die Zeitschrift sind die Vermittler derselben. Daher kommt es, dass die dramatische Litteratur ihrer mehr liefert, als die lyrische oder die epische, und dass aus der lyrischen Poesie mehr solche fliessen, die komponiert worden sind und gesungen werden, als andere. Daher kommt es auch, dass mancher Liebling des Volks und der Musen in diesem Buche unvertreten bleibt, und dass Meisterstücke der Lyrik, ausgezeichnete Romane, überhaupt Werke, die in den seltenen Stunden stiller Weihe die Seele erquicken und deren Publikum stets der einzelne Mensch oder höchstens ein traulich geschlossener enger Kreis ist, eine überaus geringe Ausbeute zu den geflügelten Worten geben. Diese entstehen auf dem Markte des Lebens und im Strudel der Öffentlichkeit.
Viele werden das Werk nur als Nachschlagebuch wert halten und benutzen, Manche jedoch werden den in ihm behandelten Stoff tiefer fassen als eine Hilfswissenschaft zur Erkenntnis des Seelenlebens der Völker. Diesen, unseren eigentlichen Lesern kann es nicht darauf ankommen, sich zu merken, wie man richtig zu citieren habe, geschweige auf oberflächliche Vielwisserei; sondern ihre Grundfrage wird lauten: "Welche geistigen Strömungen haben Deutschland im 19. Jahrhundert befruchtet?" "Und was hat Deutschland an die anderen Nationen weitergegeben?" werden sie fragen, wenn sie die ähnlichen Werke für Frankreich, Italien, Ungarn, England, Holland, Dänemark und Schweden vergleichend lesen.
Im 20. Jahrhundert kommen hoffentlich die Deutschen als Spendende mehr und mehr in Betracht. Allmählich erfüllt sich ja Friedrichs des Grossen Prophezeiung: "Il pourra arriver que notre langue polie et perfectionnée s'étende, en faveur de nos bons écrivains, d'un bout de l'Europe à l'autre. Ces beaux jours de notre littérature ne sont pas encore venus: mais ils s'approchent." Schon sind wir längst nicht mehr nur die Übersetzenden, sondern wir werden auch fleissig übersetzt, und Goethes "Weltlitteraturepoche" tritt immer lebendiger ans Licht.
I.
Geflügelte Worte aus der Bibel.[6]
Da die Bibel unter allen Büchern der Erde das bekannteste ist, so sind die Sprachen mit volkstümlichen Ausdrücken aus ihr reichlich getränkt. So die deutsche Sprache:
"Der Mensch wird nackt geboren wie Adam, er ist keusch wie Joseph, weise wie Salomo, stark wie Simson, ein gewaltiger Nimrod, der wahre Jakob, ein ungläubiger Thomas; er ist ein langer Laban, ein Riese Goliath, ein Enakskind; er lebt wie im Paradiese, dient dem Mammon und hat Mosen und die Propheten, oder er stimmt, arm wie Lazarus oder ein blinder Tobias, Jeremiaden an, sehnt sich zurück nach den Fleischtöpfen Ägyptens, bekommt eine Hiobspost über die andere und muss Uriasbriefe bestellen, wobei er von Pontius zu Pilatus zu laufen hat. Vielleicht ist er ein Saul unter den Propheten, ein barmherziger Samariter oder ein Pharisäer, der Judasküsse giebt; noch schlimmer, wenn er ein Kainszeichen an der Stirn trägt oder wenn man ihn zur Rotte Korah zählen muss, aber möglicherweise gehört er zu dem unschädlichen Geschlechte der Krethi und Plethi, oder er ist nichts als ein gewöhnlicher Philister. Jedenfalls müssen ihm der Text, die Epistel und die Leviten gelesen werden, damit er den alten Adam ausziehe und er nicht länger wie in Sodom und Gomorrha lebe, in ägyptischer Finsternis und babylonischer Verwirrung. Doch wie dem auch sei, er sehnt sich danach, alt zu werden wie Methusalem, und wenn es mit ihm Matthäi am letzten ist, wird er aufgenommen in Abrahams Schoss."
