Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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stieß Annemie an, ihr Gedicht, das sie im Kindergarten für die Eltern gelernt, nun herzusagen.

      Aber Nesthäkchen hatte ihr Weihnachtsgedicht und alles um sich herum vergessen. Gerda war wieder da – weiter wußte sie nichts.

      »Na, Lotte, gefällt dir dein Kind denn jetzt – hast du auch schon gesehen, daß ihr deine Rattenschwänzchen an den Kopf gewachsen sind?« fragte Mutti lächelnd über das Wiedersehensglück der beiden.

      Nein, das hatte Annemie noch nicht bemerkt. Richtig – Gerda war kein Kahlkopf mehr, zwei stattliche Blondzöpfchen hingen ihr den Rücken entlang, dieselben, die sich ihre kleine Mama für sie abgeschnitten hatte. So war das Opfer doch nicht umsonst gewesen! Und ein neues Kleid aus rosa Batist trug sie, dazu eine grüne Sportjacke und Mütze – »ach, die hat mir sicherlich Großmuttchen gestrickt!« Voll ungestümer Dankbarkeit hingen sich Annemie und Gerda an Großmamas Hals, daß der alten Dame fast die Luft ausging.

      »Ich habe aber noch etwas, was mir Knecht Ruprecht für dich gegeben hat, Herzchen«, sagte Großmama, als sie wieder zu Atem gekommen war, und wies auf Nesthäkchens Geschenktisch. Da stand er – der Herr Leutnant, ein großer Puppensoldat. Eine feine Uniform trug er, und das Gewehr präsentierte er stramm vor Annemie.

      »Ei, fein – da hat Knecht Ruprecht doch gedacht, daß ich jetzt ein Junge bin, weil ich keine Zöpfe mehr habe«, jauchzte die Kleine, nahm den Herrn Leutnant auf den linken Arm, da auf dem rechten bereits Gerda Platz genommen hatte, und gab ihm einen zärtlichen Kuß.

      »Na, ein halber Junge bist du doch auch, Lotte«, neckte Vater.

      Nun endlich fand Annemie Zeit, auch ihre andern Geschenke zu bewundern und den Eltern von Herzen zu danken. Wenn auch keine kleine Sprechstunde und kein kleines Warenhaus dabei war, sie konnte mit den wunderschönen Geschenken zufrieden sein. Sogar eine neue Ausstattung von kurzen Kleidern für Babychen hatte Fräulein ihr geschneidert.

      Aber das Schönste war und blieb doch Gerda und der Herr Leutnant.

      »Der soll meine Puppen verteidigen, wenn Klaus mal wieder Krieg gegen sie führt«, sagte Annemie eifrig.

      Puppe Gerda nickte erfreut, nun hatte sie doch einen Ritter, der sie gegen ihren Feind Klaus beschützte, noch dazu einen mit einem Gewehr. Freilich, Hanne machte ihr den Kavalier streitig, denn die wollte durchaus nächsten Sonntag mit dem schmucken Soldaten ausgehen.

      Aber als die gute Hanne jetzt eine niedliche blaue Küchenschürze für Nesthäkchen herbeibrachte, die sie selbst für sie genäht, da eine Küchenschürze doch unbedingt zu den kleinen Holzpantinen gehörte, sagte Annemie dankbar: »Ich borge Ihnen meinen Herrn Leutnant sehr gern zum Ausgehen, Hanne. Sie müssen sich nur vorsehen, daß Sie ihn nicht zerschlagen, weil Sie doch soviel Tassen kaput machen.«

      Auch Tante Albertinchen holte jetzt aus ihrem großen Perlpompadour ein Geschenk für Annemie heraus. Etwas enttäuscht blickte die Kleine darauf. Es war ein weißes Garnknäuel mit kleinen Stricknadeln.

      »Soll das vielleicht für Großmama sein?« fragte Nesthäkchen, denn Großmama war die einzige, die Annemie bisher mit einem Strickstrumpf gesehen hatte. Am Ende hatte sich Tante Albertinchen geirrt und ihr aus Versehen das für Großmama bestimmte Geschenk gegeben, weil sie doch schon so alt war.

      Aber Tante Albertinchen schüttelte den Kopf mit den grauen Löckchen.

      »Nein, mein Kind, das ist für dich. Ein Wunderknäuel ist es, an dem sollst du stricken lernen. Ist das Knäuel abgestrickt, kommt zur Belohnung etwas ganz Wunderschönes zum Vorschein«, erzählte die Tante der aufhorchenden Kleinen.

      »Ei, da will ich gleich morgen damit anfangen, ich stricke dir ein paar schöne Strümpfe, Tante Albertinchen«, versprach Annemie.

      »Warte nur, bis du in die Schule kommst, da lernst du stricken, Annemiechen«, meinte Fräulein.

      »Oder Nesthäkchen lernt es bei der Großmama, was, Herzchen?« fiel diese ein.

