Rattenschwänzchen mit einem Haarband an Puppe Gerdas Verband fest.
Gerda schmiegte sich dankbar an ihre gute kleine Mama, und dann schlief jeder von ihnen mit seinem einen Rattenschwänzchen glückselig ein.
Am anderen Morgen aber verwandelte sich das Glück in Tränen. Als Fräulein an Annemies Bett trat, um sie anzuziehen, war sie nicht weniger entsetzt, als die Kleine gestern beim Anblick ihrer Puppe.
»Annemie – um Himmels willen – was hast du denn bloß gemacht?«
Nesthäkchen sah Fräulein mit ihrer halben Jungs-und ihrer halben Mädchentolle groß an, sie dachte im Augenblick gar nicht an das abgeschnittene Rattenschwänzchen.
»Wo hast du denn bloß dein Zöpfchen gelassen?« Fräulein traute ihren Augen nicht.
»Das ist meiner Gerda über Nacht angewachsen.« Mit strahlendem Gesicht hielt Annemie die Puppe in die Höhe. Aber da war nichts von einem Zöpfchen zu sehen, nur der Verband saß auf dem Kopf.
Ja, wo war das Rattenschwänzchen denn bloß geblieben? Annemie begann in Hast zu suchen, während Fräulein noch immer ganz erstarrt dastand.
»Da ist es ja!« Unter dem Kopfkissen zog die Kleine ihr abgeschnittenes Zöpfchen, das Gerda im Schlafe verloren, hervor und hopste damit seelensvergnügt im Bett herum.
Bei diesem Anblick kam wieder Leben in Fräulein.
»Schämst du dich denn gar nicht, du Unart, dir deine Haare abzuschneiden, ach, was wird Mutti bloß sagen?« Damit war Fräulein aus dem Zimmer, um Frau Doktor Braun von der merkwürdigen Verwandlung ihres Nesthäkchens in Kenntnis zu setzen.
»Ich wollte doch man bloß meiner Gerda ein Zöpfchen abschenken, weil sie doch nicht als häßlicher Kahlkopf rumlaufen kann.« Weinerlich verzog Annemie das noch eben lachende Gesicht, als Mutti in höchster Aufregung die Kinderstube betrat.
»Lotte – Lotte – wie siehst du aus!« Mutti war noch entsetzter als Fräulein. »Weißt du nicht, daß du keine Schere anfassen darfst, du ungezogenes Kind?! Nun muß ich dir doch das andere Zöpfchen auch noch abschneiden lassen, so kann es nicht bleiben!«
Aber da ging Annemies leises Weinen in lautes Jammergeheul über.
»Nein – nein – ein Zöpfchen muß ich behalten, ich will nicht als häßlicher Kahlkopf in den Kindergarten gehen!« Sie schrie so laut, daß auch Vater erschien, um zu sehen, was denn seiner Lotte fehle.
Als Vater die schreckliche Geschichte von dem abgeschnittenen Rattenschwänzchen vernommen hatte, lachte er laut.
Ganz erstaunt richtete Nesthäkchen die tränennassen Augen auf ihn – war Vater denn nicht böse wie die andern?
Nein, Vater nahm sein Kleines auf den Arm, trocknete ihm die Tränen und sagte begütigend zu Mutti: »Unsere Lotte hat es nicht böse gemeint, sie wollte ihrem Kinde doch nur helfen. Mutterliebe denkt eben niemals an sich selbst, und – die Haare wachsen ja wieder!«
Aber vor dem Friseur mit der großen Schere vermochte auch Vater seinen Liebling nicht zu retten. Denn so konnte ihr Köpfchen wirklich nicht bleiben.
Ritsch – ratsch – schnipp – schnapp – da mußte auch das andere Rattenschwänzchen herunter, so bitterlich die Kleine auch im Friseurladen weinte.
Fräulein packte das Zöpfchen sorgsam ein, und Klein-Annemie warf einen Blick in den großen Spiegel.
»Wie Klaus sehe ich aus – abscheulich –« schluchzte sie, »wenn Knecht Ruprecht jetzt bloß nicht denkt, daß ich ein Junge bin und mir lauter olle Soldaten zu Weihnachten bringt.«
»Eine Rute wird er dir bringen und nichts weiter – denn was anderes hast du doch wohl nicht verdient«, sagte Fräulein sehr bestimmt.
»Hat er mir denn was in meine Schuhe reingelegt?« Jetzt erst dachte Annemie an dieselben, über all der Aufregung waren sie in Vergessenheit geraten.
