Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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ausgefressen hatte.

      »Kann ich amtlich bezeugen. Mir hat Rudolf seine Liebe schon eher erklärt als dir. Komm her, Nesthäkchen. Das hast du gescheit gemacht!« Der große Bruder zerquetschte das schlanke Ding fast vor freudiger Zärtlichkeit. Wer als Annemarie ihm jetzt neckend ins Ohr flüsterte: »Auf baldige Nachfolge, Hänschen«, schloß er ihr den losen Mund mit einem Kuß.

      »Ist’s denn wirklich, wahr-und wahrhaftig wahr?« Klaus sah bestürzt von einem zum andern.

      »Na, hatte ich vorhin nicht recht mit dem Esel? Der Titel ist noch viel zu zahm für dich. Nicht mal gratulieren kann er, der Klaus. All seine Schlauheit ist in Pommern ge – –.« Annemarie konnte nicht zu Ende sprechen; denn draußen klingelte es.

      »Das ist er – das ist der Rudi – ach, und ich bin noch nicht mal umgekleidet –.« Sie stürmte zur Eingangstür.

      Hanne, die bereits im Begriff war, zu öffnen, wurde trotz ihrer Vierschrötigkeit beiseitegeschoben.

      »Na, biste denn janz und jar nich, Annemiechen!« – Aber wie zweifelte Hanne erst an Annemaries Verstand, als sie sehen mußte, daß sie einem Herrn, den sie im Halbdunkel nicht mal erkannte, in die Arme flog. Ganz ungeniert.

      Ja, waren das etwa Studentenmanieren? Hier im Braunschen Haus herrschte Anstand und Sitte! Sie begann Nesthäkchen energisch aus den sie umstrickenden Armen zu ziehen.

      »Benimm dir jefälligst, Annemiechen. Laß man deine Frau Mutti kommen, die wird dich die Flötentöne schon beibringen. Das jibt’s nich bei uns hier ins Haus, Liebschaften und Herumscharmuzieren. Dafier sorch ich. Det hab’ ich die Minna auch jleich jesagt –.« Das lustige Lachen der beiden unterbrach die Moralpredigt der Küchenfee.

      »Na, wo steckt er denn, unser Herr Schwiegersohn? Traut er sich nicht näher? Hat auch allen Grund dazu, wenn er uns unser Nesthäkchen wegschnappen will.« Ungeachtet dieser polternden Worte zog jetzt ihr Herr Doktor zu Hannes größter Verblüffung den Besuch selbst in seine Arme.

      »Grüß Gott! – Bin ich euch recht, – Vater?« Weiter hörte Hanne nichts mehr. Die Zimmertür schlug hinter den dreien zu.

      Hanne aber hatte auch genug gehört. »Schwiejersohn – Vater – ich sag’ Ihn’n, Minna, wenn det nich’ ne rejelrechte Verlobung mit Heiraten is, denn können Se mir für dämlich erklären. Det sieht ja’n Blinder ohne Brille, det unser Nesthäkchen bis über de Ohren valiebt is. Mir braucht keen Mensch nich erst was zu sagen! Ich mach schnell noch’n paar Spiejeleier zum Sparjel – madig machen tu ich mir nich an’n Verlobungsabend.«

      Noch ehe Spargel und Setzeier auf dem Tisch standen, rief der Herr Doktor: »Hanne, kommen Sie doch mal rein und bringen Sie gleich eine Flasche Wein mit. Von dem extraguten, dem staubigen, aus dem untersten Fach. Sie wissen schon!«

      Ja, Hanne wußte schon! Wenn Herr Doktor seinen allerbesten Wein spendierte, dann war die Sache richtig. Sie strich sich die steifgestärkte weiße Schürze zurecht und setzte mit vielsagender Miene Wein und Gläser auf den Tisch.

      »Na, Hanne, alter Brummbär, wünschen Sie mir denn gar nicht Glück?« Annemarie hielt die wieder steif Hinausgehende zurück.

      »Bei mich hat noch keiner nich um dir anjehalten – ich weiß von reine jar nischt, Annemiechen.« Dabei liefen der treuen Seele die Tränen an der Nase entlang.

      »Rudi, um’s Himmels willen, Hanne versagt ihre Einwilligung. Nun kann nichts aus uns beiden werden«, lachte die unverbesserliche Annemarie.

      »Unsere alte Hanne hat dein ganzes Leben lang wie eine Mutter für dich gesorgt, Lotte!« ermahnte Frau Doktor die Übermütige.

      »Ich hoff’ halt, Hanne, daß für mich auch ein bißle von der Zuneigung, die Sie für meine Annemarie hegen, abfällt. Gelt, Sie sind mir nimmer bös’, daß ich sie Ihnen entführen will?« Mit seiner ganzen offenen Liebenswürdigkeit hielt Rudolf der Hanne die Hand hin.

