Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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uns bleiben wolltest. Gefällt es dir denn nicht hier in der Schule?«

      »Nee, gar nicht!« war Annemaries Antwort, die nichts an Ehrlichkeit zu wünschen übrigließ. »Zu Haus, da haben sie mich alle lieb, da lacht mich keiner aus!« setzte sie leise hinzu.

      »Hier werden wir dich auch alle lieb haben, Annemie, wenn du brav und fleißig bist«, tröstete das Fräulein.

      Die gütigen Worte erfüllten das liebegewohnte Herzchen von Klein-Annemarie mit einer großen Zärtlichkeit für die junge Lehrerin.

      Eins – zwei – drei – kletterte sie auf die Schulbank, und von dort – da sie noch immer nicht heranreichen konnte – auf den langen, schmalen Tisch. Ehe die Lehrerin es sich versah, schlangen sich ihr zwei Ärmchen um den Hals und ein roter Kindermund küßte sie voll Ungestüm.

      »Ich werde dich sehr, sehr lieb haben, Tante«, versprach Annemarie, ihr frisches Gesichtchen zärtlich an die Wange der Lehrerin schmiegend.

      Sanft machte sich diese von den sie umstrickenden Ärmchen frei.

      »Das ist nett von dir, Annemie,« sagte sie belustigt, »aber wir sagen hier nicht Tante, dazu ist ein Schulmädel schon zu groß. Ihr sagt Fräulein Hering zu mir.«

      »Hahaha«, lachte es da aus einer Ecke, und »hahaha« fiel der ganze Chor von fünfzig Kindern ein.

      »Ei, über was freut ihr euch denn so?« fragte Fräulein Hering.

      »Hahaha – Hering – den ißt man doch mit Pellkartoffeln, so kann man doch nicht zu einer Lehrerin sagen!« Es war dasselbe vorlaute, kleine Ding, das vorhin »haach – die lutscht ja noch!« gerufen.

      »Aber warum kannst du mich denn nicht Fräulein Hering nennen, Hilde?« Das Fräulein amüsierte sich gottvoll.

      »Nee, Hering ist doch ein Tier, und alle Tiere, Ochse, Esel, Schaf, das sind Schimpfnamen. Und seine Lehrerin darf man doch nicht schimpfen!« rief Hilde eifrig.

      »Ihr könnt mich ruhig Fräulein Hering nennen, das ist nicht geschimpft, denn ich heiße doch so«, sagte die Lehrerin, noch immer mit dem Lachen kämpfend. Dann wandte sie sich nach der anderen Seite. »Aber Margot, weinst du denn noch immer?« Sie neigte sich zu einem kleinen Mädchen hinab, das die ganze Zeit über ihr Gesicht hinter dem rotgeränderten Taschentuch vergraben hatte.

      Annemarie drehte neugierig den Kopf nach der Heulsuse hin, und alle anderen Kinder wandten sich ebenfalls nach der weinenden kleinen Margot um.

      »Sieh nur, wie vergnügt die vielen kleinen Mädchen hier sind, nur du weinst und hast noch immer Angst; wir tun dir doch nichts, Margot«, redete Fräulein ihr weiter zu.

      Da ließ die furchtsame Kleine endlich ihr feuchtes Taschentuch sinken, und ein verweintes, schmales Kindergesicht mit großen, braunen Augen kam zum Vorschein.

      Annemarie reckte sich fast den Hals aus. Herrgott – kannte sie das kleine Mädchen denn nicht? Natürlich – das war doch die Kleine, die seit dem ersten April in die Kinderstube ihr gegenüber eingezogen war. Sie hatten sich doch schon öfters zugenickt, alle beide.

      Mit einem Satz war Annemarie über den Tisch hinüber. Springen und klettern konnte sie, das hatte sie von ihrem Bruder, dem wilden Klaus, gelernt. Sie rannte durch die Klasse und rief, der kleinen Margot beide Hände hinstreckend, freudestrahlend: »Du, heul’ bloß nicht mehr, ich bin ja auch hier!«

      Wirklich verklärte ein Glückesschimmer plötzlich Margots Jammermiene, als sie ihre kleine Nachbarin ebenfalls erkannte.

      »Rück’ mal ’n bißchen, dann setze ich mich zu dir«, kommandierte Klein-Annemarie, die jetzt jede Scheu verloren hatte.

      »Nein, das geht nicht, Annemie, hier in der Schule läuft man nicht von einem Platze weg, da mußt du sitzenbleiben, wo ich dich hingesetzt habe«, mischte sich Fräulein Hering hinein.

      »Aber dann weint Margot doch wieder, wenn ich sie allein lasse«, gab Annemarie zu bedenken.

