, wie sollte er ihr