Ocean, 9. Februar 1878.
Seit heute Mittag liegt auch Valparaiso hinter uns und damit eine ununterbrochene Kette von Festlichkeiten und Vergnügungen, welche uns dort während unsers neuntägigen Aufenthalts geboten wurden. Am letzten Januar hatten wir vormittags im Hafen geankert. Schon mit Tagesanbruch war das hohe, die Bai von Valparaiso umrahmende Bergland zu sehen, welches allerdings im Vergleiche zu den im Hintergrunde liegenden Anden so ziemlich verschwindet, obgleich wir diese nicht einmal in ihrer ganzen Größe und Majestät zu Gesicht bekommen haben, da sowol auf dem 7000 m hohen Aconcagua wie den übrigen Bergriesen während der ganzen Dauer unsers Aufenthalts Wolken lagen, welche die Kuppen und Gipfel dieses mächtigen Gebirgszugs unsern Augen entzogen.
Valparaiso bedeutet bekanntlich „das paradiesische Thal“, eine Benennung, welche schwer zu verstehen ist, da die Stadt weder in einem Thale liegt, noch der kahle Bergrücken, auf welchem sie erbaut ist, den Vergleich mit einem Paradies beanspruchen kann. Allerdings soll in der Regenzeit das ganze Land um die Stadt herum, der ganze Berg bis zu seinem Kamm, von einer dichten Decke frischer saftiger Gräser, Moose und Kräuter überzogen sein, welche die Feuchtigkeit aus der Erde hervorzaubert; jetzt aber war alles kahl und dürr, da Wälder ganz fehlen. Deshalb verdankt der Name seinen Ursprung wahrscheinlich den verschiedenen in der nächsten Umgebung der Stadt gelegenen schönen und fruchtbaren Thälern, wenngleich auch sie eine so überschwengliche Bezeichnung kaum verdienen.
Die Stadt ist am Fuße eines 400 m hohen, steilen Gebirgszuges, welcher, wie schon angeführt, die Bai von Valparaiso umschließt, angelegt und zwar auf Hügelwellen, welche dicht nebeneinander und rechtwinkelig zum Ufer liegend nach oben zu allmählich mit der Hauptwand des Bergrückens verlaufen. Die Stadt kann, wenngleich sie unten am Strande einige schöne breite Straßen und einen großstädtischen Verkehr hat, doch nie den vollen Eindruck einer Großstadt machen, weil die dazu erforderlichen Gebäude fehlen. Denn Valparaiso steht auf einem so unsichern Boden, daß die Regierungsgebäude, Kirchen und Privatpaläste niedrig gehalten und, in der Regel nur aus einem Erdgeschoß bestehend, leicht gebaut sind, um den häufigen Erdbeben besser widerstehen zu können oder beim Einsturz möglichst wenig Schaden anzurichten. Einige stets vorhandene Häusertrümmer und klaffende Risse in einzelnen Straßen zeigen, daß eigentlich ununterbrochen solch kleinere Katastrophen eintreten. Die Menschen sind sich der sie stets bedrohenden Gefahr auch wohl bewußt, gehen allabendlich nur mit Sorge zu Bett, weil sie nicht wissen, was die Nacht ihnen bringen wird. Wie der Soldat sich im Felde, ehe er zur Ruhe geht, stets versichert, daß seine Waffe in Ordnung und ihm zur Hand ist, so geht in Valparaiso niemand zu Bett, ohne sich vorher sein eigens für den Zweck angefertigtes Erdbebengewand, in welches er nur hineinzuschlüpfen braucht, an seinem Lager zurechtgelegt zu haben, um bei dem ersten Alarm gleich auf den vor dem Schlafzimmer liegenden freien Hof eilen zu können. Diese Umstände machen die Wohnungsverhältnisse trotz der leichten Bauart der Häuser äußerst kostspielig, weil die vielen reichen Leute sich in der Zahl ihrer Wohnräume nicht beschränken wollen und daher sehr viel Baugrund für ihre Häuser beanspruchen. Oft ist ein solches Wohnhaus ein kleines Stadtviertel für sich, und selten liegen mehr als vier Häuser, je von einer Familie bewohnt, in einem von vier Straßen begrenzten Viertel.
Solche Wohnungen haben nun zwar den großen Vortheil, daß man innerhalb seines Hauses keine Treppen zu steigen braucht, derselbe wird aber dadurch aufgehoben, daß man bei dem Verkehr mit der Stadt fast immer treppauf und treppab muß. Die untern am Strande gelegenen Straßen haben allerdings gute Pferdebahn und auch eine Ringeisenbahn für den innern Personenverkehr; da aber in diesen Straßen vorzugsweise nur öffentliche Gebäude und Geschäftshäuser stehen und die Privatwohnungen höher hinauf auf den Hügelwellen liegen, so kann man die Bahnen wol benutzen, um zu dem Fuß der verschiedenen Hügel zu gelangen, muß aber von der Bahn bis zur Wohnung, oder umgekehrt, Straßen passiren, die so steil sind, daß sie vielfach in Treppen umgewandelt wurden, weil sie sonst überhaupt nicht begangen werden könnten.
Einen durchaus großartigen Anblick bietet dagegen der Verkehr auf dem Hafen, da Valparaiso wol mit zu den bedeutendsten Handelsplätzen der Erde gerechnet werden muß. Die großen einheimischen und fremden Kriegsschiffe, die vielen fast täglich hier ankommenden und abgehenden Passagier- und Fracht-Dampfer, die große Zahl der Segelschiffe, welche noch immer den Weg um das gefürchtete Cap Horn nehmen müssen und daher nur aus großen und guten Schiffen bestehen, die vielen an der Landungsbrücke sich drängenden Boote, der durch die dort versammelten Menschen verursachte Lärm, die vorbeipassirenden Pferdebahnwagen und Eisenbahnzüge geben hier das Bild des Getriebes einer Weltstadt.
Von der Stadt und ihren Bewohnern weiß ich sonst nichts zu erzählen, weil ich von beiden zu wenig gesehen habe. Dienstgeschäfte am Tage und die nicht zu umgehende Geselligkeit an den Abenden nahmen meine Zeit ganz in Anspruch. Reizend waren die kleinen Feste in dem gastfreien Hause unsers Generalconsuls, welches den geselligen Mittelpunkt für die deutschen Familien bildet.
Eine Partie nach einem beliebten Ausflugsort, zu welcher unser Generalconsul mich eingeladen hatte, führte uns in die Ebene, welche zwischen dem Höhenzug an der Küste und dem Fuß der Anden liegt. Erst hat man etwa eine Stunde mit der Eisenbahn zu fahren und dann noch ein größeres Stück Weg zu Pferde oder Wagen zurückzulegen. Ein sehr geräumiges gutes Gasthaus mit schönen Gartenanlagen bietet vielen Fremden Unterkunft, und zur Zeit war das Haus gut besucht. Den Hauptanziehungspunkt bildet wol die Bade- und Schwimmanstalt in dem kleinen Flusse, denn da Valparaiso nur See- und keine Frischwasserbäder hat, der Mensch aber immer dasjenige begehrt, was er nicht täglich haben kann, so geht jeder, der es ermöglichen kann, auf einige Zeit hierher um zu baden.
Als eine Eigenthümlichkeit der Landschaft außerhalb der Stadt möchte ich noch die vielen Pappelpflanzungen bezeichnen. Der Baum, welcher bei uns in Acht und Bann gethan ist, gilt hier als eine gute Kapitalanlage und wird daher mit Vorliebe in ganzen Wäldern angepflanzt.
Es war eine schöne, Körper und Geist erfrischende Zeit, die der letzten vier Wochen, da wir auch in Valparaiso nur eine Temperatur fanden, welche unserm deutschen Sommer entspricht, am Tage in den heißesten Stunden zwischen 18 und 27° C. im Schatten und nachts stets nur zwischen 15 und 17°. In zwei bis drei Tagen allerdings werden wir uns wieder in den Tropen und zwar in dem tropischen Hochsommer befinden, welcher an dieser Küste unleidlich heiß ist, sodaß die inzwischen gewonnenen Kräfte bald wieder dahingeschwunden sein werden.
Vor unserer Abreise von Valparaiso hatten wir übrigens noch die Freude, unsere Fregatte „Leipzig“, welche ebenso wie wir nach Panama geht, zu begrüßen.
Bai von Panama, 7. März 1878.
Das ganze Südamerika haben wir nun umschifft. Eine weite, von bewaldeten Höhen umrahmte Wasserfläche liegt vor uns; heiß brennt die Sonne auf die große Bai von Panama, welche, wie fast immer so auch heute, unter vollständiger Windstille liegt. Die Hitze ist kaum zu ertragen und doch muß dies geschehen; es ist unbeschreiblich, was wir in den letzten vierzehn Tagen in dieser Beziehung auszustehen hatten. Am 14. Februar traten wir mit einer Tageswärme von 27°-29° und einer Nachttemperatur nicht unter 23° wieder in die Tropen ein und hatten, was das unangenehmste war, anhaltend Windstille oder nur ganz leichten südlichen Wind, welchem wir unter Dampf wegliefen, sodaß kein Lufthauch das Schiff durchstreichen konnte. Eine kleine Erfrischung fanden wir allerdings in Callao, welches wir anliefen, um frischen Proviant einzunehmen. Am 18. März nachmittags kamen wir dort an, setzten aber schon am 21. morgens die Reise wieder fort. Die kurze Zeit habe ich benutzt, um unserm Consul in Callao und dem Ministerresidenten in Lima Besuche abzustatten. Da der letztere eben in seine Villa in Miraflores am Meeresstrand übersiedelte, habe ich von Lima nur wenig gesehen.
Eine wunderbare Frucht, von den Engländern „Alligator-Birne“ genannt, von welcher ich schon viel gehört und die ich auch schon in Valparaiso gegessen hatte, lernte ich hier recht schätzen. Nachdem man mit einem Löffel das weiche gelbe Fleisch aus der kürbisartigen Hülle herausgeschält und stark mit Pfeffer und Salz gewürzt hat, erinnert der Geschmack sehr an gequirlte, ebenfalls mit Pfeffer und Salz gewürzte rohe Eier. Ich zog diese Früchte bald allen andern hiesigen vor und bedauerte nur, daß sie sich nicht lange genug halten, um in größern Mengen mitgenommen werden zu können.
Die auf Callao folgenden Tage brachten