Wagemut und Ausdauer zu derlei Ränken gebrach; aber nur deswegen, weil er sich zu wenig dafür interessierte, weil er nie seine ganze Persönlichkeit im Spiele fühlte. Er hatte immer mehr dabei zu verlieren als zu gewinnen gehabt. Käme dies aber einmal anders, so fühlte er, daß auch eine ganz andere Zähigkeit und Tapferkeit in ihm sein würde. Nur wissen müßte man, wann es Zeit sei, alles aufs Spiel zu setzen.
«Haben sie dir Näheres gesagt? … wie sie sich das denken? … Das meinetwegen?»
«Näheres? Nein. Sie sagten nur, daß sie schon sorgen würden.»
Dennoch, … eine Gefahr lag nun da, … irgendwo im Versteck, … und lauerte auf Törleß; … jeder Schritt konnte in eine Fußangel fallen, jede Nacht konnte die letzte vor Kämpfen sein. Eine ungeheure Unsicherheit lag in diesem Gedanken. Das war kein lässiges Sichtreibenlassen mehr, kein Spielen mit rätselhaften Gesichten, – das hatte harte Ecken und war fühlbare Wirklichkeit.
Das Gespräch fing wieder an.
«Und was tun sie mit dir?»
Basini schwieg.
«Wenn es dir mit deiner Besserung ernst ist, mußt du mir alles sagen.»
«Sie lassen mich auskleiden.»
«Ja, ja, das sah ich doch, … und dann …?»
Eine kleine Weile verstrich, und plötzlich sagte Basini:
«Verschiedenes.»
Er sagte es mit einer weibischen, buhlerischen Betonung.
«Du bist also ihre … Mai … tresse?»
«Oh nein, ich bin ihr Freund!»
«Wie kannst du dich unterstehen, das zu sagen!»
«Sie sagen es selbst.»
«Was ..?»
«Ja, Reiting.»
«So, Reiting?»
«Ja, er ist sehr freundlich zu mir. Meist muß ich mich ausziehen und ihm etwas aus Geschichtsbüchern vorlesen; von Rom und seinen Kaisern, von den Borgias, von Timur Chan, … na, du weißt schon, lauter solch blutige, große Sachen. Dann ist er sogar zärtlich gegen mich.»
«Und nachher schlägt er mich meistens …»
«Wonach?!! … Ach so!»
«Ja. Er sagt, wenn er mich nicht schlagen würde, so müßte er glauben, ich sei ein Mann, und dann dürfte er mir gegenüber auch nicht so weich und zärtlich sein. So aber sei ich seine Sache, und da geniere er sich nicht.»
«Und Beineberg?»
«Oh, Beineberg ist häßlich. Findest du nicht auch, daß er aus dem Munde riecht?»
«Schweig! Was ich finde, geht dich gar nichts an! Erzähle, was Beineberg mit dir tut!»
«Nun, auch so wie Reiting, nur. … Aber du darfst mich nicht wieder gleich schimpfen …»
«Vorwärts.»
«Nur … auf einem anderen Umwege. Er hält mir erst lange Reden über meine Seele. Ich habe sie beschmutzt, aber gewissermaßen nur den ersten Vorhof von ihr. Im Verhältnis zu dem Innersten sei dies etwas Nichtiges und Äußerliches. Nur müsse man es abtöten; so seien schon viele aus Sündern zu Heiligen geworden. Die Sünde sei daher in höherer Hinsicht gar nicht so schlecht; nur müsse man sie ganz auf die Spitze treiben, damit sie abbreche. Er läßt mich sitzen und ein geschliffenes Glas anstarren …»
«Er hypnotisiert dich?»
«Nein, er sagt, er müsse nur alle Dinge, die an der Oberfläche meiner Seele umherschwimmen, einschläfern und kraftlos machen. Dann erst könne er mit meiner Seele selbst verkehren.»
«Und wie verkehrt er denn mit ihr?»
«Das ist ein Experiment, das ihm noch nie gelungen ist. Er sitzt, und ich muß mich auf die Erde legen, so daß er die Füße auf meinen Leib stellen kann. Ich muß von dem Glas recht träge und schläfrig geworden sein. Dann auf einmal befiehlt er mir zu bellen. Er beschreibt es mir ausführlich: – leise, mehr winselnd, – so wie ein Hund aus dem Schlafe heraus bellt.»
«Wozu das?»
