Blick und die geschürzten Lippen ließen alle Anwesenden ihre Meinung bezüglich solcherart Zurschaustellung von Liebe wissen.
»Ladies und Gentlemen, dürfte ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?« Schafer erhob seine Stimme über das allgemeine Stimmgewirr.
»Natürlich, Mr. Schafer«, sagte Captain McCormack. »Bitte, fühlen Sie sich frei, zu sprechen.«
»Es scheint der perfekte Zeitpunkt für Constance und mich zu sein, um etwas bekanntzugeben«, fuhr der junge Mann fort. Stille senkte sich über die Gäste, welche durch einen verwirrten Blick des Majors und einem verständnisvollen Augenaufschlag von Glenda Finch begleitet wurde. »Ich bin überglücklich, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Constance am frühen Abend zugestimmt hat, meine Frau zu werden.«
Ein Aufatmen durchfuhr die versammelten Gäste und wurde von herzlichen Glückwunschbekundungen, dem Anstoßen von Gläsern und aufkommendem Applaus begleitet.
»Das sind wundervolle Neuigkeiten«, sagte Miss Finch. »Ich bin sicher, dass Ihre Familien erfreut sein werden.«
Dem Gesichtsausdruck von Miss Wilhomena Birkin nach lag die Klatschreporterin wieder einmal komplett daneben.
Alles, was Ulysses über Miss Glenda Finch wissen musste, wusste er durch das Lesen ihrer Kolumne und durch ihren wenig subtilen Versuch, investigativen Journalismus anzuwenden, welchen er persönlich bei dem erzwungenen Drink an der Bar erleben durfte. Auch jetzt warf sie sich ihm geradezu an den Hals und lachte bei jedem noch so schwachen Witz von ihm. Ihr ständiges Getätschel an seinem Arm oder seiner Hand, immer wenn sie ihn ansprach, fand er ärgerlich. Hauptsächlich ärgerte er sich jedoch über sich selbst; darüber, dass er die von ihr dargebotene Aufmerksamkeit ihm gegenüber eigentlich genoss. Carcharodons persönliche Assistentin war vielleicht die typische englische Rose, eine Schönheit, welche sich in einer Schale aus Schüchternheit und Unsicherheit verbarg und somit die größere Herausforderung darstellte. Aber es war auch etwas Reizvolles an Glenda Finchs dreister Vorgehensweise und ihren unbeholfenen verführerischen Versuchen, nur um an eine Story zu kommen. Allerdings verhielt sie sich gegenüber Major Horsley zu ihrer Rechten genauso kokett.
Der Major zumindest schien die Aufmerksamkeit einer attraktiven jungen Dame mit Vorliebe für tiefe Ausschnitte zu genießen. Major Marmaduke Horsley war ein pensionierter Army-Offizier, der zum Großwildjäger wurde, von der Pension und dem familiären Vermögen lebte und der nie mit jemand anderes als den bewaffneten Streitkräften Ihrer Majestät verheiratet gewesen war. Alles, was man über den Major wissen musste, konnte man auf den ersten Blick sehen. Ein Mann wie er konnte seine Ansichten nur schlecht verbergen; er tendierte erst gar nicht dazu, es überhaupt zu versuchen. Ein schroffer, rustikaler Charakter mit einem Lachen, so groß wie sein Bauch. Seine im Dienst antrainierten Muskeln waren schon lange zu Fett geworden. Der Preis von zu viel ungesundem Essen und einer Aversion gegen körperliche Ertüchtigung. Er war wie jedermanns unverbesserlicher Lieblingsonkel. Sein Aussehen und seine Manieren hatten etwas vom Weihnachtsmann – ein rotes, mit violetten Adern durchzogenes Gesicht, eine riesige Knollennase sowie ein buschiger weißer Backenbart nebst Schnurrbart.
Zwischen Dexter Sylvester und Miss Birkin, und somit genau gegenüber von Ulysses, saß schlussendlich Thor Haugland, der hoch angesehene weltumwandernde Reiseschriftsteller. Sein heimatlicher Akzent war aus seiner gebildeten Sprache herauszuhören. Dennoch sprach er ein besseres Englisch als viele Engländer, die Ulysses kannte. Und Englisch war lediglich eine von sieben Sprachen, die der Norweger beherrschte. Sollten die Gespräche an diesem Abend ins Stocken geraten, wäre Haugland durch seine Art, jeglichen Kommentar und jede Frage in eine Exkursion über eines seiner vielen Abenteuer zu wandeln in der Lage gewesen, im Alleingang für Unterhaltung beim Dinner zu sorgen. Trotz seiner hochgegriffenen pseudointellektuellen Haltung gab es keinen Zweifel an seiner Fähigkeit als Geschichtenerzähler. Selbst das unbedeutendste Erlebnis wurde mit geschickter, fesselnder Kunstfertigkeit in eine faszinierende Anekdote verwandelt. Besonders Miss Birkin wirkte geradezu glücklich über jedes einzelne seiner Worte, anstatt sich mit der übereilten – und wahrscheinlich aufmüpfigen – Verlobung ihres Schützlings Miss Celeste beschäftigen zu müssen.
