Blum Hans

Robert Blum: Ein Zeit- und Charakterbild für das deutsche Volk


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die unendliche Gestaltungskraft der Natur in aller Fülle und Mannigfaltigkeit. Im Jahre 1814 erst hatte König Maximilian der Erste begonnen, das enge und traurige Nest, das in seinem Aeußeren seit 1791 noch immer aussah wie eine geschleifte Festung und sich seit 1806 noch nicht ordentlich als Residenz hatte fühlen lernen, in eine stattliche, heitere Königsstadt umzuschaffen. Und dieses Werk hatte König Ludwig der Erste mit augusteischer Freigebigkeit und kunstsinniger Prachtliebe fortgesetzt. Eben als Robert in München eintraf, war unter Klenze’s Leitung das neue Hoftheater nach dem Brande von 1823 in vollendeter Schönheit aus dem Schutte erstanden, die herrliche Glyptothek ihrer Vollendung nahe, dem öffentlichen Besuch bereits geöffnet, der Königsbau des Alten Schlosses am Max-Joseph-Platz, die Alte Pinakothek und andere Prachtbauten im Entstehen begriffen. Durch den Reichthum und die Bedeutung seiner Kunstschätze, vor Allem durch die Sculpturensammlung der Glyptothek, überragte München damals unstreitig alle anderen deutschen Städte bei weitem, obwohl die Stadt kaum mehr als fünfzig- bis sechszigtausend Einwohner gezählt haben mag. Dazu nun das ganz eigenthümliche, von den Gewohnheiten des Rheinländers so weit abliegende und doch jeden Fremden so gemüthlich anheimelnde Volksleben des altmünchener Bürgers, mit seinem trockenen Humor, seiner biederen Schwerfälligkeit und genußfreudigen Behaglichkeit. Alles das hat Robert lebhaft angezogen und gefesselt. Die Architektur- und Kunstschätze der schönen Kirchen Münchens, die Hoftheater, die Gemäldegallerie und Glyptothek, das polytechnische, anatomische und naturhistorische Museum, vor Allem aber die königliche Bibliothek hat er, nach seinem Reisejournal, fleißig besucht.

      Alle Freistunden des Tages widmete er dieser Bereicherung seines Wissens, seiner Geschmacks- und Kunstbildung; der Abend wurde so oft als möglich im Theater, ein guter Theil der Nacht in ernsten Studien in allen möglichen Fächern des Wissens, in denen Robert bei sich Bildungslücken entdeckt hatte, hingebracht. In dieser Hinsicht war die Reise mit Schmitz von Köln nach München von großer Wichtigkeit für Robert gewesen. Sie hatte ihm bei sich selbst überall eine, wie er meinte, fast bodenlose Unwissenheit enthüllt, an deren Ausfüllung er nun mit eisernem Fleiße arbeitete. Leider sind auch aus diesen Tagen Briefe Robert’s an die Seinen nicht erhalten. Dagegen finde ich in seinem „Stammbuche“ Blätter von den wenigen jungen Männern, mit denen er in München Anknüpfung suchte, welche beweisen, daß er damals mit größtem Eifer insbesondere philosophischen Studien nachgegangen sein muß und das Bedürfniß empfand, das in der Stille der Nacht beim Lampenschein aus weltweisen Büchern in sich Aufgenommene mit den Freunden zu durchsprechen. Einige der Genossen scheint der metaphysische Gelbgießer, nach ihren Stammbuchblättern zu schließen, beinahe bis über die Grenzen vernünftiger Erkenntniß hinaus gefördert zu haben. Sicher ist, daß Robert sich sowohl in München, wie später in Berlin, seiner sorgenlosen Freiheit vollkommen würdig gezeigt, von jeder Verirrung, welche die fröhliche Großstadt nahelegen und leicht verzeihen mochte, ferngehalten hat.

      Auf demselben Wege, den er auf der Hinreise genommen, kehrte Robert Ende November nach Heidelberg, von dort über Mannheim und Worms nach Hause zurück, wo er am 12. December eintraf; jedoch nur, um bereits am 15. Elberfeld aufzusuchen, wo er bis zum 20. September 1828 in der Gesellschaft Schmitz’ verweilte, da dieser sein Geschäft dahin verlegt hatte. Hier wußte er sich seinem Principal immer unentbehrlicher zu machen. In jeder Freistunde aber, namentlich in der Nacht, wurde an der Erweiterung des Wissens und der Bildung gearbeitet, auch die erste sehr bescheidene Grundlage einer eigenen Bibliothek gelegt. Nur ganz vorübergehend ist er im September und October 1828 auf einer Geschäftsreise nach Coblenz und Kreuznach bei den Seinen in Köln gewesen. Auch dort hatte sich inzwischen Manches besser gestaltet. Die garstige Mutter des Stiefvaters Schilder war schon seit zehn Jahren todt, die eine der beiden zänkischen Stieftanten war ihr bald in’s Grab nachgefolgt, die andere hatte Köln verlassen. Dadurch war das Verhältniß seines Stiefvaters zu seiner Mutter ein wesentlich besseres geworden. Im November 1819 hatte diese das erste lebende Kind zweiter Ehe, Elise, und nach zwei weiteren bösen Wochenbetten am 20. März 1827 das letzte Kind, Agnes, geboren. Dadurch war freilich auch neue Sorge in das Elternhaus eingekehrt. Am 12. October theilte Robert den Eltern mit, daß Schmitz beabsichtige, einen Theil seines Geschäfts nach Berlin zu verlegen, und ihn dorthin mitnehmen wolle. Auf unbestimmte Zeit nahm er Abschied von den Seinen.