[6] Aus diesem Kapitel (15. Aufl.) ging des Pfarrers Paul Grünberg sorgfältige Studie "über den Gebrauch und Missbrauch der Bibel in der deutschen Volks- und Umgangssprache" hervor ("Biblische Redensarten" Henninger, Heilbronn 1888), der wiederum unsere 17. Auflage manchen Aufschluss verdankte.
Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, dass "wahrer Jakob", "langer Laban", "von Pontius zu Pilatus" (statt: von Herodes zu Pontius Pilatus) Anlehnungen oder Entstellungen sind.
Neben solchen der Bibel entnommenen Worten, Namen und Redensarten sind eine Menge biblischer Sprüche im Munde des Volkes, die oft zu bequemerem Gebrauch umgestaltet, ja sogar profaniert worden sind.
Es wird in dem Folgenden Luthers Bibelübersetzung citiert[7], denn diese allein ist seit mehr als drei Jahrhunderten Volksbuch; und so findet man denn auch, weil sie das Volk aus der Bibel citiert, Worte hier eingereiht, die streng genommen nicht biblisch, sondern luthersch, ja sogar manchmal vorluthersch sind. Auch bleibt in diesem Kapitel die Reihenfolge der Bücher so unchronologisch, wie sie uns durch Luther zur Gewohnheit wurde.—
[7] Wo in diesem Buche Luthers Werke ohne weiteren Zusatz citiert werden, ist die Erlanger Ausgabe gemeint.
Ein wüster Zustand der Verwirrung heisst uns nach 1. Mose 1, 2 ein
Tohuwabohu
(nach den hebräischen Ausdrücken für "wüste und leer").—
1. Mos. 1, 3 steht:
Es werde Licht.—
1. Mos. 1, 12 schliesst:
Und Gott sahe, dass es gut war.—
Den Menschen nennen wir nach 1. Mos. 2, 7 einen
Erdenkloss.—
Nach 1. Mos. 2, 9 u. 17, wo von dem "Baum des Erkenntnisses Gutes und Böses" die Rede ist, dessen Früchte der Herr dem ersten Menschenpaar zu geniessen verbietet (s. 3, 2-6), wurden die Worte üblich:
Vom Baum der Erkenntniss essen
und:
Die verbotene Frucht.—
Nach 1. Mos. 2, 18 citieren wir:
Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei,
und:
Mann und Frau sind Eins
nach 1. Mos. 2, 24: "Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und an seinem Weibe hangen, und sie werden sein Ein Fleisch" (vrgl. Matth. 19, 5).—
Aus 1. Mos. 2, 23, wo Adam von Eva sagt: "Das ist doch Bein von meinen Beinen, und Fleisch von meinem Fleisch", entnehmen wir:
Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Bein.—
1. Mos. 3, 5 lesen wir das Schlangenwort: "Und werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist". Die Vulgata giebt: "Eritis sicut Dii". "Und werdet sein wie die Götter". Wir aber citieren die Stelle so, wie sie Goethe in der Schülerscene des "Faust" anwendet:
Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum.
Und werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.
Die Verwendung bei Goethe dürfte durch Agrippa von Nettesheim vermittelt sein, der im Anfange seines Werkes "de incertitudine et vanitate omnium scientiarum", Köln 1527, sich dahin äussert, die Wissenschaft erhebe zu Gott nur im Sinne dieses Spruches der Schlange. "Eritis sicut Deus" wurde zum Titel eines die Philosophen, besonders Fr. Th. Vischer, verspottenden Romans erkoren, der 1855 anonym zu Hamburg erschien und dessen fromme Verfasserin Wilhelmine Canz hiess.—
Nach dem Sündenfall heisst es 1. Mos. 3, 7 von Adam und Eva, sie "wurden gewahr, dass sie nackend waren; und flochten Feigenblätter zusammen, und machten ihnen Schürzen". Hiernach ward uns das
Feigenblatt
ein bildlicher Ausdruck für "schamhafte Verhüllung".—
1. Mos. 3, 16 spricht Gott zu Eva: "dein Wille soll deinem Manne unterworfen sein, und
Er soll dein Herr sein".—
1. Mos. 3, 19 steht:
Im Schweisse deines Angesichts sollst du dein Brod essen,
und: