Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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da für das Vaterland schafften, gruben sie sich unauslöschlich für das ganze Leben in die Seele.

      Selbst Klaus, der es geradezu als eine Bosheit des Schicksals empfand, daß sein Gymnasium nicht auch zu Lazarettzwecken ausersehen worden und die Ferien dadurch verlängert wurden, söhnte sich allmählich mit seinem Geschick aus. Denn viel wurde in diesen Augusttagen in keiner Schule Deutschlands gelernt. Wenigstens keine Bücherweisheit. Aber anderes lehrten die Lehrer ihre jungen Schüler: Begeisterte Liebe zum Vaterlande, grenzenlose Opferfreudigkeit für die draußen Kämpfenden. Den erhebenden Stolz, ein deutscher Knabe oder ein deutsches Mädchen zu sein, und die gleichzeitig daraus erwachsende Pflicht, trotz der Jugend seinen Platz in dieser schweren Zeit voll auszufüllen

      Was war es da bloß, daß Doktors Nesthäkchen, eine der begeistertsten in diesen Augusttagen, oft des Abends ihr Kopfkissen vor dem Einschlafen mit Tränen netzte? War doch am Tage die lustigste und ausgelassenste von all ihren Freundinnen, sang und sprang durchs Haus wie ein Wiesel, so daß kein Mensch merkte, daß irgend etwas die Kinderseele bedrückte.

      Nein, keiner ahnte etwas von Nesthäkchens Kummer. Nur der Mond, Annemaries alter, guter Freund, der Jahr für Jahr allabendlich ihr im Bett durch die Kinderstubenfenster liebkosend mit seinen Silberfingern die Wangen streichelte, wußte Bescheid.

      Nesthäkchen bangte sich nach dem Gutenachtkuß ihrer Mutti!

      In den ersten Tagen nach ihrem Heimkommen hatte es Annemarie gar nicht so arg empfunden, daß die Mutter nicht da war. Die Kriegsbegeisterung, von der alle gepackt wurden, war stärker als jedes sonstige Gefühl, ließ kaum ein anderes daneben aufkommen. Da war das Wiedersehen mit Vater und zugleich der baldige Abschied von ihm. Die Brüder waren Annemarie wieder neu, und vor allem war Großmama zu ihnen gezogen, an der die Kleine voll Liebe hing. Und Mutti mußte ja jeden Tag wiederkommen. sie hatte sich gewiß nur verspätet, so hoffte ihr Nesthäkchen von Tag zu Tag. Aber Tag für Tag verging, und keine Mutti kam zurück.

      Annemarie, die das Jahr über im Kinderheim kaum Sehnsucht nach Hause empfunden, begann sich jetzt daheim nach der Mutter zu bangen. Am Tage nicht, da stürmte zu viel Neues auf sie ein. Da wurden ihre Gedanken anderweitig in Anspruch genommen. Nur des Abends fehlte ihr die Mutti. Zwar kam Großmama getreulich an ihr Bett und küßte das Enkelchen zärtlich. Aber die sagte: »Gute Nacht, mein Liebling«, oder auch »mein Herzchen«. Mutti aber pflegte ebenso wie Vater »meine Lotte« zu ihr zu sagen. Wie sehnte sich Nesthäkchen nach diesen beiden Worten, dem Kosenamen aus ihrer Kleinkinderzeit. Denn wenn Vater auch in seinen Karten an die Großmama »seine Lotte« grüßen ließ, das war doch ganz anders, als wenn Mutti sie dabei in ihre Arme nahm.

      Mutti gab gar keine Nachricht. Nicht eine Zeile kam von ihr, so oft Annemarie auch schon an sie geschrieben hatte. Ja. hatte die Mutter sie in England bei den Feinden denn ganz vergessen?

      Zuerst hatte Annemarie die Großmama gefragt und bestürmt. warum Mutti denn gar nichts mehr von ihnen wissen wollte. Aber als sie merkte, daß Großmama jedesmal dadurch traurig wurde, ja, daß sie sogar Tränen in den Augen hatte, fragte Nesthäkchen nicht mehr. Denn es wollte die gute Großmama nicht betrüben.

      Dafür wandte sich Annemarie aber um so angelegentlicher an die Brüder. Hans, der Große, beruhigte das kleine Mädchen. Vielleicht blieben alle Briefe an der Grenze liegen und wurden überhaupt nicht in das feindliche Land hineingelassen. Das war eine sehr verständige Auskunft des Obersekundaners.

      Klaus aber, in dessen Kopf der Krieg sämtliche Räubergeschichten. die er jemals gelesen, wieder aufgewirbelt hatte, wirkte weniger beruhigend auf das Schwesterchen.

