merkten nicht, daß Donner und Blitz längst ausgetobt hatten, daß der Gießbach da draußen in sanftes Plätschern übergegangen war. Erst als die Sonne plötzlich wieder durchbrach, erwachten sie aus ihrer Glücksversunkenheit.
»Ein Regenbogen – ein wundervoller Regenbogen!« Wie ein Kind jauchzte Annemarie.
Arm in Arm schritt Doktors Nesthäkchen mit Rudolf Hartenstein unter diamantglitzernden Zweigen mitten hinein in den farbenleuchtenden, geradeswegs in den Himmel führenden Regenbogen.
Und die kleinen pausbäckigen Liebesgötter in der Rokokohalle lachten sich ins Fäustchen.
13. Kapitel
Nesthäkchen ist Braut
Vera wartete heute vergeblich auf die Freundin. Zweimal hatte sie schon telephonisch angeläutet, um zu hören, wo Annemarie denn stecke.
Frau Doktor Braun ging vom Balkon zum Erker, und vom Erker zum Balkon, nach ihrem Nesthäkchen ausspähend. Das tobende Unwetter hatte eine starke Unruhe bei ihr ausgelöst. Wenn nur ihre Lotte erst zu Hause wäre!
Minna deckte bereits den Abendbrottisch. Der Vater war gerade im Begriff, am Krankenhaus Westend anzutelephonieren, ob Annemarie noch dort sei, denn so spät war es noch nie geworden. Da erklang Annemaries doppeltes Klingelzeichen.
Hanne öffnete mit bärbeißiger Miene.
»Na – du hast woll ooch nich eher nach Hause finden können, was? Nächstens behalten se dir ooch noch nachts ins Klinik. Viermal hat unsereins das Essen schon wieder aufjewärmt. So’ne Zucht!« so räsonierte Hanne. Sie hatte es doch nicht übers Herz bringen können, ihre furchtbare Drohung, Nesthäkchen nach ihrer Heimkehr »Sie« und »Fräulein« zu nennen, wahrzumachen.
Statt jeder Antwort, die Annemarie sonst stets bereit hatte, fiel sie der verwunderten Köchin wie früher als Kind um den Hals. »Schimpfen Sie nicht, Sie oller Drachen, Sie! So, da haben Sie einen Kuß zur Versöhnung.«
»Puh – du triefst ja wie’n nasser Scheuerlappen! Zieh dir jleich um, Annemiechen, sonst haste deinen Schnuppen wech!« mahnte Hanne vorsorglich.
»Wenn Sie nicht mehr brummen wollen, Hanne, erzähle ich Ihnen nachher was Wunderschönes – Sie können mir gratulieren«, flüsterte Annemarie der treuen Alten ins Ohr.
Die sah sie verständnislos an. Nein – was das Mädel für strahlende Augen hatte.
»Haste wieder ‘n Examen jemacht, Annemiechen?«
»Ja – das allerschwerste meines Lebens!« Nesthäkchen lachte wie ein Kobold. Fort war sie, wie ein Wirbelwind ins Eßzimmer hinein.
»Tag, Vaterchen – ‘n Abend, meine geliebte Muz! Da bin ich.«
»Das sehen wir. Unpünktlichkeit sind wir von unserer Lotte gewöhnt. Aber heute ist’s doch zu reichlich. Mutti vergeht vor Angst. Wo hast du dich denn ‘rumgetrieben, du Schlingel?«
»Ach, Vaterchen – es war wundervoll im Charlottenburger Schloßpark!« Nesthäkchen wurde rot.
»Im Schloßpark bei diesem Unwetter? Aber Lotte, was hattest du denn da bloß zu suchen? Den Tod konntest du dir ja holen«, ereiferte sich die Mutter.
»Den habe ich mir nicht dort geholt, sondern etwas anderes.« Nesthäkchen machte ein durchtriebenes Gesicht. »Was ich im Schloßgarten zu suchen hatte, Muzi?« Das Blut ging und kam in ihre Wangen. »Meinen« – sie schnappte ein paarmal – »meinen – meinen zukünftigen Mann!«
»Wa–as?« wie erstarrt waren die Eltern.
Dann lachte der Vater laut heraus. »Sieh dir bloß den Strick an, Elsbeth! Nichts als Flausen hat das Mädel heute noch im Kopf. Welcher von den römischen Kaisern, die dort im Schloßpark ihre Steinbildnisse haben, hat es dir denn angetan, Lotte?« ging er auf den vermeintlichen Scherz ein.