      In der That wurde dieser Aufenthalt in Berlin zu dem längsten, freudigsten und bedeutsamsten, den Blum seiner Verbindung mit Schmitz verdankte. Am 24. November 1828 wurde die Reise von Elberfeld aus angetreten. Sie führte über Iserlohn, Paderborn, Warburg nach Kassel — dessen herrliche Umgebungen tiefen Eindruck auf Robert machten — dann nach Münden, Göttingen, Mühlhausen, Langensalza, Gotha, „Erfurth“ und Weimar — mit Behagen verzeichnet er in seinem Reisejournale jede landschaftliche Schönheit, welche ihm die Winterreise durch Norddeutschland bietet. Nirgends sucht er seinen Genuß zu verkümmern durch Vergleiche mit dem so viel verschwenderischer ausgestatteten, im Sommer besuchten Süden. Vom Weine Naumburgs sagt er höflich, er sei „dem Moselwein an Geschmack ähnlich“. Mit Andacht erblickt er bei Merseburg in der Ferne das Schlachtfeld von Lützen, tritt er in Wittenberg an Luther’s und Melanchthon’s Gruft. Dann aber schreibt er in sein Reisejournal am 21. December: „Jenseits der Elbe nimmt die Fruchtbarkeit allmählich ab und nicht weit von ihren Ufern beginnen die einförmigen, traurigen und unabsehbar-flachen Sandwüsten, die sich bis zur Ost- und Nordsee fortziehen und nur selten von einzelnen Hügeln desselben Stoffes unterbrochen werden. Auf den reizenden Fluren dieser deutschen Sahara erblickt man nichts als elende Dörfchen, magere Tannenwälder und nur zuweilen pflanzen sich auf kleinen, sehr mühsam bearbeiteten Sandflächen verkrüppelte Haber- und Kornähren und etwas Kartoffeln fort, die den genügsamen Bewohnern ihre kärgliche Nahrung geben; nicht selten aber giebt es auch unabsehbare Strecken, auf welchen weder ein Strauch noch ein Gräschen fortkommen kann. Daß es Ausnahmen und einzelne fruchtbare Stellen giebt, ist bekannt; allein sie sind selten!“ Von dem heldenmüthigen Kampfe, den in dieser „deutschen Sahara“ das preußische Volk mit der Ungunst der Elemente durch Jahrhunderte geführt, um den Boden überhaupt culturfähig zu machen, und wie durch diesen Kampf nicht am wenigsten die Entwickelung des Charakters jenes deutschen Volksstammes möglich wurde, der vereint mit seinem hochsinnigen Fürstenhause die ebenso feindseligen Naturgewalten bändigte, welche der Gründung eines deutschen Nationalstaates entgegenstanden, davon konnte der heißblütige junge Rheinländer freilich damals noch keine Ahnung haben. Er urtheilte vorläufig so herb und verächtlich über Preußen, wie die meisten seiner Heimathsgenossen damals thaten. Und noch nachdem er Berlin kennen gelernt, und dieser Stadt die wichtigste Förderung seiner Kenntnisse verdankte, schrieb er, allerdings in tiefster gemüthlicher Depression, in Oranienburg in sein Reisejournal: „Die Gegend ist sandig, traurig und einförmig, kurz preußisch.“

      Noch in ganz anderem Maße als in München wurde ihm in Berlin Gelegenheit geboten, seine Kenntnisse zu vervollkommnen, alle Lücken seiner Bildung zu ergänzen. Mancherlei Ursachen wirkten hierfür zusammen. Trotz seiner noch nicht 200,000 Einwohner und der gegen die „Präsidialmacht“ Oesterreich in deutschen Angelegenheiten — mit Ausnahme der Zoll- und Handelspolitik — äußerst vorsichtigen Politik der Regierung Friedrich Wilhelm’s des Dritten, war Berlin doch schon damals unzweifelhaft die geistige Hauptstadt Deutschlands. Solche Vielseitigkeit von Interessen vertrat keine Stadt in so vorzüglicher Weise wie Berlin. Es ist ein schönes Zeugniß sowohl für die Klarheit der Beobachtung, wie für die Gerechtigkeit Robert Blum’s, daß er sehr bald nach seiner Ankunft in Berlin in sein Reisejournal schrieb: „Prächtige Haupt- und Residenzstadt, ohnstreitig die schönste in Deutschland.“ So schrieb der junge Mann, der noch begeistert war von den Kunstschätzen und Kunstbauten Münchens und sehr gering dachte vom „traurigen preußischen Wesen“. In der That hatte aber auch Berlin damals eben durch Schinkel’s und Rauch’s geniale Schöpfungen auch in künstlerischer Hinsicht ein ganz neues Gepräge gewonnen. Alle die monumentalen Bauten und Bildwerke, die sie bis zu Robert’s Ankunft in Berlin geschaffen, feiert dieser begeistert in seinem Journal. Ebenso entzückt ist er von den älteren Meisterwerken Schlüter’s und Anderer, dem Brandenburger Thor, den Kunstsammlungen Berlins, für deren Schätzung sein Verständniß in München geschärft war. Freudig ergeht er sich in den einzig-schönen Anlagen des Thiergartens, die Lenné kurz zuvor in einen der herrlichsten Parks der Welt umgeschaffen hatte. Hier überkommt ihn auch ein Begriff von der gewaltigen, fast heroischen Arbeit, die dazu gehörte, auf solchem Boden diese Stadt und Umgebung