      »Paß auf, Annemie, Mutti ist bestimmt von unsern Feinden gefangen genommen worden. Am Ende haben die Engländer sie in ein finsteres Schloßverlies gesperrt, wo sie nicht mal Wasser und Brot kriegt. Aber wenn ich groß bin, Annemarie, dann reise ich nach England und befreie Mutti. Dann wirst du sie gar nicht mehr wiedererkennen, denn sie hat bestimmt weiße Haare vor Gram bekommen.«

      Nesthäkchen machte entsetzte Augen. Hans aber lachte: »Schwindele doch der Kleinen nichts vor. Junge! Mutter ist sicherlich bei Onkel und Tante auf ihrem Landsitz und läßt sich das englische Roastbeef da schmecken.«

      »Und wenn sie nicht mal Wasser und Brot in ihrem Felsverlies bekäme, dann wäre sie ja längst verhungert, bis du groß bist, Klaus«, fiel Annemarie ein.

      Aber die Schauermär von Klaus hatte doch Eindruck auf die Kleine gemacht. Beim Abendbrot legte sie plötzlich die Gabel hin. Der Happen würgte sie im Halse. Trotzdem es ihr Leibgericht gab, Kartoffelpuffer mit Kompott.

      »Herzchen, fehlt dir was?« forschte Großmama sofort ängstlich.

      »Nee – nee – ich kann bloß nicht mehr essen«, Nesthäkchen begann plötzlich grundlos zu weinen.

      Das war bei dem lustigen Ding fast ebenso merkwürdig wie die Appetitlosigkeit. Mit Recht machte sich Großmama Gedanken. Sie forschte und drang in das Kind, bekam aber keine andere Antwort als: »Mir ist ganz gut zumute, ich kann aber nicht mehr essen.«

      Großmama, welche es mit der Verantwortung für die Enkelkinder in Abwesenheit der Eltern sehr ernst nahm, entschloß sich, an den Arzt, dem Vertreter ihres Schwiegersohnes, zu telephonieren und ihn zu bitten, möglichst noch am selben Abend nach dem Kinde zu sehen.

      Der Arzt kam denn auch und wurde von der Großmama an Annemaries Bett geführt, denn das kleine Mädchen war bereits schlafen gegangen. Da versteckte sich ein tränenüberströmtes Gesichtchen in den Kissen.

      »Herr Doktor, das Kind ist bestimmt krank, sicherlich hat es irgendwo Schmerzen. Warum sollte es denn sonst weinen! Es ist solch ein heiteres, kleines Mädel.« Die Großmama war ganz blaß vor Aufregung.

      »Das wollen wir gleich feststellen. Na, nun sage mir mal, wo es dir weh tut, mein Kind.« Nesthäkchen, das Zeit ihres Lebens gewöhnt war, nur vom Vater behandelt zu werden, wenn es krank war, schüttelte den Blondkopf. Es schämte sich, daß der fremde Herr Doktor sah, daß es geweint hatte.

      Der begann inzwischen eingehend zu untersuchen. Aber soviel er auch klopfte, horchte und befühlte, er konnte beim besten Willen nichts finden. Das kleine Mädchen war kerngesund.

      »Welche Anzeichen haben Sie denn für die Krankheit, gnädige Frau?«

      »Das Kind wollte nicht essen und hat geweint.«

      »Hat sie gefiebert oder sich übergeben?«

      Großmama schüttelte den Kopf. Nein, das war nicht der Fall gewesen.

      »Ich rate, die Kleine jedenfalls morgen im Bett zu lassen, vielleicht entwickelt sich irgendeine Kinderkrankheit. Leichte Kost, dreimal täglich Temperatur messen und vor Erkältung in acht nehmen«, verordnete der Arzt.

      Das wurde Nesthäkchen aber nun doch zu bunt. Im Bett sollte sie bleiben, wo sie ganz gesund war! Nicht zur Strickstunde zu ihrem lieben Fräulein Hering gehen? Jawoll, daß Margot und ihre anderen Freundinnen mit ihrem Strumpf früher fertig wurden als sie! Und morgen sollte ja auch Fräulein kommen, die sie von der Bahn abholen wollte. Da sollte sie im Bett liegen? Nein, lieber besiegte sie ihre Scheu und sagte, weshalb sie geweint hatte.

      »Ich bin ja nicht ein bißchen krank, Herr Doktor, ich hab’ ja bloß nicht gegessen, weil – weil –« nun stockte Annemarie doch.

      »Na, weshalb denn, mein Kind?« half der Arzt ihr aufmunternd ein.

      »Weil – weil meine Mutti in England hungern muß und nicht mal Wasser und Brot hat«, kam es plötzlich wieder jämmerlich schluchzend heraus.

      »Woher weißt du denn das, Herzchen, ist denn Nachricht gekommen?« Nun mußte die arme Großmama sich wieder um die ferne Tochter aufregen.

      »Nee – Klaus hat es gesagt.«

      Großmama atmete erleichtert auf.

      »Klaus ist ein dummer Junge, daß er dir so etwas vorredet, und du bist ein ebenso dummes, kleines Mädchen, es zu glauben. Entschuldigen Sie vielmals, Herr Doktor, daß ich Sie bei Ihrer vielen Arbeit umsonst herbemüht habe«, der alten Dame war die Sache recht peinlich.

      Aber