Nesthäkchen barg den Kopf in Mutters weißem Haar und brach plötzlich ganz grundlos in Tränen aus.
»Keiner von denen – sondern – sondern Rudolf Hartenstein!« Raus war’s.
Mutti zog ihr Nesthäkchen fest, ganz fest an ihre Brust. Kein Wort brachte sie in ihrer Erregung hervor. Nur ihre feinädrige Hand strich beruhigend über das feuchte Haar ihrer Lotte.
»Möchtest du dich vielleicht etwas deutlicher erklären?« Der Vater war ernst geworden. »Für einen schlechten Witz finde ich es etwas zu weit getrieben, Annemarie.« Vater sagte nicht »Lotte«, unbedingt war er ärgerlich.
»Warum soll es denn ein Witz sein?« sprudelte Annemarie da los. »Rudi und ich, wir haben uns lieb, lange schon! Aber ich wollte ihn nicht heiraten, weil – ja weil ich dir doch versprochen habe, deine Assistentin zu werden. Vaterchen.« Mutters Kopf wurde losgelassen und Nesthäkchen barg das erglühende Gesicht jetzt zur Abwechselung mal am Hals des Vaters.
Sie sah nicht, wie belustigt es in Vaters Zügen zuckte. »Na, und? Da hat sich doch wohl nichts daran geändert. Vor Zeugen hast du mir dein Wort gegeben, nicht ans Heiraten zu denken, sondern meine Assistentin zu werden. Du willst doch nicht etwa wortbrüchig werden, Lotte?«
»Rudi will sich dir als Vertreter für mich stellen –«, ein wenig kleinlaut kam das heraus. »Der ist sicher viel tüchtiger und zuverlässiger als ich und –« sie hob den Kopf – »Vaterchen, ach, du machst ja nur Spaß!« Jubelnd umschlang sie jetzt aufs neue Vaters Hals.
»Meine Lotte – meine große, dumme Lotte!« Weich und zärtlich klang Vaters Stimme. »Ja, was meinst du, Elsbeth? Können wir unser Nesthäkchen denn wirklich schon aus dem Nest fliegen lassen? Ist es denn überhaupt schon flügge?«
»Zum Heiraten sicher noch nicht!« Frohbewegt schlang die Mutter den Arm um Mann und Kind zugleich. »Da muß sie erst tüchtig bei Hanne in die Lehre gehen und wirtschaften lernen.«
»O bitte sehr, die schwäbischen Gerichte, die der Rudi gern mag, die kann die Hanne gar nicht mal kochen. Leberspätzle, Quarkknödel und Gugelhopf hab’ ich bereits bei der Frau Veronika in Tübingen kochen gelernt«, ereiferte sich Annemarie.
»Na, da wissen wir ja, wozu du in Tübingen studiert hast, Lotte«, neckte der Vater. Er schien in bester Laune.
Die Tür ging. Klaus’ Krauskopf wurde sichtbar. »Gibt’s schon Abendbrot?«
»Nee, Abendbrot nicht – aber was anderes!« Nesthäkchen setzte sich in Positur.
»Was denn? Ihr sitzt ja da, als ob ihr ein lebendes Bild ›Die heilige Familie‹ darstellen wollt.«
»Da kommst du als Esel gerade recht dazu, Klaus.« Trotz ihrer neuen Würde hatte Nesthäkchens loses Mundwerk noch nichts eingebüßt.
Klaus packte sie bei den Ohren. »Wollen mal sehen, wer längere Eselsohren hat.« Eine brüderlich-schwesterliche Balgerei begann.
»Wie die Gören – und das will heiraten!« seufzte die Mutter lächelnd.
»Was wollen wir – habe ganz und gar nicht die Absicht!« Klaus ließ vor Entsetzen Annemaries Ohren los.
»Aber ich!« lachte Nesthäkchen.
»Ja – du!« machte Klaus wegwerfend. »So’n Dummer muß erst noch geboren werden.«
»Du, rede dir kein Duell auf den Hals, Kläuschen. Mein Verlobter könnte dich fordern.«
»Wer ist denn der Unglückliche?«
»Errätst du’s nicht, Klaus?«
»Nee – keine blasse Ahnung von ‘ner Idee. Kondoliere jedenfalls. Wenn du denkst, mich dumm zu machen, irrst du dich, Annemie. Ich falle nicht drauf rein!«
»Aber das ist doch schrecklich, daß es mir kein Mensch glauben will«, rief Nesthäkchen, halb lachend, halb verzweifelt.