eine anständig gekleidete Puppe verwandelt hatte, zog die ganze Gesellschaft in die Stallungen.
Fräulein konnte inzwischen in Ruhe auspacken.
Zuerst ging’s zu den Pferden. Der kecke Klaus ließ sich von einem Knecht gleich auf einen der Braunen setzen und schrie dazu »Hü« und »Hott«.
Annemie aber stand ängstlich von weitem. Sie traute sich nicht mal an das niedliche Füllen, das Babypferdchen, heran, das Elli mit Zucker fütterte. Und als sie sich schließlich überreden ließ, dem Tierchen selbst ein Stückchen Zucker zu reichen, da zog sie laut schreiend das Händchen zurück, welches das Füllen beschnuppert hatte. Ganz genau zählte sie nach, ob auch kein Fingerchen fehlte, der Zucker aber lag auf der Erde.
Bei den Kühen erging es Klein-Annemie nicht viel besser. Trotzdem sie ihrer Gerda so mutig versichert hatte: »Die beißen nicht!« wagte sie sich nicht näher. Warum schlugen sie denn auch so ärgerlich mit der Schwanzquaste? Und vier Beine zum Stoßen hatten sie auch, an jeder Ecke eins.
Plötzlich aber rief die Kleine erfreut, auf eine wunderhübsche, weißbraune Kuh zeigend: »Das ist ja die Kuh aus meinem Bilderbuch!«
»Quatsch,« lachte Vetter Peter, »das ist doch eins lebendige.«
»Na, denn ist es eben ihre Schwester, sie sieht ihr genau so ähnlich wie Tante Kätchen meiner Mutti«, erklärte Annemie mit Bestimmtheit.
Onkel Heinrich, der von seinem Morgenritt zurückgekehrt war, und den schmeichelhaften Vergleich gerade mit angehört hatte, lachte dröhnend.
»Weißt du denn auch, was uns die Kuh gibt?« fragte er.
»Aber das weiß doch sogar schon meine Gerda, daß man die Milch von der Kuh kriegt«, rief Annemie stolz.
»Na, und der Kaffee, wo kommt der her?« neckte der Onkel.
Die Kleine besann sich keinen Augenblick.
»Natürlich vom Pferd, denn er ist ebenso braun!«
Schallendes Gelächter folgte auf Klein-Annemies Ausspruch. Selbst die Kühe lachten, daß ihr langer Schwanz hin und her wackelte.
Annemie aber lief aus dem Kuhstall und teilte Elli heimlich mit, daß sie sich »ganz schrecklich schoniere«.
Die Schweinchen fanden auch nicht den Beifall der kleinen Kusine. Sie meinte geringschätzig: »Die sind ja gar nicht richtig! Die Ferkelchen in meinem Bilderbuch sehen rosenrot aus und riechen auch gar nicht so abscheulich!«
Aber von der Geflügel-Kinderstube war Annemie nicht fortzubringen.
Ach Gott, wie niedlich! Die kleinen Entchen, die noch ganz gelbe Flaumfedern hatten, die winzigen Gänschen, und die süßen, kleinen Kücken, die so unbeholfen hinter ihrer Hennenmutter hertappelten.
Auch der Kaninchenstall mit seinen übermütigen Bewohnern, die sich gar lustig überpurzelten, machte den Stadtkindern große Freude.
»Nun wollen wir in den Garten gehen«, meinte Elli.
Ach, war es da schön! Lauter Stiefmütterchen und Vergißmeinnicht, und die vielen Gänseblümchen, die da alle auf dem Rasen wuchsen.
»Pflücke dir doch welche, wir wollen für deine Gerda einen Kranz machen, Annemiechen«, schlug Elli vor.
Die Kleine zögerte.
»Ja, darf ich denn auf den Rasen treten?« fragte sie erstaunt.
»Aber natürlich«, lachte Elli.
»Gibt’s denn hier keinen Tiergartenwächter?« Scheu sah sich die kleine Berlinerin um.
»Nein, Annemie, hier darfst du laufen, wohin du willst, hier tut dir keiner was«, beruhigte sie die Kusine.
»Ach, ist das schön bei euch – ich will niemals wieder in den ollen Tiergarten!« Das klang wie der Jubellaut eines Vögelchens, das zum erstenmal aus dem engen Bauer in die weite Luft hineinfliegt.
Klaus aber hatte seine ländliche Freiheit schneller begriffen. Der war bereits mit einem Satz in die Hängematte und mit dem nächsten wieder heraus und in die Schaukel. Jetzt strampelte er am Reck, und dann ging es mit den Vettern in die Johannisbeeren und Stachelbeersträucher.
