„Bezieht sich auf die Aufnahme der Göttinger Professoren,“ hat Blum in einer Anmerkung zum besseren Verständniß Eines Hohen Theater-Ober-Censur-Collegiums dieser Strophe hinzugefügt. Aber gerade diese Deutlichkeit der Anspielung brachte die Strophe zu Fall. Man war in Dresden in banger Sorge über Dahlmann’s Anwesenheit in Leipzig. Selbst der wackere freisinnige Minister Lindenau berief sich ihm gegenüber auf die 1832er Bundestagsbeschlüsse[22]. Nur Albrecht duldete man und stellte man an, da gegen ihn der welfische Rachezorn bei weitem geringer tobte, als gegen den Führer der Sieben. Unter solchen Umständen durfte natürlich die Regierung zu Königs Geburtstag nicht erinnert werden an ihre großen Worte, da die Armseligkeit ihrer Thaten bald aller Welt kund werden sollte.
Oben ist schon angedeutet worden, daß die Leipziger Messen Robert Blum auch in rege persönliche Verbindung mit hervorragenden, an öffentlichen Angelegenheiten lebhaft theilnehmenden Männern der Provinz brachten. Die zwanglose gesellige Form des Blum’schen Kreises, persönliche Beziehungen zu dem einen oder andern Mitgliede dieses Kreises führte nach und nach fast alle bedeutenderen Männer der Provinz, die in den Messen oder außerhalb derselben Leipzig berührten, in diesen Kreis: den wackeren Weber Franz Rewitzer aus Chemnitz, die rührigen Fabrikanten Böhler und Mammen aus Plauen im Voigtland, zahlreiche Buchhändler und Verleger aus ganz Deutschland, die Abgeordneten der Sächsischen Kammer Dieskau, Todt, später Braun und zahlreiche Andere, die in den kommenden Jahren eine nicht unbedeutende Rolle in der Geschichte ihres engeren und weiteren Vaterlandes gespielt haben. Mit ihnen allen fast hat Blum die persönlich in Leipzig geknüpften Beziehungen in regem Briefwechsel unterhalten und auf diese Weise stets ein treues, durch die Erweiterung seines Freundeskreises immer umfassenderes Bild von dem politischen Leben der Provinz erhalten.
Das Jahr 1837 sollte nicht scheiden, ohne die Wunde, welche die Untreue der Auguste Forster in Blum’s Herzen zurückgelassen, vollständig zu heilen und ihm das schönste Glück für die Zukunft zu verheißen. Schon im Sommer 1837 meldete er den Seinen nach Köln, daß er ein junges Mädchen kennen gelernt habe, das ihn mächtig anziehe. Im Frühjahr desselben Jahres war er durch einen Freund, Ferd. Mey, in dessen elterliches Haus in Leipzig eingeführt worden. Dieses Haus lag an der Dresdener Straße, unweit des äußeren Grimmaischen Thores, das vierundzwanzig Jahre zuvor die Königsberger Landwehr unter Friccius gestürmt hatte. Noch hafteten überall die Kanonenkugeln der Völkerschlacht in den Mauern der Häuser. Jenseits des Thores, wo das Mey’sche Haus zur Rechten lag, war damals fast Alles noch Garten. Mit der Rückseite stieß das Besitzthum an das üppig-grünende Heiligthum des Johanniskirchhofes. Wer konnte ahnen, daß auch der jungen Liebe, die dort emporkeimte, die Trauerweide des Friedhofes in so furchtbarer Nähe erwachsen sollte!
Ein achtzehnjähriges Mädchen (geboren 1. Mai 1819) war Adelheide Mey, als Robert Blum sie zuerst kennen lernte; in kleinbürgerlichem, leidlich wohlhabendem Hause, unter den Blumen und Bäumen des Vaters war sie aufgewachsen, ein Naturkind, schlicht, offen in allen Empfindungen und Gedanken, gleichgültig fast gegen alle tiefsten Zweifel des Menschenherzens, da keiner dieser Zweifel noch den Frieden ihrer Seele getrübt hatte, bis der geistvolle neue Freund leise tastend ihrem Glauben, ihrer Erkenntniß nachspürte. So zog ihr Wesen, ihre Erscheinung den Vielgeprüften mächtig an, gerade wegen des Gegensatzes ihrer Art und Entwickelung zu der seinen. „Jeder Schritt in das Leben war ihr neu, reizend,“ schreibt Blum später an seine Eltern, „es war mir vorbehalten, sie jeden dieser Schritte zu führen, und ihr freudiges Erwachen zu einer höheren Erkenntniß, zu einem geistigeren Lebensgenusse, war mein süßester Lohn. Auch erhob sie sich in geistiger Beziehung mit jedem Tage; ich sah sie gedeihen unter meiner Leitung wie eine sorgsam gepflegte Blume und freute mich so innig an ihrer immer reicheren Entfaltung.“
Sehr bald schloß sich der Bund der jungen Herzen. Die Eltern und Brüder der Braut waren der Werbung gewogen; der Vater liebte Blum wie seinen besten Sohn, und bis an Blum’s Ende hat der kreuzbrave schlichte Mann große Stücke auf den Schwiegersohn gehalten. Das Bild Adelheids steht vor mir in Lebensgröße; sie ist vom Maler Storck in Oel gemalt, in ihrem blaßblauen Brautkleide, das dunkle Haar kunstlos und kurz in Locken um die Stirn ausgehend, das braune Auge lebhaft, die Lippen üppig, Gesicht und Gestalt lieblich, aber in Nichts ungewöhnlich; doch Maler Storck war kein Schmeichler.
