Büchmann Georg

Geflügelte Worte: Der Citatenschatz des deutschen Volkes


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wie z. B. mit dem Germanisten Robert Hein, konnte nur mit sehr Wenigen stattfinden.

      Er hatte in der "Einleitung" jeder Auflage um Zusätze und Berichtigungen gebeten, und ein solcher Appell an die Philologie findet in deutschen Herzen immer ein Echo. In der damals von Paul Lindau redigierten "Gegenwart" vom 27. September 1879 sprach Georg Büchmann in dem Aufsatz "Sechshundert Korrespondenten" seinen lebhaften Dank aus für den vielfältigen Nutzen, der seiner Sammlung aus solcher freiwilligen Mitarbeiterschaft erwachsen sei. Gegen Ende dieses Artikels heisst es:

      "'Geflügelte Worte' sind vorhanden. Es war meine Pflicht, sie zu sammeln und ihren Quellen nachzuspüren. Die Frage, ob ihre Anwendung nützlich oder schädlich, zu empfehlen oder abzuraten sei, hatte ich mir nicht vorzulegen. Sie sind als eine Ergänzung des deutschen Wortvorrats und Wörterbuches zu betrachten. Das lesende Publikum zollt ihrer Sammlung einen Beifall, der mich erfreut und mich anspornt, die betretene Bahn nach Kräften zu erweitern und noch gangbarer zu machen".

      Bald nach dem Erscheinen der dreizehnten Auflage der "Geflügelten Worte", vom Herbst des Jahres 1882 an, sah sich der leidende Autor genötigt, jeder ernsten Thätigkeit zu entsagen. Ein allmähliches Hinschwinden aller Lebenskräfte trat ein, und am 24. Februar 1884 gab ein erlösender Tod ihm die ewige Ruhe.

      Sein Name wird unvergessen bleiben, so lange es auf Erden gebildete und gründliche Deutsche giebt.

      Walter Robert-tornow wurde am 14. Juli 1852 auf Ruhnow in Hinterpommern geboren. Zeit seines Lebens blieb ihm das "Horizontgefühl" seiner Jugend, wie er es nannte, lebendig, und immer von neuem ergriff ihn die Sehnsucht nach den "weissen, reinen" Wolken des pommerschen Himmels, nach den rauschenden Buchenkronen und den hochwipfligen Fichten an den stillen, tiefen Landseen voll Wasserrosen, und nach den in duftigem Schimmer wogenden Getreidefeldern seiner vielverlästerten, hinterpommerschen Heimat. Leider war ihm das köstliche Erbteil des Pommernstammes, die derbe Leibesgesundheit, versagt. Nie empfand er seine körperliche Gebrechlichkeit schmerzlicher als im Jahre 1870.

      Während einer Kur auf Helgoland lernte der dreijährige Knabe spielend lesen, d. h. die Kunst, die er später und bis zum letzten Atemzuge als Handwerk betrieb. Die gehaltvolle Bücherei des Vaters, der nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in den Wissenschaften heimisch war, und die gesunde Luft eines wohlhabenden und hochgebildeten Elternhauses begünstigten die geistige Entwicklung des begabten Jünglings. Mit besonderer Vorliebe pflegte gerade er die künstlerischen Traditionen der Familie, der eine Rahel, die Gattin Varnhagens von Ense, und ihr Bruder, der Dichter Ludwig Robert, entsprossen waren. Sein Lehrer in Ruhnow und für immer sein Freund wurde der Philologe Dr. Isler, und die originelle Lebensanschauung dieses ausgezeichneten Mannes, bei dem sich Stoizismus und humorvolle Skepsis wundersam mischten, wirkte nachhaltig auf den Schüler ein. Aus den Epigrammen in Robert-tornows "Begleitbuch" (Berlin 1888) sprechen verwandte Überzeugungen und Stimmungen.