Und am nächsten Tage hatte er bereits einen verdorbenen Magen.
15. Kapitel
»Kommt ein Vogel geflogen«
Herrliche Wochen verlebten die Berliner Kinder auf dem Gute. Viel schneller als zu Haus gingen die Tage dahin, mit beiden Händen hätten Klaus und Annemie sie festhalten mögen, denn jeder Tag brachte etwas neues Schönes.
Klaus sah aus wie ein richtiger Bandit, sonnverbrannt und meistens zerfetzt. Kein Baum war ihm zu hoch und kein Graben zu tief. Fräuleins Sommererholung bestand in täglichem Höschenflicken.
Auch Annemie war ein tüchtiger Wildfang geworden. Allenthalben trieb sie sich mit den drei Jungen herum. Ihre Angst vor Pferden, Kühen und Schweinen hatte sich längst gegeben. Selbst der große Truthahn konnte sich nur bei ihr in Respekt setzen, wenn er seinen Koller bekam. Aber wie hatte Nesthäkchen sich auch erholt. Ihre Bäckchen waren so rot wie ihr Musselinkleidchen und ihre Beinchen so braun wie ihre braunen Strümpfe.
Auch die sanfte Gerda war hier ganz außer Rand und Band. Sie blieb mit ihren hübschen Kleidern an allen Zäunen und Sträuchern hängen, schlug sich Beulen in den Kopf, tauchte mit zerkratztem Gesicht aus den Dornenhecken auf und kam meistens barfuß nach Hause.
Wenn sie sich trotzdem nicht so gut erholt hatte wie ihre kleine Mama, so lag das nicht an der Arnsdorfer Luft, sondern einzig und allein an Klaus. Der brachte die Puppe um ihre ganze Erholung, ewig mußte sie vor dem Schlingel zittern.
Durften die Kinder mit dem Leiterwagen mit aufs Feld hinausfahren, drängelte und schubste Klaus so lange, bis Puppe Gerda durch eine Leitersprosse durchkugelte und am Wege liegen blieb. Nicht einmal ihr Mütterchen hatte es gemerkt, erst bei der Rückfahrt konnte die ganz verstaubte Puppe wieder aufgelesen werden.
Spielte man im Heu, so war Gerda sicher dem Erstickungstode nahe. Der böse Klaus begrub sie unter einem Riesenheuberg bei lebendigem Leibe.
Wo der Bengel sie erblickte, bombardierte er die arme Gerda mit unreifen, vom Wind abgeschlagenen Äpfelchen, so daß ihre Nase schon ganz plattgedrückt war.
Ließen die Kinder am Entenpfuhl Schiffchen schwimmen, schwamm auch sicherlich Gerda plötzlich auf dem grünlichen Wasser. Und wenn Herbert auf Annemies Gebrüll die Puppe nicht errettete, der schlechte Klaus hätte sie elendiglich versaufen oder von einem Frosch verspeisen lassen. Ach, was Gerda für eine Angst vor diesen quakenden grünen Scheusalen hatte!
Wieder mal war Puppe Gerda plötzlich verschwunden. Eben noch hatte sie mit Annemie und allen andern Kindern im Wäldchen »Räuber und Prinzessin« gespielt, da war sie mit einem Male auf und davon. Klein-Annemarie durchsuchte voll Sorge jedes Brombeergestrüpp, jeden Maulwurfshügel – Gerda kam nicht zum Vorschein.
»Es ist schrecklich mit dem Kinde, sie ist hier in Arnsdorf total verwildert«, klagte sie Elli, Gerdas Tante. »Wer weiß, wo sie sich jetzt wieder herumtreiben mag!«
Aber als die Jungen, Herbert und Peter, welche die Räuber waren, ihre Taschentücher als Friedensfahne wehen ließen und herankamen, um zu fragen, ob die Mädels nicht ihren Räuberhauptmann Klaus gesehen hätten, da wußte Annemie gleich, wo sie Gerda zu suchen hatte.
»Mein Kind ist geraubt worden, der Räuberhauptmann hat meine kleine Gerda gestohlen!« Jammernd machte sich Annemarie mit den andern an die Verfolgung.
Nirgends eine Spur, weder von Klaus noch von Gerda. Man durchstöberte die Rosenhecken, die Lauben, Hof und Haus. Nirgends war der Puppenräuber zu entdecken. Der saß oben auf dem obersten Kornboden und spähte durch eine Dachluke hohnlachend auf seine