eben im Begriffe, die Zuchtlosigkeit und die Geneigtheit zu Vertragsbruch, die in erschreckendem Maße unter den heutigen Lehrlingen — in Folge bekannter Hetzereien — sich ausbreitet, durch gesetzliche Bestimmungen einzuschränken. Wir würden es einfach für unmöglich halten, daß heute ein Meister wagen sollte, seinen Lehrling nur als den Sclaven der Launen aller Hausgenossen und außerdem als „Mädchen für Alles“ zu benutzen ohne auch nur den Versuch zu machen, den Lehrling in dem Gewerbe zu unterrichten, das er lernen soll. Der starke Arm des Gesetzes schützt auch den Aermsten und Schüchternsten vor solcher Ausbeutung. Robert Blum dagegen hat mehr als einmal Lehrherren von diesem Schlage kennen gelernt.
Lange hatte der dreizehnjährige Knabe nachgesonnen, welchem Handwerke er sich zuwenden solle, als die Pforten des Gymnasiums sich ihm für immer geschlossen hatten. Seine Eltern ließen ihm freie Wahl. Robert entschloß sich, Goldschmied zu werden. Das edelste der Metalle, den Rohstoff, auf dessen Besitz das einzige Streben vieler Millionen unablässig gerichtet ist, wollte er bearbeiten und zu schmückendem Zierrathe künstlerisch gestalten lernen. Tiefer Sinn lag in dieser Berufswahl, die der denkende Knabe gewiß mit vollem Bewußtsein traf. Da nun einmal das reine Gold der Wissenschaft, das er ohne jeden unedeln Beisatz auszumünzen hoffte, seinen Händen für immer entrückt war, so wollte er wenigstens täglich jenes wichtigste Element unter den Händen haben, das so Viele noch höher schätzen, als das reine Gold der Wissenschaft. Seine Eltern billigten die Wahl. Robert wurde zum Goldarbeiter Asthöver in der Mauthgasse in die Lehre gebracht.
Es ist nun eine von allen bisherigen Biographen Robert Blum’s mit rührender Einstimmigkeit berichtete Fabel, deren „Moral“ nicht erst erläutert zu werden braucht: Robert habe bei Asthöver — den Namen des Meisters nennt übrigens keiner der bisherigen Biographen — ein halbes Jahr lang Draht gezogen, ausgeglüht und als erste selbstständige Arbeit endlich Ketten machen sollen, dazu aber habe er sich vollständig unfähig erwiesen. „Allerdings war sein späteres Streben nur darauf gerichtet, alle Ketten zu sprengen, welche die Menschheit noch ihrer Freiheit berauben“, bemerkt einer dieser gemeinplatz-wandelnden Biographen. Aus diesem Grunde soll Robert von dem Meister, den man sich nach der Nutzanwendung der Fabel eigentlich als ränkeschmiedenden Reactionär vorstellen müßte, fortgejagt worden sein. Allein diese allerliebste Geschichte hat nur den einen Fehler, daß sie nicht wahr ist. Nach den Familienaufzeichnungen, die wir eben wegen ihrer Schmucklosigkeit und Tendenzlosigkeit und ihrer Fülle von Detail und Localfarbe für völlig glaubhaft halten dürfen, hat sich die Sache so zugetragen:
Meister Asthöver war ungefähr das, was man im gewöhnlichen Leben einen guten Menschen, aber schlechten Musikanten nennt. Er scheint seinerseits einen ansehnlichen Beitrag zu der den Franzosen und anderen lateinischen Völkern völlig unbegreiflichen deutschen Volksvermehrung geliefert zu haben. Wenigstens hat Robert während der neun Monate seiner Lehrzeit bei Asthöver außer den Functionen der Magd auch diejenigen des Kinderwiegens, -Tragens und -Laufenlehrens, kurz alle Aufgaben eines ersten Erziehers überkommen und vollzogen. Und wahrscheinlich wäre bei längerer Fortdauer seiner Lehrzeit in dieser Art von Werkstatt derselbe Kreislauf der Pflichten ihm noch mehr als einmal beschieden gewesen. Jedenfalls war es nicht der Fehler Asthöver’s, daß dies nicht der Fall war. Vielmehr klagte Robert Blum selbst seiner Mutter nach dreivierteljähriger Lehrzeit, daß er die Werkstatt des Meisters kaum zu sehen bekomme, und meist nur als Kinderwärter, höchstens als Küchenjunge verwendet werde. Die Mutter, welche die Wahrheitsliebe ihres Robert schon so oft erprobt hatte, ging zu Asthöver und beschwerte sich über den Mißbrauch. Da fand auch der biedere Meister eine flotte Ausrede. Er erklärte, daß er den kurzsichtigen Knaben mit den schwachen Augen zur Berufsarbeit nicht brauchen könne. Wann und wie lange er diese betrübende Entdeckung gemacht, verrieth er der Mutter nicht. Zum Kettenschmieden ist Robert jedenfalls nicht gekommen.
Es scheint, als habe Robert nun zunächst den Zufall über seine Berufswahl bestimmen lassen. Bei einem Gürtler war eine Lehrstelle offen. Er nahm sie an. Aber nach einem halben Jahre schon war auch dieser Berufszweig verdorrt; denn der Meister mußte wegen verschiedener schlechter Streiche, welche die Nachfrage der Behörden nach seiner werthen Person in bedenklichem Maße steigerten, Köln verlassen und das Weite suchen.
