Else Ury

Die beliebtesten Jungmädelgeschichten von Else Ury


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roten Bäckchen lag es auf dem stickereibesetzten Kissen und lachte im Schlaf. Gewiß träumte es von dem neuen Kinde. Die hübsche kleine Mama gefiel dem Puppenkinde sehr, sicher würde sie es gut bei ihr haben. Gerda nahm sich vor, immer brav zu sein und Annemie nie zu ärgern. Dann aber faltete sie ihre Zelluloidhände und flüsterte: »Lieber Gott, ich danke dir, daß du mich zu einem so guten Mütterchen gebracht hast!«

      Klein-Annemarie schlief noch immer, und Puppe Gerda begann sich allmählich zu langweilen.

      Surr – surr – da summte eine Fliege über dem Kinderbett und setzte sich der Puppe gerade auf die Nase.

      »Surr – surr – wie kommen Sie denn hierher, Fräulein?« begann die Fliege die Unterhaltung. »Ich wohne doch schon schrecklich lange, zwei ganze Tage, in der Kinderstube, aber Sie habe ich hier noch nicht erblickt.«

      »Ich bin erst gestern hier eingezogen«, antwortete die Puppe schüchtern und schielte herzklopfend auf ihre Nase. Denn sie hatte in ihrem Leben noch niemals eine Fliege gesehen.

      »Surr – surr – wo haben Sie denn früher gewohnt?« erkundigte sich die Fliege.

      »In einer großen Pappschachtel, aber da war es lange nicht so hübsch wie hier. Stockdunkel war es darin, und die Luft war auch nicht besonders«, erzählte Puppe Gerda ein wenig zutraulicher. Und da sie sah, daß die Fliege es gut mit ihr meinte, setzte sie noch hinzu: »Ich habe es doch fein getroffen, daß ich hierher gekommen bin, nicht?«

      »Sum – sum«, sagte die Fliege mal zur Abwechslung, legte eins der dünnen Vorderbeinchen an die Stirn und dachte nach. »Ja, es sind recht anständige Leute, sie geizen nicht mit Zuckerkrümelchen und hängen an die Kronen keine heimtückischen Leimbänder, an denen wir armen Fliegen zappelnd unser Leben lassen müssen. Sum – sum.«

      »Nicht wahr, die kleine Annemarie ist gut?« fragte die Puppe, denn das lag ihr mehr am Herzen als Zuckerkrümel und Leimbänder.

      »Freilich,« surrte es zurück, »die Annemie tut keiner Fliege etwas zuleide. Aber der Klaus, ihr älterer Bruder, vor dem nehmen Sie sich in acht, Fräulein. Das ist der gefährlichste Mensch, den ich kenne. Wenn der Sie mal fängt, quetscht er Sie zu Apfelmus, oder er reißt Ihnen mindestens ein Bein aus. Mit meiner guten, alten Tante hat er’s gerade so gemacht, der Tunichtgut!«

      »Ich werde ihm möglichst aus dem Wege gehen«, nahm sich die Puppe furchtsam vor. »Doch ich sah gestern abend noch einen jungen Herrn, treibt der’s auch so schlimm?«

      »Sum – sum – wie man’s nimmt! Ganz so arg ist der Hans wohl nicht. Aber er hat manchmal eine große, bauchige Glasflasche in der Hand, damit rückt er uns armen Fliegen zu Leibe. Spiritus ist darin, der steigt uns so zu Kopf, daß wir geradeswegs in die große Flasche hineinfliegen müssen. Und wer erst einmal drin ist, der kommt nicht wieder heraus, elendiglich muß er in dem Spiritus ersaufen! Hüten Sie sich vor der Fliegenflasche, Fräulein, surr – surr!« Die Fliege summte so laut vor Empörung, daß Nesthäkchen sich zu bewegen begann.

      Husch – war das Fliegchen auf und davon und Puppe Gerdas Nase leer.

      Annemarie aber streckte sich und reckte sich, und dann schlug sie endlich die Augen auf.

      Gerade als Puppe Gerda überlegte, ob es nicht das gescheiteste wäre, vor den bösen großen Brüdern Reißaus zu nehmen und davonzulaufen, ehe Annemie noch erwachte, fühlte sie sich von zwei weichen Kinderarmen innig umschlungen. Ein rotes Mündchen preßte sich auf den ihren, und ein warmes Herzchen pochte gegen ihren kalten Zelluloidkörper. So lieb und zärtlich, daß alle Angst vor dem fürchterlichen Klaus und vor der großen Fliegenflasche bei Gerda verflog. Wohl behütet und geborgen fühlte sich Puppe Gerda bei ihrem Mütterchen.

      »Guten Morgen, mein einziges Gerdachen – hat mein Nesthäkchen denn auch schön geschlafen?« klang es ihr liebevoll entgegen.

      Die Puppe nickte, denn ihr Kopf war mit Gummischnur befestigt.