O weh – in Annemies roten Schuhchen lag kein Goldfaden und keine Pfeffernuß, nicht einmal ein silberner Faden. Und die Puppen hatten doch alle ein goldenes Fädchen und eine Pfeffernuß in ihrem Schuhchen gefunden, sogar der wilde Kurt. Aber von Annemie schien Knecht Ruprecht überhaupt nichts wissen zu wollen.
»Nein, Lotte, ich kann dich nicht mehr liebhaben.« Mutti hielt sich die Augen zu, als ihr Nesthäkchen mit dem kurzgeschorenen Jungskopf wieder bei ihr erschien.
»Und ich habe meine Gerda doch lieb gehabt, wenn sie auch ein Kahlkopf war!« sagte die Kleine halb weinerlich, halb vorwurfsvoll.
Da siegte auch bei Frau Doktor Braun die Mutterliebe. Sie nahm ihre Lotte auf den Schoß und gab ihr einen Kuß zur Verzeihung.
Das kleine Mädchen aber versprach hoch und heilig, es niemals wieder zu tun.
Ja, Annemie, das soll dir wohl auch schwer werden, denn so schnell, wie sie abgeschnitten sind, wachsen die Zöpfchen nicht wieder!
Fräulein brachte Hut und Mäntelchen herbei, denn es war Zeit für den Kindergarten.
Aber Annemie, die sonst doch so gern zu Tante Martha ging, wollte heute durchaus nicht hin.
»Ich schoniere mich so toll, nachher denkt Tante Martha noch, ich bin ein fremder, kleiner Junge!« flüsterte sie Fräulein ins Ohr.
Die aber sagte: »Das schadet gar nichts, daß du dich schämst, das ist deine Strafe!«
»Denn soll mir Vater wenigstens einen Verband um den Kopf machen wie Gerda«, bat Annemarie flehentlich.
Aber Vater war fort auf Praxis. Und so traten zwei kleine Kahlköpfe, Annemie und Gerda, zu Tante Marthas und aller Kinder größtem Erstaunen heute im Kindergarten an.
Ach, Annemie mußte sich wirklich schämen, denn jeder fragte sie doch, wo sie denn ihre hübschen Zöpfchen gelassen habe. Trotzdem die Kinder jetzt so nette Weihnachtsarbeiten bei Tante Martha anfertigten und dazu mit hellen Stimmen Weihnachtslieder sangen, war Klein-Annemie lange nicht so vergnügt wie sonst. Das Lied »Morgen kommt der Weihnachtsmann« traute sie sich gar nicht mitzusingen, weil doch Knecht Ruprecht nichts von ihr wissen wollte.
Ein paar Tage später war der eine kleine Kahlkopf verschwunden – und zwar Puppe Gerda. Trotz Annemies ängstlichem Forschen kam sie nicht wieder zum Vorschein. Ob Klaus sie fortgenommen hatte oder am Ende gar Knecht Ruprecht – das blieb Nesthäkchen vorläufig ein Rätsel.
18. Kapitel
Puppenweihnachten
Schneller als gedacht, war Heiligabend, der wichtigste Tag im ganzen Jahre, da. Knecht Ruprecht wußte nicht, wo ihm der Kopf stand. War das eine Hetze, um nur rechtzeitig mit all den Puppen und Soldaten, den Baukästen und Geschichtenbüchern auf der Erde einzutreffen. Sein Schlitten raste durch den verschneiten Winterwald. Denn Knecht Ruprecht ist ein altmodischer Mann, wenn Schnee liegt, kommt er am Heiligabend nicht im Luftschiff, sondern wie er es von jeher gewohnt, in dem Riesenwolkenschlitten zur Erde herab.
Hinten auf dem Schlittensitz waren die Säcke voll Spielzeug verladen. Zwei kleine Engelchen mit silberweißen Schwanpelzen und rotgefrorenen Näschen hielten daneben Wache, daß bei der eiligen Fahrt keine Puppe zu schaden kam und kein Soldat die Flucht ergriff.
Da hörten denn die beiden Engelchen ganz deutlich, wie das in dem Sack flüsterte und wisperte. Natürlich die Puppen waren’s, Damen haben ja immer etwas zu schwatzen.
»Ich komme gewiß in ein Schloß zu einer kleinen Prinzessin«, sagte die eine Puppe, die fast so groß war wie ein Kind und ein rosa Seidenkleid trug, stolz. »Die kocht mir jeden Tag meine Leibgerichte: Schokoladensuppe und Rosinenbraten mit Marzipankartoffeln!«
»Ich möchte nicht in ein Schloß kommen«, meinte eine andere Puppe, die nur ein einfaches Kattunkleidchen besaß. »Eine kleine Prinzessin, die hat ja