Karl Kiesewetter

Der Occultismus des Altertums


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Schreckliche Waffe, welche die Pest vertreibt,

       Welche befruchtet und leuchten läßt,

       Welche unter den sieben Göttern die Bösen vernichtet.“

      Ini, der altakkadische Feuergott, nahm bei den Babyloniern einen solaren Charakter an und wird als Izdhubar der Held eines der bedeutendsten chaldäischen Epen, in welchem auch die Sintflutmythe eine besondere Episode bildet. Er wird wie Bil-gi der Herr der Talismane genannt, und seine hauptsächlichsten Prädikate sind: puvalu, Riese, und puvalu-emuki, Riese an Macht. Sein Abzeichen ist das Schilfrohr, welchem wir als Zauberstab schon oben begegneten, und das später an Silik-mulu-khi übergeht.

      Silik-mulu-khi, der Verkünder des Willens und der Ratschläge Eas, der Mittler zwischen ihm und der Menschheit, ist eng mit dem Erzengel Çraoscha, „dem Heiligen und Gerechten“ des Zoroastrismus verwandt, ebenso mit Mithra, wie man denselben am Ende der Periode der Achämeniden unter dem Einfluß des medischen Magismus zur Zeit der Zersetzung der alten mazdeischen Lehre auffaßte.

      Eine andere Analogie zwischen der Magie der Akkader und der spätern mazdeischen Religion findet sich in der Lehre von den Feruern, welche im Zoroastrismus die reinen Formen der Dinge, himmlische Urbilder der irdischen Wesen sind. Jeder Engel, jeder Mensch, jeder Stern, ja jedes Tier und jede Pflanze hat seinen eigenen Feruer, seinen unsichtbaren Schutzgeist, welcher beständig über ihm wacht, und den der Mensch durch Gebet und Opfer um Gnade anfleht. Diese Feruer sind offenbar die den Einzelwesen vorstehenden Geister der Akkader, welche in den spätern Parsismus Aufnahme fanden und hier ihren Platz auf den untern Stufen der Hierarchie des guten Prinzips fanden.

      Wie im Zendavesta jeder Mensch seinen Feruer besitzt, so ist bei den Akkadern einem jeden von Geburt an ein besonderer Gott zugeeignet, welcher ihn beschützt, in ihm lebt und sein geistiges Urbild ist.[37] Nach einer Vorstellung entspricht jedem Menschen sogar „ein Gott und dessen Göttin, reine Geister über ihm“. Daher heißt es auch so häufig anstatt z. B. der fromme Mensch, der fromme König: „der Mensch, Sohn seines Gottes“, „der König, Sohn seines Gottes“. Daher ruft auch z. B. in einer Beschwörung der Priester dem Feuergott zu: „Mit dir sei in Frieden das Herz meines Gottes und meiner Göttin, der reinen Geister!“ und deshalb heißt es: „Er werde zurückversetzt in die gnädigen Hände seines Gottes!“

      Diese Schutzgötter sind übrigens keineswegs vollkommene Wesen, sondern teilen die menschliche Natur ihrer Schutzbefohlenen mit ihren Unvollkommenheiten und Schwächen. Sie können samt den mit ihnen verbundenen Menschen von den Dämonen und Zauberern bezwungen und dienstbar gemacht und sogar dahin gebracht werden, alles Böse im Menschen zu bewirken und zu veranlassen, was Dämonen und Zauberer befehlen. Wenn z. B. der Pestdämon Namtar einen Menschen ergriffen hat, so befinden sich der Gott und die Göttin des Menschen ebensogut in der Gewalt des Geistes der Krankheit als dessen Körper. Es läßt sich mithin sagen, daß der besondere Gott und die besondere Göttin eines Menschen einen Teil seiner Seele bilden, was auch von den zoroastrischen Feruern gilt, nur daß die Auffassung der letzteren eine dem „transcendentalen Subjekt“ entsprechende höhere war und sich von der Stofflichkeit und Unvollkommenheit des irdischen Menschen besser abgelöst hatte.

       Inhaltsverzeichnis

      Das chaldäische Divinationswesen gehört der sechzehn Jahrhunderte umfassenden Periode an, welche von Sargon I., König von Agane, bis zu Alexander dem Großen reicht.

      Aus den im vorigen Kapitel angegebenen Elementen hatte sich die chaldäische Staatsreligion herausgebildet und war in den in Babylonien, Assyrien und Chaldäa gleich einflußreichen Priesterschulen nach einem einheitlichen philosophischen System geregelt worden. Ihre ein zusammenhängendes Ganze bildenden Lehren waren in den heiligen Büchern codifiziert und wurden in den Tempeln und Priesterschulen, deren einflußreichste sich zu Erech befand, gelehrt.

