Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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sprach jede der Puppen ihre Hoffnungen aus, wohin Knecht Ruprecht sie wohl bringen würde. Die einen wollten aufs Land, weil es dort gesünder war, die andern fanden es in der Stadt interessanter. Die wünschten, in eine Kinderstube zu vielen Kindern zu kommen, und jene nur zu einem einzigen. Das waren die nervösen jungen Damen, die keinen Kinderlärm vertragen konnten.

      Nur eine Puppe schwieg und sagte keinen Ton.

      »Na, und Sie, Fräulein Gerda, wohin gedenken Sie Ihre Schritte zu richten?« fragte man sie von allen Seiten.

      »Ich möchte nur wieder zu meiner früheren Puppenmama zurück, von der Knecht Ruprecht mich geholt hat, um mir neue Haare wachsen zu lassen. Ich habe solche Sehnsucht nach Klein-Annemie, und die auch ganz sicherlich nach mir. Ich war ja ihr Nesthäkchen, und wir haben uns so lieb gehabt, so lieb!« flüsterte die Puppe innig.

      »Aber wenn Knecht Ruprecht Sie nun wo anders abgibt?« fragte die stolze Puppe in dem rosa Seidenkleid.

      »Dann sterbe ich sicherlich vor Sehnsucht nach Annemie«, seufzte die Puppe bang.

      Die Engelchen draußen auf dem Schlittensitz hatten das Gespräch der Puppen deutlich gehört, und es wurde ihnen trotz der schneidenden Winterkälte warm ums Herz bei den liebevollen Worten der letzten Puppe.

      »Wir werden schon dafür sorgen, daß Knecht Ruprecht dich richtig wieder zu deiner kleinen Mama Annemie bringt, du braves Puppenkind«, sagte das eine.

      Knecht Ruprecht aber ließ jetzt halten, zog sein großes Fernglas aus dem Pelz und lugte durch dasselbe.

      »Potzelement – wir müssen uns eilen, in allen Kinderstuben hockt schon die kleine Gesellschaft an den Fenstern und schaut nach mir aus. Himmel – da schlägt’s ja auch schon dreiviertel auf Weihnachten! Nun aber vorwärts!« Aufs neue brauste der Wolkenschlitten durch das Schneeland.

      Ja, in allen Kinderstuben preßten sich kleine Näschen erwartungsvoll gegen die Fensterscheiben.

      Nur Doktor Brauns Nesthäkchen hatte keine Zeit dazu. Das kleine Puppenmütterchen hatte selbst noch alle Hände voll zu tun, um die Bescherung für ihre Kinder herzurichten. Die waren heute sämtlich aus der Kinderstube ausgesperrt. Bei Hanne draußen auf dem Fensterküchenschrank hockten sie. Kurt und Lolo hauchten Gucklöcher in das vereiste Blumenmuster des Fensterglases, Irenchen und Mariannchen tauschten ihre Meinungen darüber aus, was wohl aus Schwester Gerda geworden war, und Klein-Babychen überlegte aufgeregt, ob es wohl zu Weihnachten kurze Kleider erhalten würde.

      Drinnen in der Kinderstube aber tappelte ihr Mütterchen mit heißen Wangen geschäftig hin und her. Mitten auf den weißen, kleinen Tisch stellte Annemie das niedliche Puppenweihnachtsbäumchen. Daran hing sie bunte Zuckerkringel. Die Weißen Wachsstreichhölzer, die prächtige Weihnachtslichte abgaben, hatte Fräulein schon auf den grünen Zweigen befestigt. Dann holte Annemie sechs Teller aus ihrer Küche herbei. Auf jeden legte sie eine winzig kleine Puppenstolle. Die gute Hanne hatte sie auf Nesthäkchens Bitten für ihre Kinder mitgebacken. Dazu kamen ganz kleine Scheibchen Pfefferkuchen, eine Haselnuß, ein Stückchen Marzipan – und die bunten Schüsseln für die Puppen waren fertig.

      Rings auf den Tisch baute Klein-Annemarie die Teller auf – eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs – ja, für wen sollte denn der sechste sein? Draußen an dem Küchenfenster saßen doch nur fünf Puppenkinder und warteten auf die Bescherung.

      Mit besonderer Liebe stellte Nesthäkchen den sechsten Teller bereit, mütterlich strich sie über die kleine Marzipanbrezel.

      »So, mein Gerdachen, der ist für dich, du sollst nicht leer ausgehen, wenn du doch vielleicht heute zu mir zurückkommst. Ich habe den lieben Gott ja jeden Abend gebeten, dich mir wiederzuschicken. Und Fräulein sagt, Weihnachten kehren alle Puppen zurück, wenn ihre kleinen Mamas gut zu ihnen gewesen sind. Und ich war doch nicht schlecht zu dir, mein Gerdachen? Ich habe mir ja sogar für dich mein Zöpfchen abgeschnitten!« Die Kleine fuhr sich über den kurzgelockten Blondkopf.