Dann war da noch Jonah Carcharodon. Ulysses bemerkte, dass dieser neben ihm in vielerlei Hinsicht die bekannteste Persönlichkeit dieser Gesellschaft war. Und dennoch war er der große Unbekannte, was den Dandy-Abenteurer beunruhigte. Natürlich gab es Gerüchte. Aber die wahren Fakten hinter diesen Gerüchten blieben frustrierend umwölkt von einem Nebel aus Widersprüchlichkeiten, Ungewissheiten und glatten Lügen. Die Great White Shipping Line war unzweifelhaft ein weltweiter Erfolg. Aber da blieben die hartnäckigen Gerüchte, dass der Bau der Neptune fast die gesamte Firma versenkt hätte. Jeder wusste, dass Carcharodon an einen Rollstuhl gebunden war. Niemand jedoch wusste, warum. Es war allgemein bekannt, dass Carcharodon ein exzentrischer Milliardär war. Niemand jedoch wusste, was er mit seinem beachtlichen Vermögen anstellte. Über die Jahre hatte er viele Interviews gegeben, aber niemand konnte etwas wirklich Greifbares über den Mann berichten. Er blieb ein Mysterium. Von eigenen Nachforschungen wusste Ulysses lediglich, dass Carcharodon der Eigentümer der Schiffsgesellschaft mit seinem Namen war und der Gastgeber dieser Party. Ein grimmiger alter Kerl mit einer Vorliebe für hübsche junge Assistentinnen, der auf seinem eigenen Schiff nicht gerne übertrumpft wurde. In diesem Moment stauchte er gerade seine aufgeschreckte Assistentin zusammen, während der Mann von Umbridge Industries versuchte, ihm eine Frage zu stellen.
Während Ulysses die Anordnung der Gäste um den Tisch betrachtete, fragte er sich, ob einer oder mehrere in weiser Voraussicht Plätze vertauscht hatten. Beispielsweise Dexter Sylvester, um die ungeteilte Aufmerksamkeit des offensichtlich verärgerten Jonah Carcharodon zu erlangen. Oder Glenda Finch, damit sie neben Ulysses selbst sitzen konnte. Vielleicht nahm er sich auch einfach nur zu wichtig?
Was für ein ungewöhnlicher Haufen, um gemeinsam auf dem größten und luxuriösesten Unterwasser-Kreuzfahrtschiff das Dinner zu teilen, dachte er. Wie wahrscheinlich war es, diese ganzen Persönlichkeiten zur gleichen Zeit an Bord der Neptune anzutreffen, außer auf ausdrückliche Einladung der Great White Line mit kompletter Kostendeckung. Die Namensliste der Gäste am Tisch des Captains hatte das Potenzial eines Kriminalgroschenromans, wenn der richtige Autor am Werk wäre.
Aus Mitgefühl für die schüchterne junge Frau und weniger um Carcharodon aus den Fängen des unnachgiebigen Dexter Sylvester zu befreien, wandte sich Ulysses an den Milliardär.
»Mr. Carcharodon«, begann er. »Oder darf ich Sie Jonah nennen?«
»Sie können mich Carcharodon nennen.«
»Ich muss mich bei Ihnen bedanken für die persönliche Einladung, diesem wundervollen Erlebnis beiwohnen zu dürfen.«
»Was?«
»Für die Einladung zur Eröffnungsweltreise der Neptune.«
»Danken Sie nicht mir«, antwortete Carcharodon bissig. »Das war nicht meine Idee. Meine persönliche Assistentin hat diese Einladungen verschickt. Sie tut alles für mich, nicht wahr?« Er drehte sich zu ihr um und hörte sich dabei nicht ein kleines bisschen dankbar an. »Aber dafür wirst du auch schließlich bezahlt, richtig? Heute Abend ist sie hier lediglich anwesend, um auf die richtige Anzahl Gäste zu kommen. Sie wissen ja, wie verflucht abergläubisch Seemänner sind«, sagte er, seine letzte Bemerkung in Richtung Captain McCormack gerichtet.
Als die Kellner-Drohnen das Dessert abräumten und begannen, den Kaffee zu servieren, wurde Ulysses aus seinem halbherzigen Gespräch mit der geschwätzigen Glenda gerissen. Lady Denning erhob sich, um sich mit einer Entschuldigung zu verabschieden. Eine Reihe Stühle wurden zurückgeschoben, als die Gentlemen sich erhoben, um der Lady einen guten Abend zu wünschen.
»Sie gehen so früh?«, fragte Carcharodon die bedeutende Meeresbiologin in einem fast herausfordernden Ton.
»Ja, Mr. Carcharodon. Es war ein sehr angenehmer Abend«, antwortete sie, ohne dass ihre Mimik ihre Worte unterstützte. Irgendetwas hatte ihr den Abend wohl verdorben. »Es ist Zeit, dass ich mich zurückziehe. Ich bin eben ein Gewohnheitstier und es ist wohl zu spät, diese alte Ziege noch zu ändern.«
An und für sich wäre das nichts Außergewöhnliches