Zum dritten Mal stand also Robert in dem ärmlichen Hause der Eltern vor der dringenden Frage: „was nun?“ Da wurde durch die Zeitung bekannt gemacht, daß ein Gelbgießer in Köln einen Lehrling suche. Robert bot sich sofort an. Der ehrsame Meister, der den Lehrling suchte, war Peter Räder, Gelbgießer aus Düsseldorf, seit Kurzem erst nach Köln gezogen. Robert gefiel dem Meister sehr, und der Contract wurde daher sofort geschlossen. Ob das Gefallen auf Gegenseitigkeit beruhte, wissen wir nicht. Jedenfalls verbreiteten sich bald die schlimmsten Gerüchte über die Vergangenheit des Meisters. Er sollte in Düsseldorf seine Frau so lange gequält und geärgert haben, bis sie habe in’s Grab steigen müssen. Nach Köln sei er nur gezogen, um seinen Schwägern aus den Augen zu kommen, die ihm Rache geschworen. Vor Robert hatte er einen Lehrling gehabt, der aus Aerger über des Meisters stetes Zanken und seine Unzufriedenheit mit jeglicher Leistung erst die Gelbsucht bekommen hatte, dann an der Auszehrung gestorben war.
Das Verhalten Räder’s Robert gegenüber rechtfertigte vollkommen diesen bösen Leumund. Dieser Meister der Gelbgießerei zeigte sich geizig, zänkisch, kleinlich und von Herzen bösartig. Gleichwohl suchte Robert durch vier lange Jahre es ihm recht zu machen, um nur von sich selbst den drückenden Verdacht abzuwehren, als sei er unstet und ungeschickt, unwillig zum Lernen eines ordentlichen Handwerkes. Niemals gewann er in dieser langen Zeit von seinem Meister die geringste Aufmunterung, das bescheidenste Zeichen der Zufriedenheit. Daß der Meister mit Robert nicht fortwährend zankte, war schon ein Beweis der treuesten Pflichterfüllung des Lehrlings.
Ein Vorkommniß ist besonders bezeichnend für den Charakter dieses Lehrherrn. Räder erhielt eines Tages eine große Bestellung von Seiten des Militärfiscus, wie wir heute sagen würden. Eine sehr erhebliche Anzahl der mit einzelnen Messingplättchen belegten, spitz zulaufenden Riemen an den Czakos der (preußischen) Soldaten sollte in größter Eile geliefert werden. Räder konnte nur durch ungewöhnliche Anstrengung aller seiner Leute hoffen, die lohnende Arbeit in der vorgeschriebenen Zeit zu bewältigen. Er sicherte daher Allen, die vier bis fünf Stunden des Nachts während sechs Wochen an dieser Arbeit mit helfen würden, einen bestimmten Lohnsatz pro Stunde für diese Extraarbeit zu. Robert speciell versprach er für jede dieser Arbeit geopferte Nacht fünf Groschen. Freudig ging das junge Blut auf dieses Angebot ein. Fortan kam Robert Abends acht Uhr, wie sonst, zum Essen nach Hause und ging vor zehn Uhr wieder an die Nachtarbeit. Bis drei Uhr Nachts war er thätig. Dann gönnte er sich im Hause des Lehrherrn einige Stunden Ruhe, kam zum Frühstück nach Hause und ging, wie gewöhnlich, um sieben Uhr an sein Tagewerk. Voller Freude sprach er mit den Seinen von der schönen Summe Geldes, die er sich durch das Opfer seines Schlafes erkauft habe. Mit der reichen Hoffnung der Armuth malte er sich schon eine königliche Bescheerung aus, die er sich selbst leisten werde. Nun waren die schweren sechs Wochen um. Die Gesellen, die jede Woche, auch für die Nachtarbeit, abgelohnt worden waren, hatten längst ihr Geld in der Tasche. Räder hatte ein vortreffliches Geschäft gemacht. Aber Robert erhielt nichts; kein Wort des Lehrherrn verrieth dessen Absicht, sich dem armen Lehrling gegenüber an das gegebene Versprechen zu erinnern. Endlich geht die Mutter entschlossen zu Räder und bittet um das Geld für ihren Sohn. Da meint der Meister: „es sei doch spaßhaft, wenn selbst der Lehrling komme und seine Mühe bezahlt haben wolle. Wenn Arbeit da sei, müsse eben der Lehrling arbeiten — dafür sei er Lehrling; auf ein bischen mehr oder weniger komme es nicht an.“ Dabei blieb es. Kein Pfennig war aus dem hartherzigen Knauser herauszupressen. Von diesem Tage an fehlte es nun für Robert auch an stetem Zanken und Schelten nicht. So meinte Räder am bequemsten die Stimme des Gewissens zu übertäuben.
Endlich waren auch diese vier bösen Jahre um. Robert zählte neunzehn Jahre, als er zum Gesellen gesprochen wurde (November 1826). Aber der Geselle und der Prophet gelten nichts in ihrem Vaterlande. Beide müssen wandern. Auch Robert wanderte, natürlich nicht als Prophet, sondern als Gelbgießergeselle. Diese Tage der Wanderschaft kann ich nun auf Tag und Stunde, an der Hand der eigenen Aufzeichnungen des Wanderers verfolgen. Robert Blum hat nämlich durch seine Wanderjahre ein „Reise-Journal“ geführt. Das ist der früheste eigenhändig von ihm geschriebene und, was die Glaubwürdigkeit erhöht, auf der Wanderschaft selbst