«Man weiß nicht, wozu es gut ist. Er läßt mich auch grunzen wie ein Schwein und wiederholt mir in einem fort, ich habe etwas von diesem Tiere in mir. Aber nicht, als ob er mich schimpfen wollte; er wiederholt es mir ganz leise und freundlich, um es – wie er sagt – fest in meine Nerven einzudrücken. Denn er behauptet, daß möglicherweise eine meiner früheren Existenzen so gewesen sei und daß man sie hervorlocken müsse, um sie unschädlich zu machen.»
«Und du glaubst ihm all das?»
«Gott bewahre; ich meine, er selbst glaubt nicht daran. Und dann ist er doch auch zum Schlusse immer ganz anders. Wie soll ich auch solche Dinge glauben?! Wer glaubt denn heute an eine Seele?! Und gar an eine solche Seelenwanderung?! Daß ich gefehlt habe, weiß ich ganz gut; aber ich habe immer gehofft, es wieder gut machen zu können. Da ist gar kein Hokuspokus nötig. Ich zerbreche mir auch gar nicht den Kopf darüber, wieso ich meinen Fehltritt begehen konnte. So etwas kommt so rasch, so von selbst; man merkt erst nachher, daß man etwas Unkluges getan hat. Wenn es ihm aber Vergnügen macht, etwas Übersinnliches dahinter zu suchen, so soll er meinetwegen. Vorläufig muß ich ihm ja doch zu Willen sein. Wenn er nur lieber unterlassen möchte, mich zu stechen …»
«Was?»
«Ja, mit einer Nadel, – nun nicht heftig, nur um zu sehen, wie ich darauf reagiere, … ob sich nicht an irgendeiner Stelle des Körpers etwas bemerkbar mache. Aber weh tut es doch. Er behauptet nämlich, die Ärzte verstünden nichts davon; ich habe mir nicht gemerkt, womit er das beweisen will, ich erinnere mich nur, daß er viel von Fakiren spricht, die, wenn sie ihre Seele schauen, gegen körperliche Schmerzen unempfindlich sein sollen.»
«Nun ja, ich kenne diese Ideen; du sagtest aber doch selbst, daß dies nicht alles sei.»
«Gewiß nicht; ich sagte doch auch, daß ich dies nur für einen Umweg halte. Nachher kommen jedesmal Viertelstunden, wo er schweigt und ich nicht weiß, was in ihm vorgeht. Danach aber bricht er plötzlich los und verlangt Dienste von mir – wie besessen – weit ärger als Reiting.»
«Und du tust alles, was man von dir verlangt?»
«Was bleibt mir übrig? Ich will wieder ein anständiger Mensch werden und meine Ruhe haben.»
«Was aber inzwischen geschehen ist, wird dir ganz gleich sein?»
«Ich kann mir ja nicht dagegen helfen.»
«Gib jetzt genau acht und beantworte meine Fragen: Wieso konntest du stehlen?»
«Wieso? Schau, ich brauchte das Geld dringend; ich hatte beim Traiteur Schulden, und er wollte sich nicht mehr vertrösten lassen. Dann glaubte ich doch bestimmt, daß in jenen Tagen für mich Geld kommen werde. Von den Kameraden wollte mir keiner leihen: die einen hatten selbst keins, und die Sparsamen freut es ja nur, wenn einer, der nicht so ist, gegen Monatsende in Verlegenheit kommt. Ich wollte gewiß niemanden betrügen; ich wollte es mir nur heimlich ausleihen …»
«Nicht so meine ich es,» unterbrach Törleß ungeduldig diese Erzählung, die Basini offenbar erleichterte, «ich frage: wieso – wie konntest du das tun, wie fühltest du dich? Was ging in jenem Augenblick in dir vor?»
«Nun ja, – gar nichts. Es war doch nur ein Augenblick, ich fühlte nichts, ich überlegte nichts, es war einfach plötzlich geschehen.»
«Aber das erstemal mit Reiting? Als er zum erstenmal jene Dinge von dir verlangte? Verstehst du …?»
«Oh, unangenehm war es mir schon. Weil es so auf Befehl geschehen sollte. Denn sonst … denk’ nur, wie viele tun solche Sachen freiwillig zum Vergnügen, ohne daß die anderen davon wissen. Da ist es wohl nicht so arg.»
«Aber du hast es auf Befehl getan. Du hast dich erniedrigt. So, wie wenn du in den Kot kriechen würdest, weil es ein anderer will.»
«Das gebe ich ja zu; aber ich mußte.»
«Nein, du mußtest