sind hier noch andere Ohren, die gerade nicht zu wissen brauchen, über was wir gesprochen haben.« Damit wandte sie sich vom Tisch ab, und trat hinter ihren Schenkstand zurück. Die Leute vom Boreas flüsterten aber noch eine Weile miteinander, und verließen dann die Schenke. Jean selbst hatte mit Polly keine weitere Abrede nehmen können.
Viertes Capitel.
Die Flucht von Bord.
Der Boreas, ein volles Schiff, lag dicht am Patent Slip – eine Art Dock, wo hinauf die Schiffe durch Maschinerie gezogen werden, bis sie vollkommen trocken zu liegen kommen, und bis zum Kiel hinunter nachgesehen und ausgebessert werden können. Nach dem Herunterlassen hatte der Boreas dicht daneben angeholt, seine Takelage nachgesehen, Ballast, Wasser, Mais, Heu und Pferde eingenommen, und lag nun dort dicht an dem abgebauten Werft vor einem Anker, der nach der Bay zu ausgeworfen war. Zwei starke Taue hielten noch außerdem das Schiff am Land befestigt, und man stieg an der Fallreepstreppe gleich von Bord auf das Werft hinunter.
Die Mannschaft des Boreas kam in einzelnen Gruppen, zu zweien und dreien, an Bord zurück. Der Zimmermann, ein Engländer, hatte die Wacht als sie kamen, und die Leute gingen rasch in das Vorcastle hinunter, diese Zeit zu benutzen und ihre Sachen zusammenzupacken.
Den Zimmermann und Mate durften sie natürlich nichts merken lassen; der Mate schlief aber gewöhnlich um diese Zeit schon. Einer von ihnen blieb bei dem Zimmermann an Deck, um, wenn irgend einer der Officiere Miene machen sollte hinunter zu ihnen zu steigen, das verabredete Zeichen zu geben, d. h. irgend etwas Schweres auf Deck fallen zu lassen. Es konnte das ohne Aufsehen geschehen.
Jean war an Deck und schlenderte mit dem Zimmermann langsam den Gangweg auf und nieder. – Er erzählte ihm Geschichten aus der Provence, um ihn beschäftigt zu halten, und es gelang ihm auch so weit, daß er seinen Cameraden vollständig Zeit verschaffte sich zu rüsten. Die einzige Schwierigkeit war jetzt ihre Sachen an Deck zu bringen und von hier damit an Land zu kommen, ohne daß Lärm geschlagen wurde. In dem Fall befanden sie sich nämlich in einer höchst fatalen Lage, da nur ein ganz schmaler langer Weg von dem Werft an dem sie lagen nach Sussexstreet hinaufführte, und eine Masse von Constablern in der Gegend fortwährend auf und ab gingen. Der geringste Lärm konnte einen davon an den Eingang der Straße führen und dann hatte er, wenn er wollte, zwanzig Andere mit Blitzesschnelle zu seiner Hülfe herbeigezogen.
Am besten wäre es gegangen, wenn sie eines der an den Pfählen befestigten Boote geborgt hätten, und damit an das gegenüber liegende Ufer der Bay gefahren wären. Auf jeden Fall konnten sie solcher Art ihre Sachen am leichtesten in Sicherheit bringen. Dort drüben standen auch noch keine, oder nur wenige Häuser, keinenfalls waren Polizeidiener dort. Sie selber brauchten nur bis Georgestreet hinaufzugehen, wo sie die dort einlaufende Bay umgangen hatten, und konnten dann ihr ganzes Gepäck leicht und ohne Verdacht zu erregen quer über Georgestreet in das Wirthshaus zum goldenen Kreuz schaffen.
Es war noch nicht zwölf als der zweite Mate vom Land an Deck kam und nach vorne ging. Jean stand mit dem Zimmermann gerade an der Cambuse, und als er die dunkle Gestalt auf sich zukommen sah, stieß er mit dem Fuß an eine dort zufällig liegende Handspake, nahm sie auf und warf sie von sich, daß sie mit lautem Gepolter auf Deck niederschlug.
