Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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würde sich der Junge auch freuen. Babychen soll kurze Kleider kriegen und Beißerchen. Diesen Weihnachten wird es doch schon drei Jahr, und immer noch liegt es im Steckkissen, und hat noch keinen einzigen Zahn. Und nun noch mein Nesthäkchen. Komm, Gerdachen, was wünschst du dir denn? Sag’ mir’s mal ins Ohr.«

      Annemie griff nach ihrer Gerda, die sie vor kurzem gebadet und mit einem Bademantel in den Puppenwagen gesteckt hatte, damit sie sich nur ja nicht erkälten sollte.

      Aber entsetzt ließ die Kleine ihren Liebling in die Kissen zurückgleiten.

      »Fräulein – Fräulein,« ganz blaß war Annemie vor Schreck, »komm doch bloß mal her – Gerdachen ist ja ein Kahlkopf geworden!« Unaufhaltsam flossen jetzt die Tränen über Klein-Annemaries Bäckchen.

      Fräulein schlug die weiße Wagengardine zurück – wirklich, Gerda lag total verändert da drin und sah ihre entsetzte Mama mit verständnislosen Augen an. Ganz klein und elend war ihr Gesicht geworden, weil die Lockenperücke fehlte. Die lag neben ihr auf dem Kopfkissen, Gerda aber hatte ein großes Loch auf dem Kopf.

      »Es ist ja nicht so schlimm, Annemiechen, die Perücke ist durch das Badewasser bloß abgeweicht«, beruhigte Fräulein das aufgeregte Kind.

      »Ach, meine arme, arme Gerda, wie weh muß ihr das tun, man sieht ja das ganze Gehirn und alle Gedanken in ihrem Kopf«, jammerte Nesthäkchen.

      »Vater macht ihr einen Verband,« tröstete Fräulein liebevoll weiter, »und Knecht Ruprecht bringt ihr neue Haare; ob sie sich vielleicht mit Zöpfen freuen würde?«

      »Nein, lieber Schnecken, weil sie doch jetzt schon groß ist und mit in den Kindergarten geht«, schluchzte Annemie, noch immer betrübt.

      »Also schön, dann schreibe ich auf: Haarschnecken für Puppe Gerda. Was meinst du denn zu einer roten Sportjacke, solche, wie Großmama dir gestrickt hat, Annemie?« fragte Fräulein, um die Kleine von ihrem Kummer abzulenken.

      »Nein, lieber eine grüne«, überlegte die bekümmerte Puppenmama und weinte weiter. »Aber – aber wenn Knecht Ruprecht nun die Haarschnecken vergißt, dann muß meine arme Gerda ihr Lebenlang als Kahlkopf durch die Welt laufen!« jammerte Annemie aufs neue.

      »Das wird er schon nicht vergessen, Herzchen, ich hab’s ihm ja aufgeschrieben, und zum Überfluß kann ich ihn ja noch mal daran erinnern«, beruhigte sie Fräulein.

      »Sprichst du ihn denn, Fräulein?« Annemie horchte auf, und ihre Tränen begannen langsamer zu fließen.

      »Freilich«, nickte Fräulein. »Vier Wochen vor Weihnachten, da fragt er jeden Abend bei mir an, ob du artig oder unartig am Tage gewesen bist.«

      »Erzählst du ihm immer alles ganz genau, Fräulein, jedesmal, wenn ich geheult habe?« erkundigte sich Nesthäkchen etwas kleinlaut.

      »Natürlich, ich muß ihm doch die Wahrheit sagen«, meinte Fräulein.

      »Auch daß ich heute über Gerdas Kahlkopf geweint habe, sagst du ihm?«

      »Ja, aber darüber wird er nicht böse sein, du hast ja nicht aus Ungezogenheit, sondern nur aus Mitleid mit deinem Kinde geweint«, war die beruhigende Antwort.

      »Laß dich bloß nicht mal aus Versehen von ihm in den Sack stecken, Fräulein!« Nesthäkchen machte ein halb ängstliches, halb schelmisches Gesicht bei dieser Vorstellung.

      »Ich werde mich schon vorsehen«, lachte Fräulein. »Aber wolltest du denn nicht deine Schuhe abends für Knecht Ruprecht vor die Tür setzen, wie Elli, Herbert und Peter in Arnsdorf das vor Weihnachten stets zu machen pflegen, Annemie?«

      »Ja, weißt du, Fräulein, ich wollte es ja so schrecklich gern. Denn wenn die Kinder am Tage artig gewesen sind, legt ihnen Knecht Ruprecht immer einen goldenen Faden und Pfeffernüsse in die Schuhe, und wenn sie unartig waren, einen Silberfaden und weiter gar nichts. Aber Klaus sagt, das macht Knecht Ruprecht nur in Schlesien, unser Berliner Knecht Ruprecht tut das nicht, weil es bei uns nicht Sitte ist.«

      »Aber Herzchen, es gibt doch nur einen Knecht Ruprecht für die ganze Welt, das ist doch ein und derselbe in Schlesien und in Berlin«, belehrte sie Fräulein.