      Wie schon gesagt, nahm die akkadische Magie in dieser Staatsreligion nur eine niedere Stufe ein, denn die den forschenden Geist der Priester der neuen Religion belebenden Ideen waren ganz anderer Natur. Die Basis derselben war die Astrologie, welche die im Altertum sprichwörtlich gewordene Hauptbeschäftigung der Chaldäer bildete. Die Bezeichnung Chaldäer hat hier jedoch keine ethnische Bedeutung, sondern wird im Sinne der Bibel wie der Griechen für die Angehörigen jener großen Priesterkaste gebraucht, welche sich nach der eingangs erwähnten großen Reformation um das Jahr 2000 v. Chr. über Babylonien wie Chaldäa verbreitete und ihren allgewaltigen Einfluß auch auf die assyrische Kultur ausübte.

      Philo sagt: „Die Chaldäer scheinen die Sternkunde und Wahrsagerei vor allen andern Völkern gepflegt und befördert zu haben. Sie brachten die irdischen Dinge mit den himmlischen, mit andern Worten den Himmel mit der Erde in Verbindung und suchten dann aus den wechselseitigen Beziehungen dieser nur räumlich, nicht wesentlich geschiedenen Theile des Weltalls auch den harmonischen Einklang derselben nachzuweisen. Sie stellten die Vermuthung auf, daß die sinnliche Welt an sich oder doch wenigstens durch die sie belebende Kraft Gott sei, und riefen, indem sie diese Kraft unter dem Namen Verhängniß oder Nothwendigkeit vergöttlichten, den reinen Atheismus hervor, denn sie erweckten den Glauben, daß alle Naturerscheinungen nur eine sichtbare Ursache hätten, und daß von der Sonne, dem Mond und dem Laufe der Gestirne das Glück oder Unglück eines jeden Menschen abhänge.“

      Der Kern der chaldäischen Lehren, ihre Licht- und Schattenseiten können wohl kaum treffender charakterisiert werden; nur ist das, was Philo über den Atheismus und Materialismus der Chaldäer sagt, eben so wenig wörtlich zu nehmen als eine ähnliche Stelle des Diodorus Siculus[38]:

      „Die Chaldäer behaupten, daß die Welt ihrem Wesen nach ewig sei, daß sie keinen Anfang gehabt habe und kein Ende haben werde. Die Schönheit und die Ordnung des Weltalls schreiben sie einer göttlichen Vorsehung zu und behaupten dennoch, daß auf Erden keine Erscheinung, kein Vorkommniß zufällig oder spontan, sondern schon im Voraus von den Göttern bestimmt sei.“

      Die von Diodorus gemeinte Vorsehung ist nicht die schaffende, sondern die ordnende Urkraft, welche einerseits mit der Ewigkeit der Welt verbunden ist, andererseits aber nach einem höheren Willen den Lauf der Gestirne in den bestimmten Bahnen regelt. Dieses Gesetz aber ist nichts anderes als das Verhängnis oder die Notwendigkeit des Philo, das Gesetz und die Harmonie, welche Sanchuniathon personifiziert[39], die Thuro-Chusartis der phönizischen Theologie, das Sinnbild der Einheit der unwandelbaren Ordnung und wunderbaren Harmonie des Weltalls. Die Bezeichnung Atheismus ist insofern unzutreffend, als die Chaldäer ein göttliches Urwesen oder eine allgemeine Weltseele, aus welcher alle niederen Gottheiten emanierten, annahmen. Nur leiten sie dieses göttliche Urwesen von der Materie ab, welche sie sich niemals völlig von ihm getrennt dachten. Deshalb war auch ihr Gott weder ein Wesen an sich, noch rein geistiger Natur, noch auch unumschränkt. Er war als Ordner und Leiter der Welt doch durch das unbeugsame Gesetz der Notwendigkeit gebunden, nach dessen Bestimmungen er durch seine oberste Emanation die Schöpfung der Welt hatte vollbringen lassen.

      Die Neigung zur Astrologie erwuchs den Chaldäern aus ihren eigentümlichen, den nördlichen Semitenvölkern entlehnten religiösen Anschauungen. Indem sie den Himmel, die Harmonie seiner Bewegung und die Einwirkung der Sonne auf alle Lebewesen beobachteten, waren sie in durchaus naheliegender Weise dahin gekommen, alle Naturerscheinungen mit den Sternen, namentlich mit den Planeten, in Verbindung zu bringen; sie führten den Gestirndienst ein. Die Chaldäer verehrten die Gestirne nicht nur als die glänzendste Offenbarung der göttlichen Macht, sondern verehrten sie als Gottheiten. Auch führten sie zuerst systematische astronomische Beobachtungen ein, wie sie zur Einteilung der Zeit und Innehaltung ihrer religiösen Feste unbedingt notwendig waren.

      Diese Beobachtungen nahmen sie auf ihren Pyramiden vor, welche in Stockwerke geteilt und wie die ägyptischen mit den Seiten nach den Himmelsgegenden orientiert waren. Die Zahl der Stockwerke schwankt zwischen drei zu Ur und sieben zu Borsippa am großen Turm, den Nabukudurussur wieder herstellen ließ. Die drei Stockwerke zu Ur entsprechen der Trias der Götter der Sonne, des Mondes und der Luft, Samas, Sin und Bin. Fünf