      Wirklich verzog sich Margots Mund bereits viereckig, ein neues Geheul verheißend.

      »So tausche meinetwegen mit Erna Rust und setze dich neben Margot Thielen«, gestand Fräulein Hering, eine zweite Tränenauflage fürchtend, zu.

      Und nun saßen die beiden kleinen Hausgenossinnen, die sich eigentlich kaum kannten, mit glücklichen Gesichtern nebeneinander.

      »Ich habe einen kleinen Pudeltintenwischer, süß ist der!« Annemarie zog den süßen Tintenwischer aus dem Federkasten und hielt ihn hoch, damit ihn auch die anderen Kinder bewundern konnten.

      »Ich habe einen Mohrentintenwischer – ich einen Glückspilz – meiner ist noch viel, viel feiner, der ist mit Perlen – und meiner ist aus Muttchens ollem Handschuh« – so zwitscherte das mit einemmal in der zehnten Klasse lustig durcheinander.

      Fräulein Hering klatschte in die Hände und gebot Ruhe.

      »Nun seid mal still, Kinder, ihr dürft nur sprechen, wenn ich euch was frage. Aber jetzt will ich euch was erzählen.«

      »Au ja – au ja, – fein – bitte, von Aschenbrödel, nein lieber von Hänsel und Gretel«, so gingen die Schnäbelchen wieder.

      Fräulein Hering wurde nicht böse. Sie wußte ja, daß es immer einige Tage dauerte, bis sich die ganz Kleinen an die Schulordnung gewöhnt hatten.

      »Also die Klasse ist jetzt vollzählig, fünfzig Kinder«, begann Fräulein Hering aufs neue. Aber sie kam nicht weiter.

      »Hurra – fünfzig Kinder!« trompete es jubelnd dazwischen. Dabei wußte Klein-Annemarie nicht mal, daß sie es gewesen, die diesen Freudenausruf getan.

      Fräulein Hering drohte nur lächelnd, weil Annemarie ihre Mahnung, nicht ungefragt zu sprechen, so rasch vergessen hatte.

      »Wir werden nun fleißig zusammen rechnen, schreiben und lesen lernen, damit ihr die schönen Geschichten in euren Märchenbüchern alle selbst lesen könnt, nicht wahr?«

      »Ja – ja!« rief es hier und da. Annemarie aber meinte weniger begeistert: »Ach, wenn Fräulein mir vorliest, das ist auch sehr hübsch.«

      »Aber wenn du es allein lesen kannst, dann macht es dir noch viel mehr Spaß«, versicherte die Klassenlehrerin und griff zu einem Pack loser Blätter. »Jetzt gebe ich jeder von euch zwei Zettel. Auf dem einen stehen die Bücher und Hefte verzeichnet, die ihr für die Schule mitbringen müßt, der andere ist euer Stundenplan. Verwahrt sie gut auf.« Sie verteilte die Blätter unter den vielen, begierig danach greifenden Kinderhändchen. »So, und nun sind wir für heute fertig. Morgen früh findet ihr euch wieder um neun Uhr hier in der Klasse ein. Jetzt wollen wir beten – wer kann ein Gebet hersagen?«

      »Ich – ich – nein, ich – ach, ich weiß ein viel schöneres – bitte, ich!« so tobte das wieder durcheinander.

      »Ei, Margot, weißt du keins?« Fräulein wandte sich der schweigenden keinen Furchtsamen zu, die aus ihren verweinten Augen noch immer ängstlich in den Tumult bückte.

      Die nickte blutübergossen. Dann aber faltete sie ihre Händchen und begann mit leiser Stimme:

      »Müde bin ich, geh zur Ruh,

       Tue beide Äuglein zu.«

      »Das war sehr schön, Margot,« lobte die Lehrerin, als sie geendet, »wenn es auch eigentlich noch ein bißchen früh zum Schlafengehen ist. Jetzt gebt mir die Hand und sagt mir lebewohl.«

      Wie eine Welle von blonden und dunkelhaarigen Kindern stürmte es gegen Fräulein Hering an, daß diese sich kaum aufrechterhalten konnte. Lauter kleine Händchen, lauter knicksende Beinchen.

      »Leb’ wohl, Lotte – auf Wiedersehen, Hilde – na, Margot, morgen hast du doch keine Angst mehr – auf Wiedersehen, Annemarie.«

      »Auf Wiedersehen, Tante« – und sich besinnend, daß sie ja den Namen nennen sollte, verbesserte sich Annemarie: »Auf Wiedersehen, Tante Fräulein Hering.«

      Diesmal