In der Nummer des Tageblattes und der Leipziger Zeitung vom 3. Februar 1838 war die Verlobung des Paares öffentlich angezeigt worden. Am 1. Mai 1839, dem neunzehnten Geburtstage Adelheids, widmete ihr Robert ein Gedicht, das beginnt: „Ein schöner Maitag gab Dir einst das Leben,“ und das endet mit der Frühlingshoffnung des Bräutigams, der in wenig Wochen Gatte werden sollte: „Und unser Leben wird ein Maitag sein.“ Ja — ein Maitag, ein kurzer Frühlingstag, in der That! Um in Leipzig heirathen zu können, mußte der Kölner Robert Blum zuerst in Sachsen staatsangehörig werden. Die einfachste Form hierzu war die Erwerbung eines Grundstückes. Am 20. April bucht er „Kaufgeld für das Haus und Kosten 126 Thlr. 6 Gr.“ Es war eine Breterbude in der Nähe Leipzigs. Am 21. Mai fand die Hochzeit statt. Da gab das ganze Theater dem beliebten Secretär Beweise seiner freundlichen Zuneigung in Versen, Gratulationen, Geschenken. Regisseur Düringer hatte sich in Dichtkunst gewaltig angestrengt. In der ersten Etage des Mey’schen Hauses wohnte das junge Paar seit der Hochzeit.
Die Mußestunden jener glücklichen Wochen füllte die Arbeit am Theaterlexicon, mit dessen Plan und Vorarbeiten sich Blum schon lange getragen hatte und das nun bald erscheinen sollte. Am 29. Juni 1838 hatten Blum, Herloßsohn und Marggraff mit dem Major Pierer in Altenburg und Carl Heymann „aus Berlin“ als Verleger, einen schriftlichen Verlagsvertrag über das Unternehmen abgeschlossen, das unter dem Titel „Allgemeines Theaterlexicon“ in drei Bänden von höchstens 75 Bogen in Duodez erscheinen sollte. Für den Druckbogen zahlten die Verleger drei Friedrichsd’ors; bei einem Absatz von zwei Dritteln der Auflage, die auf 3500 Exemplare bemessen wurde, sollte noch eine Nachzahlung von 14 Gr. pro Bogen stattfinden. Ursprünglich war statt Marggraff’s Dr. Carl Andree als Mitredacteur in Aussicht genommen. Andree hatte den Plan und die Vorarbeiten wesentlich fördern helfen. Aber seine Berufung nach Mainz hinderte ihn, an der Ausführung des ihm selbst lieben Planes mitzuwirken. Leider führte dieser Vorfall zu einem völligen Bruche mit Düringer, der sich eingebildet hatte, er werde an Andree’s Stelle in die Redaction berufen werden. Den gekränkten Biedermann trieb die Leidenschaft soweit, daß er zusammen mit dem Inspicienten des Leipziger Stadttheaters, Barthels, der nicht einmal orthographisch schreiben konnte, an einem Gegenwerke arbeitete, welches das Theaterlexicon Blum’s und seiner Freunde todt machen sollte. Dieser Plan ist freilich mißlungen. Blum’s Theaterlexicon darf noch heute als ein fleißiges, gründliches, seinen Stoff vollkommen beherrschendes, durchaus ehrenwerthes Werk bezeichnet werden, das zu der Zeit, wo es erschien, zweifellos eine wesentliche Lücke der Literatur ergänzte und auch heute noch für die Geschichte der Theater, namentlich die Theaterzustände vor vierzig Jahren, mit Nutzen gebraucht werden kann. Unter allen schriftstellerischen Arbeiten, die Blum hinterlassen, steht es in unsern Augen am höchsten, weil der Verfasser bei diesem Werke seinen Stoff am vollständigsten beherrschte — während das z. B. in seinem Staatslexicon durchaus nicht der Fall war — und am wenigsten Tendenz hineintrug, vielmehr rein sachlich und mit weiser Objectivität arbeitete. Auch kam dem Werke zu Gute die Mitarbeiterschaft einer großen Anzahl praktischer Kenner der Sache, in deren Herbeiziehung Blum unermüdlich war. Schon bei Abschluß des Verlagsvertrages mit Pierer und Heymann, der seit der Ostermesse 1838 allerdings in den Grundzügen schon verabredet war, hatte die Zahl der Briefe, die Blum in Sachen des Theaterlexicons an die Mitarbeiter geschrieben, bereits vierhundert überschritten.
Die Beziehungen zu Pierer und Heymann und eine lohnende Arbeit, welche Blum unerwartet im August übertragen wurde (die Durchsicht und Correctur eines Lexicons) machten es ihm möglich, nachträglich, gegen Ende August noch eine Hochzeitsreise anzutreten. Diese Reise, mit ihrer langen, achtzehnstündigen Postfahrt und den vielen Gastereien, welche die Freunde in Berlin boten, war bei dem Körperzustand der jungen Gattin ein starkes Wagniß, das leider in der verhängnißvollsten Weise enden sollte. Am 9. September 1838 schrieb Robert Blum darüber an seine „lieben Eltern.“
„Im Juli ersuchten mich unsere Verleger im Interesse unseres Unternehmens und auf ihre Kosten eine Reise nach Berlin zu machen, was ich auch zusagte. Meine