      Die schlug tapfer ein.

      »Na, denn tu ich ooch villemals jratulieren, und Jlück und Sejen wünsch ich obendrein. Und was an mir liecht, det der Herr Doktor trotz all det dämliche Studieren noch ‘ne vaninftige Frau ins Haus kricht, die ooch wat vons Kochen vasteht, det will ich janz jern tun«, versprach sie treuherzig.

      »‘s ist halt recht, Hanne, – ich verlaß mich auf Sie. Sonst hätt’ ich die Annemarie auch nit genommen«, lachte Rudolf.

      »Herr Doktor, Sie dürfen die Nebelhöhle wieder vergessen«, neckte Annemarie.

      »Aber halt nimmer den Charlottenburger Schloßgarten, Nesthäkchen.« Hanne sah, daß sie bei den beiden jetzt überflüssig war. Ganz öffentlich küßte der Herr Doktor, der soweit doch ein »janz reputierlicher Mensch« zu sein schien, »ihr Kind«. Na, damit konnte er sich doch auch noch ein bißchen Zeit lassen, fand die moralische Hanne.

      Noch ehe der elektrische Draht es in die Welt hinausgerufen hatte, daß Nesthäkchen Braut sei, wußte man’s schon unten bei Kulickes in der Portierloge.

      »Doktors Nesthäkchen ist Braut!« Noch vor der Großmama erfuhr man’s im Milchgeschäft, beim Bäcker und Gemüsehändler – die ganze stille Straße hallte bald davon wider: »Doktors Nesthäkchen ist Braut!« Denn Hanne war, trotzdem ihre Füße nicht mehr so recht wollten, schneller als jede elektrische Leitung.

      Aber nicht lange dauerte es, da erschien auch schon Großmama und wollte Nesthäkchen gar nicht wieder aus ihren Armen lassen. »Nein, unser Kind, wer hätte das gedacht!«

      Dahinter tauchte Tante Albertinchen mit wackelnden Löckchen und viel Rührung auf. Ach Gott, daß sie das noch erlebte, daß aus Doktors Nesthäkchen statt Fräulein Doktor eine Frau Doktor wurde! So war Nesthäkchen doch noch zur Vernunft gekommen! Nun wollte Tante Albertinchen gern sterben. Vorläufig aber sprach sie noch recht munter Wein und Kuchen zu.

      Da kamen die Freundinnen in höchster Aufregung. Zuerst Margot Thielen, der Annemarie durch dreimaliges Klopfen an die Balkonwand zu verstehen gegeben, daß eine Sache von ungeheurer Wichtigkeit vorliege. Margot verstand die ehemalige Backfischsprache noch so gut, daß sie zwei Minuten später bereits den braunen Kopf neugierig zur Tür hereinsteckte.

      Da wäre Vera am liebsten gleich durchs Telephon zu Annemarie hingeflogen, als ihr diese den Grund ihrer Unpünktlichkeit mitteilte.

      »O Annemie, du schlechterr Seele, deine beste Frreundin nichts vorrherr davon zu verrraten. Werr ist es denn, derr dich sein Herrz verrstohlen hat?«

      »Komm her. Verachen, und überzeuge dich, daß ich weder eine Schlächterseele bin, noch daß mein Herz verstohlen ist. Wer der Herrlichste von allen ist, wird durchs Telephon nicht verraten!« Nein, Doktors Nesthäkchen war doch noch genau so rangenhaft wie früher, daß es die arme Vera so zappeln ließ.

      Marianne Davis kam – mit vielen Küssen, und half Tante Albertinchen bei der Vertilgung des Kuchens.

      An die Getreuen im Schwabenland aber ließ das neugebackene Brautpaar folgendes Telegramm los:

      »Doktors Neschthäkche ischt Braut –

       Wem wird’s halt wohl angetraut?

       Knackt die Nuß und ratet fein –

       Ischt es auch ein ›harter Stein‹!«

      »O Gott, der arme Neumann, das überlebt der nicht!« lachte Annemarie und machte Karpfenaugen, die noch melancholischer dreinschauten als die des biederen Schwaben.

      »Neschthäkche, wenn’sch halt so garschtig bischt, heirat’ i di nimmer!« Rudi kopierte getreu die Sprache des Tübinger Freundes. Annemaries Übermut wirkte ansteckend.

      Mit verlegen neugierigen Gesichtern umstanden die Kränzchenschwestern die erste Braut aus ihrem Kreise. Natürlich mußten sie gleich Brüderschaft mit Rudi trinken – anders tat es Nesthäkchen nicht.

      Eine kam, vor der Annemarie kein ganz reines Gewissen hatte. Das war Ola. Als sie Annemarie liebevoll in die Arme schloß: »Weil’s halt gar so ein lieb’ Mädle bist, soll’s dir nit