      »Ich kann es ja auch im Kindergarten lernen, Tante Martha hat mir doch auch das Flechten beigebracht – ach, meine Bescherung!« Wie ein Wirbelwind war die Kleine zur Tür hinaus.

      Sie hatte ja über die eigenen Weihnachtsgaben ganz ihre Kinder vergessen. Die armen Puppen saßen noch immer im Dunkeln in der Küche und warteten, daß Knecht Ruprecht nun endlich kommen sollte.

      Fräulein zündete die Wachskerzen auf dem kleinen Weihnachtsbaum an, und das Puppenmütterchen klingelte so laut, daß Irenchen vor Schreck auf den Rücken fiel. Dann holte sie all ihre Kinder herein, und auch die Großen kamen mit zur Puppenbescherung.

      Nein, war das eine Freude! Kurt schmiß sofort seinen silbernen Papierpantoffel in die Luft, daß er nicht wiederzufinden war; Irenchen bewunderte ihren Teppich so begeistert, daß sie ganz rote Backen davon bekam. Mariannchen riß plötzlich ihre so lang verklebten Augen wieder auf, denn sie wollte doch wenigstens sehen, was Annemie für sie gearbeitet hatte. Babychen probierte die neue Korallenkette gleich um, und Gerda schmiegte sich voll Dankbarkeit an ihr fleißiges Mütterchen. Nur Lolo blickte neidisch auf Gerda, weil die eine goldene Kette bekommen hatte. Aber zur Strafe kam sie zu dicht an den Weihnachtsbaum heran und versengte sich ihren schwarzen Krauskopf.

      Nun waren die Großen an der Reihe. Alle bewunderten Nesthäkchens Fleiß, und am meisten Großmama, denn das tun Großmütter immer. Nur Puck und Klaus hatten leider ihre Geschenke verwechselt. Klaus band sich das Perlhalsband um den linken Arm, weil er geimpft aussehen wollte wie Hans, und Puck zerbiß vergnügt Annemies so schön gearbeitete Pferdeleine.

      Jetzt wußte auch Nesthäkchen wieder ihr Weihnachtsgedicht. Sie sagte es mit lauter Stimme klar und deutlich auf und bekam von Vater dafür einen Kuß und von Mutti auch einen, von Großmama aber zwei.

      Die Weihnachtslichter brannten herunter, sie wurden kleiner und kleiner, und Nesthäkchens Augen wurden ebenfalls klein und kleiner. Da brachte Fräulein das müde Kind ins Bett. Vorher gab’s jedoch noch eine Überraschung. Das gute Fräulein hatte ihr aus einem Körbchen ein reizendes Bettchen für Gerda gearbeitet. Heute aber trennte sich Annemie nicht von ihrem heimgekehrten Kinde. Gerda wanderte mit ihr ins Bett und erzählte ihrer kleinen Mama im Traum von Knecht Ruprechts schönem Puppenland, in dem sie so lange gewesen.

      Der Herr Leutnant aber stand die ganze Nacht Posten und hielt Wache.

      19. Kapitel

       Die neue Schulmappe

       Inhaltsverzeichnis

      Die liebe Sonne hatte den Schnee geschmolzen. Der steinerne Springbrunnenjunge drunten im Hof hatte sich aus seinem weißen Schneepelz, den er im Winter getragen, herausgestrampelt und stand wieder als kleiner Nackedei da. Aus der Erde lugten schon die ersten grünen Grasspitzen heraus. Bald konnte Annemie wieder im Tiergarten spielen.

      Aber vorläufig gefiel es ihr jetzt zu Hause besonders gut. Drüben waren neue Mieter eingezogen. Annemie konnte gerade in die Kinderstube sehen. Da hielten drei niedliche Kinder mit Puppen und Pferdchen ihren Einzug. Das größte Mädelchen mochte ungefähr in Annemies Alter sein.

      Zugenickt hatten sich die kleinen Mädchen schon oft, auch sich gegenseitig bereits ihre Puppen am Fenster gezeigt. Aber gesprochen hatten sie noch nie miteinander. Zwar hatte Nesthäkchen öfters Mutti gebeten, ob sie sich die Kleine nicht zu Besuch herüberholen dürfte. Aber Mutti wollte vorläufig nichts davon wissen, da sie die Eltern des kleinen Mädchens noch nicht kannte.

      »Laß dich von Fräulein fertigmachen, Lotte, ich will dich mitnehmen«, sagte Mutti eines Tages.

      »Gehe ich denn heute nicht zu Tante Martha in den Kindergarten?« wunderte sich Annemie.

      »Nein, Lotte, wir haben heute etwas viel Wichtigeres vor.« Mutti machte ein geheimnisvolles Gesicht.

      »Ach, bitte, bitte, liebe, einzige Mutti, sage mir doch, was das ist«, quälte das neugierige, kleine Fräulein.

      Aber