astronomischen und tellurischen Erscheinungen und Vorzeichen übten die Chaldäer auch das einfachste und unentwickeltste Divinationsverfahren, die Loswahrsagung. Ich habe dieselbe in meinen „Geheimwissenschaften“ ausführlich beschrieben und muß darauf zurückverweisen. Hier will ich nur kurz rekapitulieren, daß man in einem Köcher sieben mit Schriftzeichen versehene Pfeilschäfte durcheinander schüttelte und aus dem zuerst herausspringenden wahrsagte. Mit diesen Stäben ist nicht das „Rohr des Schicksals, der Offenbarung, der Enthüllung“ (akkad. gi-namekirru, qan-mamiti, qan pasari, assyr. kil-killuo) zu verwechseln, welches durch Bewegungen in der Hand der Magier Orakel erteilte.
Neben dieser Art Belomantie kannten die Chaldäer noch ein anderes Verfahren, welches in einem besonderen Kapitel eines Werkes der Bibliothek von Niniveh besprochen wird.[42] Es wurden wirkliche Pfeile nach verschiedenen Richtungen hin abgeschossen und sodann aus der größeren und geringeren Entfernung derselben vom Schützen, sowie aus der Art und Weise ihres Niederfallens Schlüsse auf die Zukunft gezogen.
Bekanntlich wird diese Wahrsagungsart im alten Testament mehrfach erwähnt.
Über die chaldäischen Auguren und Haruspices sagt Diodorus Siculus[43]: „Die Chaldäer sind erfahren in der Deutung des Vogelfluges und in der Auslegung von Träumen und Wunderzeichen, auch hält man sie für geschickte Opferschauer, welche genau das Richtige treffen.“
Die Auguralwissenschaft der Chaldäer war demnach, und wie sich aus den Keilschriften ergiebt, in vier Abteilungen geteilt: in die Beobachtung des Vogelflugs, in die Wahrsagung aus den Eingeweiden der Opfertiere, in die Auslegung aller Arten von Naturerscheinungen (τέρατα) und in die Traumdeutung.
Leider sind wir bei dem gänzlichen Mangel an Keilschrifttexten nicht im Stande, etwas Näheres über die Vogelschau der Chaldäer zu sagen; nur soviel ergiebt sich – wie schon erwähnt –, daß dieselben dem Gesang und Geschrei der Vögel große Bedeutung beimaßen, wie dies die Griechen, Etrusker und Römer ebenfalls thaten.
Nach Festus teilten die Etrusker und Römer die Vögel in alites und oscines, je nachdem man ihren Flug oder Ruf für bedeutungsvoll hielt. Bei den Griechen war die Kunst der οἰνωπόλοι schon in sehr früher Zeit im Gebrauch und kommt bereits bei Homer völlig ausgebildet vor. Wahrscheinlich war sie von Chaldäa nach Griechenland gekommen. Wie Suidas angiebt, sei sie eine Erfindung des Telegonus, des Sohnes des Odysseus und der Circe gewesen, Clemens von Alexandrien hingegen sagt, daß sie aus Phrygien stamme, womit Cicero übereinstimmt, der Phrygien, Cilicien, Pisidien und Pamphylien als die Länder nennt, in welchen diese Divinationsgattung besonders im Schwang sei. Diese Gegenden hatten aber bereits in sehr früher Zeit die Kultur der Euphratländer angenommen und mit andern babylonisch-chaldäischen Elementen auch diese Wahrsagungsart nach Griechenland getragen. Auch die nach Cicero[44] in hohem Grad entwickelte Auguralwissenschaft der Araber ist wohl auf babylonische Einflüsse zurückzuführen ebenso wie die Spuren, die sich bei den Maçudi und Juden[45] finden. Auch das Haruspicium kennen die Juden, und zwar spricht Hesekiel an der bekannten Stelle davon[46], wo Nabukudurussur das Pfeilorakel befragt und sich aus der Leber der Opfertiere weissagen läßt.
Nach den Fragmenten des großen auguralwissenschaftlichen Werkes von König Sargon I. suchten die Chaldäer in den Eingeweiden der verschiedensten Tiere vorbedeutende Anzeichen. Ein Fragment handelt von einem leider nicht näher angegebenen Vorzeichen, welches man in den Herzen junger Hunde, Füchse, wilder und zahmer Schafe, Pferde, Esel, Rinder, Löwen, Bären, Fische, Schlangen u. a. m. beobachten könne. Doch hatte die betreffende Erscheinung bei jeder Tierart eine besondere Vorbedeutung. Ein zweites Fragment bezieht sich auf Wahrzeichen, welche man aus der Farbe und dem Ansehen der Eingeweide der Opfertiere besonders der Esel und Maultiere entnehmen wollte. So heißt es z. B.: „Sind die Eingeweide des Esels auf der rechten Seite schwarz, – auf der rechten Seite bläulich, desgleichen ihre Windungen, – auf der rechten Seite dunkelfarbig, – auf der rechten Seite kupferfarbig, – auf der linken Seite kupferfarbig“, so sind diese Erscheinungen ebenso viele Vorbedeutungen für die Jahreszeiten sowie die Schicksale des Landes und des Landesherrn. Die gleichen Erscheinungen, welche auf der rechten Seite günstig waren, waren auf der linken Seite ungünstig und umgekehrt. Die auf der linken Seite auftretenden Erscheinungen waren im allgemeinen ungünstiger als die auf der rechten vorkommenden.
