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August Schrader
Thekla, oder die Flucht nach der Türkei
Novellen
Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2021
EAN 4064066114879
Inhaltsverzeichnis
Das rothe Band oder die Civilehe.
1.
In einer der lebhaftesten Straßen Semlin's prangte an einem freundlichen einstöckigen Wohnhause ein blaues Schild, auf welchem mit großen goldenen Buchstaben die Worte standen »Löwen-Apotheke.« Neben der großen Glasthür, die in das Innere des Hauses führte, stand auf einem weißen Piedestal von Holz die Illustration zu dem Texte im blauen Schilde, nämlich ein kleiner gelber Löwe mit einer Krone, der in seinen Vordertatzen ein dunkelrothes Herz hielt, auf welchem abermals das Wort »Apotheke« in Goldbuchstaben zu lesen war.
Das Erdgeschoß dieses Hauses enthielt außer dem Verkaufslocale und dem Laboratorium noch die Wohnzimmer des Besitzers, deren freundliche mit feinen weißen Gardinen geschmückten Fenster einen scharfen Contrast gegen die dunkeln, unfreundlichen Nachbarhäuser bildeten, die fast alle von Handwerkern und Krämern bewohnt wurden.
Das erste und einzige Stockwerk, obgleich es nur von einem jungen unverheiratheten Advokaten bewohnt ward, stand an Eleganz und Sauberkeit dem Erdgeschosse nicht nach, es zeichnete sich vielmehr durch einen Flor ausgewählter Blumen in den reinlichen Fensterbrüstungen vor demselben aus.
Der Besitzer dieser Niederlage von Heilmitteln war ein Mann von ungefähr fünfzig Jahren und nannte sich Istvan Czabo. Sein Haupthaar war bereits stark ergraut, aber die Lebendigkeit seiner Bewegungen, das Feuer der großen Augen und die mäßige Korpulenz seiner hochgewachsenen Gestalt schienen einem kräftigen Manne von vierzig Jahren anzugehören.
Herr Czabo war seit längerer Zeit schon Wittwer, seine Lebensgefährtin hatte vor zehn Jahren die Cholera hinweggerafft, die damals mit großer Gewalt in der armen Stadt gehaus't. Netti, seine einzige Tochter, zählte bei dem Tode der Mutter nur erst elf Jahre, so daß in ihr eine Stütze für die Wirthschaft nicht zu finden war; der betrübte Wittwer war daher gezwungen, eine Haushälterin zu nehmen, der er die Sorge für die Oekonomie unumschränkt übertrug.
Die Wahl dieser Person war eine glückliche gewesen, denn Meta, eine kinderlose Wittwe, ersetzte vollkommen die waltende Hand der geschiedenen Gattin und half durch Sparsamkeit den Wohlstand ihres Herrn erhöhen.
Netti reifte indeß zu einer blühenden, schönen Jungfrau heran, auf die mehr als ein Dutzend junger Leute aus dem mittlern und höhern Bürgerstande der Stadt sehnsüchtige Blicke warfen. Die Jungfrau hatte auch bald gewählt, der Advokat Ferenz, der den ersten Stock des Hauses bewohnte, war der Auserkorene, beide liebten sich mit dem ersten Feuer der Jugend und der Vater billigte diese Liebe, da Ferenz einer der tüchtigsten Advokaten der Stadt war und ein jährliches Einkommen erwarb, das ihm ein gutes Haus zu führen erlaubte.
Schon seit länger als einem Jahre hatte Herr Czabo die Verlobung seiner Tochter mit dem jungen Advokaten angesetzt, die unglückliche Revolution der Ungarn, die auch Semlin, die äußerste Grenzstadt in steter Gährung erhielt, war dem sorglichen Vater indeß ein Stein des Anstoßes gewesen und die Liebenden mußten sich in Geduld fügen, das Ende der Volkserhebung zu erwarten.
Ferenz liebte aus voller Seele seine junge Braut, er brachte aber die verzögerte Verbindung mit ihr dem Vaterlande gern zum Opfer, da er nicht minder für die Freiheit des Volkes erglühte und ein eifriger Anhänger der Kossuth-Parthei war. Seine Gesinnung durch die That zu bewähren unterließ er aber aus dem Grunde, da er die Abneigung seines künftigen Schwiegervaters gegen den Umsturz des Bestehenden kannte und seine politische Meinung ihm verbergen wollte, zumal Netti ihn mit Thränen in den Augen darum gebeten hatte.
Oesterreich hatte mit Hülfe der russischen Waffen die großartige Erhebung der heldenmüthigen Ungarn unterdrückt, in allen Städten flatterte die schwarz-gelbe Fahne von den Thürmen und die Führer der Volksparthei wurden verfolgt und im Falle man ihrer habhaft ward, vor ein Kriegsgericht gestellt und erschossen oder erhängt.
Die Rachsucht des Siegers erstreckte sich vorzüglich auf den Adel Ungarns, der, nur mit wenigen Ausnahmen, Leben und Gut der Sache der Freiheit geopfert und überall als Vorkämpfer in den Reihen der vaterländischen Armeen gestanden hatte.
Mit der Uebergabe des Görgey'schen Corps fiel eine große Anzahl junger ungarischer Edelleute in die Hände der übermüthigen Sieger, und alle, die als höhere Officiere dem Vaterlande gedient, wurden als gemeine Soldaten in die Reihen der österreichischen Truppen gestellt, um so als willenlose Werkzeuge der Verfolgung benutzt zu werden.
Aber nicht allein den Männern der Revolution galt diese Verfolgung, sondern auch den Frauen, die durch anfeuernde Worte und Geldsummen in dem großen Befreiungskampfe mitgewirkt hatten. Zu diesen Frauen gehörte vor allen die junge Gräfin Thekla Andrasy, die als Herrin eines großen Vermögens die hervorragendste Rolle gespielt hatte. Der große Sieger proscribirte die junge Gräfin und setzte einen Preis von dreitausend Ducaten auf ihren schönen, und wie viele versichern, reizenden Kopf, da sie sich durch die Flucht dem Schicksale ihrer Gesinnungsgenossen entzogen hatte, während ihre Güter der Krone Oesterreichs anheimfielen.
Um