      »Auch für Amerika?« Nesthäkchen schüttelte ungläubig den Kopf.

      »Aber natürlich, sogar für Afrika.«

      »Na, denn möchte ich aber wissen, wie der an einem Abend, in Berlin und in Amerika, in Schlesien und in Afrika nach all den vielen Kindern herumfragen kann«, ereiferte sich Annemie. »Dann hat er sicher Siebenmeilenstiefel oder wenigstens ein Luftschiff.«

      »Es wird wohl ein Luftschiff sein,« entschied Fräulein die schwierige Frage, »ich habe es schon manchmal abends surren hören. Aber ich würde es doch jedenfalls mal probieren, Annemiechen, und die Schuhe vor die Tür setzen. Dann siehst du gleich, ob Knecht Ruprecht die Sitte kennt oder nicht.«

      Das war einleuchtend. Und mit Hinsicht darauf nahm Nesthäkchen sich heute noch viel mehr zusammen als sonst. Ja, als Klaus die verwandelte Gerda entdeckte und jubelnd mit dem kleinen Kahlkopf im Zimmer herumtanzte und dazu sang: »Die Gerda hat den Zopf verloren, sie sieht jetzt aus wie abgeschoren!« gab ihm Annemie nicht in ihrer Empörung zwei Püffe, wie sie erst gewollt, sondern nur einen. Das war doch entschieden sehr artig.

      Vater machte dem Puppenkinde einen kunstgerechten Verband, daß es aussah wie der Araber aus Tausend und eine Nacht. Mutti aber legte Gerda ein großes Stück Schokolade als Pflaster auf, das heilte den Schmerz ihrer kleinen Mama gleich mit.

      Am Abend stellte Annemie sorgsam ihre roten Hausschuhchen für Knecht Ruprecht vor die Kinderstubentür, und daneben baute sie sämtliche Puppenschuhchen auf. Denn ihre Kinder wollten doch auch einen Goldfaden und Pfeffernüsse haben. Da standen Gerdas Goldkäferschuhchen, Irenchens Lackschuhe, Mariannchens braune Schnürstiefel, Lolos weiße Lederschuhe, Babys gestrickte Wollschuhchen und von dem wilden Kurt nur ein zerlöcherter Stiefel. Der andere trieb sich Gott weiß wo herum.

      Klein-Annemarie aber lag mit verhaltenem Atem im Bett neben Gerda.

      Beide horchten.

      Kam denn Knecht Ruprecht noch immer nicht? Annemie wollte ihn doch so schrecklich gern mal belauschen!

      Surrrr – rrrrrr – deutlich vernahmen die zwei ein lautes Surren draußen im Hof.

      »Du, Gerda, hörst du, das ist Knecht Ruprechts Luftschiff!« flüsterte Annemie aufgeregt.

      Aber Gerda schüttelte den verbundenen Kopf: Ach Unsinn, das war doch bloß der Fahrstuhl!

      Nein, sicher war es das Luftschiff gewesen, denn jetzt kam es tap – tap mit schweren Stiefeln den Korridor entlang, bis zur Kinderstubentür.

      »Hörst du ihn?« fragte Klein-Annemie und wagte kaum zu atmen.

      Aber Gerda war wieder anderer Meinung als ihre kleine Mama: Das konnte doch ebenso gut die Frida sein, die sich alle Puppenschuhchen zum Putzen holte.

      Vergeblich sperrte Annemie ihre kleinen Ohren auf. Nichts ließ sich mehr vernehmen, weder Knecht Ruprecht noch Fräuleins Stimme, die ihm doch Bescheid sagen wollte.

      Ach Gott, wenn Fräulein nun vergaß, Knecht Ruprecht zu bestellen, daß Gerda neue Haare brauchte, wenn das arme Ding Zeit ihres Lebens so entstellt einhergehen mußte! Diese Vorstellung brach Annemie fast das weiche Herz.

      »Nein, mein Gerdakind,« flüsterte sie zärtlich, während ihr schon wieder die Tränen in die Augen stiegen, »so sollst du nicht rumlaufen! Als Kahlkopf mit ohne Frisur kannst du dich doch gar nicht im Kindergarten sehen lassen. Sonst lachen dich die anderen Puppen ja aus. Nein, ich gebe dir einen von meinen Zöpfen ab, ich habe ja zwei!«

      Und ehe Puppe Gerda sie zurückhalten konnte, war Annemie – hast du nicht gesehen – aus dem Bettchen und tappte zum Kinderstubentisch. Dort hatte Fräulein ihren Nähkasten mit der großen Schere stehen lassen.

      Ritsch – ratsch – schnipp – schnapp – machte die Schere – da war das eine Rattenschwänzchen ab. Selig sprang die Kleine damit ins Bett zurück.