      Eine Zeit lang zeichnete er neben den Universitätsstudien auf der Berliner Kunstakademie, weil ein der Familie befreundeter Maler Portraitiertalent bei ihm entdeckt haben wollte. Diesen Versuch gab er bald auf; denn Neigung und Talent zogen ihn mächtig zur Poesie. Er übte und verstand die Kunst, Verse aller Art zu schmieden. Schon bei seiner Arbeit über die Bienen übertrug er für sich das 4. Buch von Virgils Georgica in deutsche Jamben, dann machte er sich daran, die Elegieen des Theognis in Reimen nachzudichten; Versuche aus dem Englischen schlossen sich später an, bis ihm zuletzt, am Ende seines Lebens, auf diesem Gebiete ein Meisterwerk gelang: die Übersetzung der "Gedichte des Michelangelo Buonarotti", die erst nach seinem Tode erscheinen konnte (Berlin 1896).

      Durch unausgesetzte Beschäftigung mit der deutschen Litteratur erwarb er sich eine aussergewöhnliche Belesenheit. Gute Bücher las er immer wieder und übte sein an sich starkes Gedächtnis durch Auswendiglernen. In Lessings Werken fühlte er sich zu Haus, so dass er getrost die 9. Auflage von Stahrs Biographie des Dichters besorgen konnte. Aber am vertrautesten von allen Dichtern war und blieb ihm Goethe, "sein Tröster, der, aus Sturm und Drang zur Weisheit gekommen, der Menschheit ein Meer von Schönheiten erschuf". Auch Heine gehörte zu seinen Lieblingen, weil ihn dessen Schreibweise bezauberte und sein Schicksal rührte. Gern wandte er die Mahnung dieses Dichters: "Baue dein Hüttchen im Thal!" auf sich selbst an. Schon der Umstand, dass Heine nach den Musikkatalogen der am häufigsten komponierte deutsche Lyriker sein soll, genügte ihm, um ihn zäh gegen alle Angriffe zu verteidigen. Die schöne Schrift "Goethe in Heines Werken" (Berlin 1883) darf als die reifste Frucht seiner liebsten Studien bezeichnet werden.

      Unter den deutschen Prosaikern standen die tiefinnerlichen Humoristen seinem Herzen am nächsten. Scherrs "Michel", Kellers "Grüner Heinrich", Vischers "Auch Einer", Roseggers "Waldschulmeister" und Reuters "Stromtid" waren ihm unentbehrliche Bücher, am unentbehrlichsten der grüne Heinrich.

      Wie der Ährenleser dem Schnitter, so folgte Robert-tornow Büchmann nach und sammelte mit demselben Fleisse, den er an seinem Vorgänger neidlos pries. Stillschweigend besserte er das Vorhandene und führte die schon von Büchmann angestrebte chronologische Anordnung des Stoffes innerhalb der einzelnen Kapitel durch. Das reizvolle Kapitel "Geflügelte Worte aus Sagen und Volksmärchen" ist sein Werk; im ganzen buchte er 730 neue Citate und Ausdrücke. Ausserdem arbeitete er ein umfangreiches, durch die Fülle der Schlagwörter nahezu untrügliches Register aus, um die Benutzung des Buches so bequem wie möglich zu machen. Endlich gelang ihm, was dem verdienstvollen Begründer trotz aller Mühe nicht hatte gelingen wollen, nämlich eine feste Definition für den Begriff eines geflügelten Wortes in sprachwissenschaftlichem Sinne, die genau mit Büchmanns Absichten übereinstimmt (s. Einleitung). Genug, er sparte keine Mühe, um das schöne Buch auf der Höhe zu erhalten. Es wurde ein Stück auch seines Lebens und beeinflusste seinen eigenen Stil in Poesie und Prosa. Er dichtete am liebsten und besten in der Epigrammform und verwuchs mit den geliebten "Geflügelten Worten" so innig, dass er in der Todesstunde nur in Citaten sprach.

      Wenn bei einem Buche wie diesem der Erfolg als Massstab für seinen Wert gelten darf, so erkannte die gebildete Welt Robert-tornows Weiterarbeit willig an. Denn während bis zu Büchmanns Tode 13 Auflagen und 57000 Exemplare der "Geflügelten Worte" verbreitet waren, erlebte Robert-tornow die Freude und gerechte Genugthuung, mit der