      Dann aber lief Annemie eilig zu ihrem kleinen Schränkchen und kramte allerliebste Sächelchen daraus hervor, die sie im Kindergarten bei Tante Martha für ihre Puppen gearbeitet hatte. Ach, wie fleißig war Nesthäkchen gewesen!

      Da gab es einen geschmackvollen Teppich für die Puppenstube, aus bunten Bändern geflochten, den sollte Irenchen haben. Mariannchen bekam ein kleines Perltäschchen zum Anhängen für ihr Taschentuch. Kurt einen kleinen, silbernen Papierpantoffel, nur einen, weil er den zweiten ja doch bloß verlor. Für Lolo hatte das Puppenmütterchen eine blaue Perlhalskette aufgezogen und für Baby eine aus roten Korallen. Auf Gerdas Platz aber legte Annemarie eine Kette aus goldenen Perlen und ein silbernes Armband.

      So – nun war der Puppenaufbau fertig, doch Nesthäkchen war noch nicht zu Ende mit ihren Liebesgaben. Für alle hatte sie ihre emsigen Fingerchen geregt, aber auch für alle.

      Auf den großen Kinderstubentisch kamen die Geschenke für die Großen. Das rot-und goldgestreifte Lesezeichen für Großmama obenan, und das blausilbern karierte für Tante Albertinchen daneben, denn auch die fehlte am Weihnachtsabend nicht. Für Mutti hatte Nesthäkchen ein niedliches Fuselkörbchen geflochten und für Fräulein einen Serviettenring. Vater bekam einen Kalender in Leder, den Annemie mit roter Seide ausgestickt hatte. Bruder Hans einen Tintenwischer mit schwarzer Seide, damit man die Kleckse nicht sah. Selbst für Klaus hatte das gute Schwesterchen gearbeitet, trotzdem der sie doch immer ärgerte. Eine prächtige Pferdeleine aus bunter Wolle hatte sie bei Tante Martha für ihn durch einen ausgehöhlten Korken knüpfen gelernt. Auch Hanne und Frida, die immer so nett zu der Kleinen waren, durften nicht leer ausgehen. Sie bekamen Pappbilder für ihr Zimmer in Durchstecharbeit. Frida den Zappelphilipp aus dem Struwwelpeter, und Hanne den Suppenkaspar, weil der doch gerade so kugelrund war wie sie selbst. Dann aber brachte Annemie ihr letztes Geschenk herbei: Ein Halsband war es aus bunten Perlen, das sollte doch sicherlich Puck bekommen.

      Nun wurde das Schränkchen endlich leer, und das war gut. Denn jetzt schien es auch die höchste Zeit. Draußen vor dem Haus an dem beschneiten Vorgarten hielt bereits Knecht Ruprechts Schlitten. Geschäftig luden die kleinen Engel allerlei ab und trugen es ins Haus. Das bis über die Nase vermummte Engelchen, das als Kutscher auf dem Bock thronte, knallte ungeduldig mit der Silberpeitsche. Herrgott, war man denn noch nicht fertig, sie mußten doch weiter!

      »Habt ihr mir auch die Puppe für Klein-Annemarie richtig bei Doktors abgegeben, ihr Engelbengelchen?« brummte Knecht Ruprecht, als die kleinen Auflader jetzt endlich pustend und schnaufend zurückkehrten.

      »Die haben wir zu allererst abgebracht, weil sie solche Sehnsucht nach ihrer kleinen Mama hatte«, sagte das eine Engelchen eifrig.

      Und klinglingling – sauste Knecht Ruprechts Schlitten davon.

      Klinglingling – da sprangen droben bei Doktors die Türen, die den ganzen Tag verschlossen gewesen, auf – klinglingling – da sprangen Hans, Klaus und Nesthäkchen ins Weihnachtszimmer.

      Der große Tannenbaum flammte, blitzte und glitzerte mit vielen, vielen Lichtern. Klein-Annemie war so geblendet und benommen, daß sie vorläufig überhaupt noch nichts unterscheiden konnte.

      Aber als jetzt Klaus, der seit kurzem Klavierstunde hatte, sich ans Klavier setzte und Hans zur Geige griff, als die beiden Jungen nun als Weihnachtsüberraschung »Stille Nacht, heilige Nacht« zu spielen begannen, da sang auch Annemie hell mit den andern mit.

      Plötzlich jedoch stockte sie – durch die Zweige des Weihnachtsbaumes winkte ein Puppenarm – ein bekanntes Gesichtchen lugte schelmisch herüber – »Gerda, mein süßes Gerdachen!« Mitten in das Weihnachtslied hinein erschallte es jubelnd, und jetzt war kein Halten mehr.

      Das Puppenmütterchen hatte bereits ihr so lang entbehrtes Kind an das Herz gepreßt und bedeckte sein ebenfalls freudiges Gesicht mit heißen Küssen, während der Weihnachtssang ohne Annemie zu Ende ging.

      »Bist du denn wieder da, mein Kleines, wo hast du denn bloß solange gesteckt, hast du dich denn gar nicht nach deinem Mütterchen gebangt?« flüsterte Nesthäkchen.

      Puppe Gerda machte ein geheimnisvolles Gesicht. Wo sie solange