Andere Vorbedeutungen suchten die chaldäischen Haruspices im Innern der Eingeweide, welche nach vorausgegangener äußerer Besichtigung geöffnet wurden. So heißt es z. B.:
„Zeigen sich im Innern der Eingeweide auf der linken Seite Risse, so tritt Hader und Zwietracht ein.“
„Zeigen sich im Innern der Eingeweide auf der linken und rechten Seite Risse, so tritt ebenfalls Hader und Zwietracht ein.“
„Ist das Innere der Eingeweide auf der rechten und linken Seite schwarz, so tritt Zwietracht ein.“
Von den noch unveröffentlichten Fragmenten bezieht sich nach Lenormant eines auf die Hepatoskopie, die Leberschau, welche bekanntlich außer bei den Babyloniern bei den Völkern des klassischen Altertums eine große Rolle spielte. Das erhaltene keilschriftliche Fragment ist klein und verstümmelt und enthält nur die Aufzählung der Fälle, welche mit der größeren oder geringeren Entwickelung des einen oder anderen Lappens der Leber oder beider zugleich sowie mit dem völligen Schwund des rechten oder linken Lappens oder aber mit der schwarzen, bläulichen, kupferigen oder roten Färbung eines oder beider Lappen zusammenhängen, worauf die aus dem Aussehen und der Entwickelung der Gallenblase gezogenen Schlüsse folgen.
Die Opferschau verbreitete sich von Babylonien aus über alle Länder der alten Welt: im Norden über Armenien und Komagene, im Westen über Phönizien und Palästina (die O. wird den Juden ausdrücklich verboten[47]) bis nach Karthago. Vorzugsweise wurde sie in Kleinasien betrieben, wo namentlich die Einwohner von Telmessos als geschickte Haruspices berühmt waren. Von Kleinasien kam das Haruspicium sehr frühzeitig nach Griechenland, wo die Familienangehörigen der Damiden und Klytiaden als Haruspices in großem Ansehen standen. Der griechischen Tradition zufolge soll Delphos, der Sohn des Apollo, der Erfinder des Haruspicium gewesen sein, was indessen wohl nur darauf hindeutet, daß die Opferschau vorzugsweise in Delphi ausgeübt wurde. In Italien war diese Divinationsgattung besonders in Etrurien gebräuchlich und erlangte in Rom selbst niemals den offiziellen Charakter, den die Beobachtung der Auspicien und sonstigen Naturerscheinungen trug. Zur Zeit, als der Senat die haruspices befragte[48], wurden dieselben aus Etrurien berufen und bildeten eine besondere Körperschaft, welche gesetzlich anerkannt war.[49] Die libri haruspicini waren ebenso wie die libri fulgurales und tonitruales[50] etruskische Bücher, deren Vorschriften und Lehren man für Offenbarungen des der Erde entstiegenen Tages hielt.[51]
Außer den Regengüssen wurde die Gestalt und Farbe der bei Tage erscheinenden Wolken eifrig beobachtet und gedeutet, während die Deutung der Beziehungen der nächtlichen Wolken zu den Sternen Sache der Astrologen war.
Über die erstere Wolkengattung heißt es z. B.:
„Steigt bläulichschwarzes Gewölk am Himmel auf, so wird im Verlaufe des Tages der Wind wehen.
Ausgefertigt durch Nabu-akha-irib.“
Wie man sieht, tragen diese kindlich naiven Beobachtungen einen meteorologischen Charakter.
Moses[52] und Jeremias[53] verbieten den Juden die wahrsagerische Beobachtung der Wolken und atmosphärischen Erscheinungen.
Die Fulguration scheint bei den Chaldäern sehr ausgebildet gewesen zu sein. Wie die klassischen Schriftsteller berichten, unterschieden die Chaldäer im allgemeinen zwei Arten von Blitzen: 1. auf die Erde herabfallende und 2. nur in den Wolken leuchtende. Nach der Versicherung des Plinius[54] nahmen die Chaldäer an, daß diese Blitze von den Planeten Saturn, Jupiter und Mars herrührten und beobachteten sie vorzugsweise. Die zweite Art, die fulgura fortuita des Plinius „verkündeten durch ihren Donner die Stimme der atmosphärischen Wächter, deren Pfad sie durch ihre Leuchtkraft bezeichneten“.[55]
Es ist nur ein einziges und zwar sehr verstümmeltes keilschriftliches Fragment über die Einteilung der Blitze bei den Chaldäern erhalten[56], das aber trotz seiner Verstümmelung sehr wichtig ist, insofern es die Richtigkeit