      »Wollen wir uns denn nun anziehen und süße Zuckermilch trinken?« fragte das sorgsame Mütterchen weiter.

      Puppe Gerda lächelte erfreut. Sie hatte schon großen Durst, und Zuckermilch war ihr Leibgericht. Aber vorläufig mußte sie sich noch etwas gedulden. Denn Fräulein trat ins Zimmer, um erst mal Annemarie aufzunehmen.

      Die schnitt ein Gesicht. Das dumme Anziehen – sie hatte sich so darauf gefreut, noch ein bißchen mit ihrer Gerda im Bett zu spielen.

      Da neigte sich Fräulein zu ihr herab und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

      Das kleine Mädchen wurde rot und sah verlegen auf ihr Puppenkind.

      Hatte es Gerda auch bloß nicht gehört, was Fräulein soeben gesagt hatte? Ob sie sich denn gar nicht vor ihrem neuen Kinde schäme, und daß sie jetzt immer sehr artig und gehorsam sein müsse, um ihrer Gerda ein gutes Beispiel zu geben.

      Nein, die Puppe machte ein ganz harmloses Gesicht und sah respektvoll zu ihrer kleinen Mama auf.

      Eins – zwei – drei – war die aus den Federn, Fräulein sollte sie nicht umsonst gemahnt haben. Gerda wurde in die Bettecke gegen das Stickereikissen gesetzt und durfte bei Annemies Toilette zugucken.

      Und das war gut, denn Annemie nahm sich vor ihrem neuen Kinde zusammen. Das sollte doch nicht wissen, daß seine Mama noch ab und an beim Waschen schrie, wenn das Wasser mal besonders naß war. Fest biß die Kleine die Zähnchen zusammen, daß ihnen kein Laut entschlüpfte, während Fräulein den großen Schwamm in Bewegung setzte und eklig rubbelte. Aber als Nesthäkchen selbst beim Kämmen nur ein einziges kleines »Au!« hören ließ, trotzdem der alte Kamm gerade heute tüchtig ziepte, schloß auch Fräulein Puppe Gerda in ihr Herz. Denn die ganz allein hatte das Wunder zuwege gebracht.

      Gerda mochte sich von ihrer kleinen Mama nun auch nicht beschämen lassen. Als Annemarie endlich Zeit fand, sie anzukleiden, biß auch sie ihre niedlichen Porzellanzähnchen fest zusammen. Denn Annemie rubbelte noch viel ekliger als Fräulein und riß noch viel toller an den goldblonden Flachshärchen. Aber nein – nur nicht schreien, was hätten denn auch die anderen Puppen bloß von ihr gedacht!

      Die waren dem neuen Ankömmling sowieso nicht sehr freundlich gesinnt.

      »Ich will angezogen werden, ich muß in die Schule, sonst kriege ich einen Tadel!« rief Irenchen schon zum drittenmal hinter der weißen Mullgardine ihres Himmelbettes hervor. Aber die Kleine hatte heute nur Auge und Ohr für ihre Gerda.

      »Annemie hat mir heute noch gar keinen Umschlag auf meine schlimmen Augen gemacht, trotzdem Doktor Puck es verordnet hat«, jammerte auch Mariannchen.

      »Ja, sie hat sich heute überhaupt noch nicht um uns gekümmert, aber den Zieraff mit dem blonden Flachskopf, der erst gestern gekommen ist, küßt sie in einemfort«, berichtete Irenchen, durch die weiße Mullgardine lugend, eifersüchtig. »Dabei habe ich doch viel schönere und vor allem ganz echte Zöpfe.«

      »Wie sieht denn die Neue aus, ist sie denn wenigstens hübsch?« erkundigte sich Mariannchen angelegentlich. Gar zu gern hätte sie ihre verklebten Augen aufgemacht, um Puppe Gerda zu betrachten.

      »Ich finde, sie sieht recht gewöhnlich aus«, meinte Irenchen geringschätzig.« Rote Backen hat sie wie ein Bauermädel; wenn man vornehm sein will, muß man so blaß sein wie ich!«

      Auch in dem weißen Puppenwagen murrte es.

      Lolo, das Negerkind, hatte mit der steifen Porzellanhand die Wagengardine ein wenig zur Seite geschoben, um besser sehen zu können.

      Unerhört war das doch, da wusch und kämmte die kleine Puppenmama das Neugeborene, und sie selbst, die doch tausendmal schmutziger aussah und einen Struwwelkopf aus schwarzer Wolle hatte, sie mußte so liegen.

      Aber plötzlich schrie Lolo, die ein kleines Wutteufelchen war, erbost los und trampelte sogar mit den Füßen gegen die Wagenwand.

      »Meine Spitzenschürze – mein hübsches Sonntagsschürzchen bindet sie dem fremden Balg um – wirst du mir wohl meine Schürze nicht mausen!« rief sie so laut, daß auch Baby neben ihr im Steckkissen die Äuglein aufmachte und das Mündchen