»Gott verdamme das verwünschte Holz«, fluchte er dabei, und hielt sich den Fuß – »stößt man sich auf dem sakermentschen Deck auch noch die Gliedmaßen zu Schanden.«
»Was für ein Heidenlärm ist denn das da drüben?« rief der Mate ärgerlich und kam herüber nach Backbord. – »Wer ist da? Jean? kommt Ihr eben erst von Land?«
»Nein, ich bin schon fast eine Stunde mit dem Zimmermann hier auf- und abgegangen.«
»Chips«[3] sagte der Mate, und zog den Zimmermann etwas bei Seite – »haltet Eure Augen offen. – Im Vorcastle war eben, als ich auf Deck kam, noch Licht – jetzt ist's aber aus. Sind die Leute schon lange an Bord?«
»Die letzten kamen vor etwa einer halben Stunde – ich denke sie sind jetzt wohl zu Coye gegangen«, sagte der Zimmermann. »Wie viel Uhr ist's? – es muß bald Mitternacht sein.«
»In fünf Minuten etwa ist's zwölf«, sagte der Mate – »ich will den Steward jetzt wecken, um zwei Uhr löst Ihr ihn wieder ab. Beim geringsten Verdächtigen was Ihr seht, ruft Ihr mich. Ihr könnt zu Bett gehen, Jean«, wandte er sich dann lauter an den indessen weiter nach vorne gegangenen Matrosen. – »Es wird gleich 12 Uhr sein.«
»Soll ich Bill rufen?« frug Jean, der stehen blieb – »ich glaube Bill hat die nächste Wacht.«
»Nein, ist nicht nöthig«, lautete die Antwort. – »Ihr könnt alle zu Coye gehen.«
»Das ist eine schöne Geschichte«, dachte Jean, als er in das Logis hinabstieg, die übrigen mit dem neuen Befehl bekannt zu machen. Vorher lauschte er aber noch eine Weile unter der Logiscap, zu sehen ob ihm auch niemand folge. Als er alles sicher wußte sagte er leise:
»Hallo da – schlaft Ihr?« es war stockfinster und man konnte keine Hand vor Augen sehen.
»Ist das Jean?« frug vorsichtig eine einzelne Stimme.
»Ja«, lautete die ebenso leise Stimme – »habt Ihr alles in Ordnung?«
»Alles in Ordnung«, erwiederte Bill – »ist die Luft rein? meine Wacht muß gleich angehen.«
»Gebt Euch keine Müh«, sagte Jean. »Die Schufte müssen Lunte gerochen haben; wir brauchen die Nacht nicht zu wachen. Wahrscheinlich will der Mate mit dem Zimmermann, und vielleicht auch Steward selber Wache gehen. Der Capitän ist auch schon an Bord, wie mir der Zimmermann gesagt hat.«
»Verflucht noch einmal«, rief der Koch, der es in diesem Fall ganz mit den Matrosen hielt, und sprang mit einem Satz aus der Coye, in die sie sich alle, als sie das Zeichen hörten, hineingeflüchtet hatten. »Jetzt sind wir geleimt.«
»Doch noch nicht«, meinte Jean, der vorher noch einen vorsichtigen Blick nach oben geworfen. »Erst wollen wir einmal abwarten wer die nächste Wache hat, und dann sehen was sich thun läßt – wenn ich nur erst meine Siebensachen in Ordnung hätte. Ein Licht darf ich mir aber gar nicht anstecken, sonst haben wir den Satan gleich wieder auf dem Hals.«
»Hier, nimm die kleine Laterne«, sagte Bill und reichte sie ihm aus der Coye – »die kannst du in deine Kiste setzen, da fällt kein Strahl nach oben.« Jean fühlte sich zu ihm hin, ging in die vorderste Ecke die Kerze darinnen anzuzünden und brachte dann den vollkommen geschützten Strahl sicher in seine Kiste, die glücklicherweise an einer Wand stand und von oben aus nicht leicht gesehen werden konnte. Er brauchte auch nicht lange, mit seinen Sachen in Ordnung zu kommen; um halb ein Uhr war alles gerüstet, das Licht wieder ausgelöscht und Bob wurde jetzt zum Recognosciren an Deck geschickt. Er kam nach zehn Minuten etwa wieder herunter. Der Steward war auf Wache, und kaum hatte er diesen Bericht abgestattet, als der Zimmermann ins Logis kam, sich auszog und zu Coye ging.
Es war jetzt weiter gar nichts zu thun, und Jean faßte schon den Entschluß bis Tagesanbruch noch zu warten, dann aber, wenn sich bis dahin kein anderer Ausweg zur Flucht zeigen sollte, seine Sachen im Stich zu lassen und nur mit seinem Gelde an Land zu gehen, oder, wenn auch das nicht gehen sollte, über die Bay ans andere Ufer zu schwimmen.
Bis zwei Uhr lagen die Matrosen alle in peinlichster Erwartung; keiner schlief, keiner wagte aber auch nur ein Wort zu sprechen, denn der Zimmermann schnarchte nicht und verrieth auch sonst durch nichts, daß er selber eingeschlafen sei. Was da thun?
Ihrer Rechnung nach mußte es bald Tag werden, als der Steward in das Logis herunterkam. Er blieb erst ein paar Minuten stehen und horchte – aus allen Coyen tönte das tiefe regelmäßige Athmen fest Schlafender. Selbstzufrieden und stillvergnügt nickte er mit dem Kopf, fühlte sich dann leise, ja keinen der Leute zu stören, nach des Zimmermanns Coye hin und weckte diesen.
»Wer ist da?« rief der Zimmermann aus tiefem