Dietmar Wolfgang Pritzlaff

Bombenstimmung


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an: Frank hat Schluss gemacht. (Pause) Was? Stand sowieso auf der Kippe? Da weißt du mehr als ich. Anschließend musste ich zum Arbeitsamt. Die haben mir die Arbeitslosenhilfe gestrichen. Ich soll erst mal eine Lebensversicherung auflösen und davon leben. Erst wenn das aufgebraucht ist kriege ich wieder Hilfe. (Pause) Was? Ich habe schon 17. Jahre eingezahlt. Ist doch für meine Rente und dann die hohen Verluste bei der Auflösung. Dann ist auch noch mein Wagen liegen geblieben. (Pause) Ja, der alte Opel Kadett. Der ADAC war da. Irgendwas mit dem Keilriemen. Einen passenden Keilriemen für meinen alten Wagen hatte er nicht dabei. Dann hat er mich abgeschleppt, bis vor die Haustür. (Pause) Bitte? Ich meine nicht den Typ, das Auto. (Pause) Ja klar, in die Werkstatt. Wer soll das bezahlen? Kaum zuhause rief Britta an. Hat sich ausgesperrt. Ich mit dem Bus zu Britta und die Tür eingetreten. Ging nicht anders. Aber sie konnte wenigstens wieder rein. Die Tür haben wir nur notdürftig geflickt. Mit dem Bus zurück. Unterwegs ein Unfall. Nix ging mehr. Ich bin dann gelaufen. Aber wie der Blitz, weil ich doch mit Susanne ins Kino wollte. Dann war ich aber im Krankenhaus. (Pause) Im Krankenhaus, weil ich gestolpert und auf meine Hand gefallen bin.(Pause) Nein, nicht gebrochen, nur aufgeschürft und geprellt. Trage nur einen Verband, keinen Gips. (Pause) Wie, dann gehts ja noch? Na, auf jeden Fall, Kino muss heute ausfallen und meine Mutter kommt heute abend übers Wochenende zu Besuch. (Pause) Ja genau, auch das noch und Bernds Wohnung ist aufgebrochen worden. Er rief gerade an und...

      Es schellt an der Haustür.

      MARTIN Du, es hat geschellt, wird wohl meine Mutter sein. Ich muss an die Tür. (Pause) Ja, ja, halt du auch was steif. Tschüß.

      Es schellt wieder an der Haustür. Martin läuft zur Tür und öffnet.

      MARTIN Mama!?

      MUTTER (redet sehr schnell - ohne Punkt und Komma) Jetzt darf deine arme, alte, kranke Mutter auch noch selbst die Koffer in die dritte Etage tragen. Danke, mein Sohn. Wo warst du denn?

      MARTIN (gibt Mutter einen Kuss, die nicht weiß, wo sie mit ihren Koffern hin soll) Mutti, ich...

      MUTTER (unterbricht) Da besucht man einmal in der heiligen Zeit seinen Sohn und dann hat der Herr was Besseres zu tun, als seine arme, alte, kranke Mutter vom Bahnhof abzuholen. Gib mir mal einen Schnaps.

      MARTIN Mutter!

      MUTTER Du wirst doch deine arme...

      MARTIN (fällt mit ein) ...alte, kranke Mutter...

      MUTTER ...nicht verdursten lassen?

      MARTIN Hol dir einen Schluck Wasser aus dem Hahn.

      MUTTER Ich brauche nur ein bisschen, keine Panik, habe ich jetzt alles im Griff.

      MARTIN Du hast schon fünf Entzüge hinter dir...

      MUTTER Zählen kann er auch nicht mehr. Sechs sind es schon, mein Kleiner.

      MARTIN Von mir kriegst Du nichts.

      Martin dreht sich herum und geht ins Wohnzimmer. Er läuft ziel- und kopflos hin und her. Er achtet nicht auf seine Mutter. Mutter holt aus der Reisetasche eine Literflasche Schnaps, dreht sich vom Sohn weg und trinkt fast ein Viertel daraus und versteckt sie ganz schnell wieder in der Tasche.

      MUTTER So, geht schon wieder. Müssen wir das alles im Hausflur besprechen?

      MARTIN (genervt) Dann mach doch die Tür zu.

      Mutter schlägt die Tür fest zu und kommt ins Wohnzimmer.

      MUTTER Junge, was ich dir erzählen muss, deine Tante Inge kriegt was Kleines. Sie ist zwar 20 Jahre jünger als ich, auch nur ein Ausrutscher, aber mit 44 sollte man doch keine Kinder mehr kriegen. Jetzt weiß sie nicht ob abtreiben oder nicht. Und Onkel Heinz hat es wieder ganz schlimm...

      MARTIN Mama, ich muss dir was sagen. Ich habe heute...

      MUTTER (lauter) Gleich mein Kleiner! Lass doch mal deine arme, alte, kranke, Mutter was erzählen. Man sieht sich doch kaum noch. Onkel Heinz hat es wieder ganz schlimm mit seiner Lunge. Der keucht auf dem letzten Loch. Der raucht aber auch eine nach der anderen. Rauchst du noch so viel?

      MARTIN Ich...

      Mutter geht im Zimmer umher ohne auf Martin zu achten.

      MUTTER Du könntest aber auch mal Staubputzen.

      MARTIN Ja, Mutti!

      Mutter nimmt ein Foto vom Regal.

      MUTTER Was ist denn das für eine Schweinerei?

      MARTIN (reißt der Mutter das Foto aus der Hand) Das sind zwei Männer die sich küssen.

      MUTTER In einer eindeutigen Stellung. Muss so was hier öffentlich rum liegen? Das ist doch Pornografie.

      MARTIN Mutter, die haben mir die Arbeitslosenhilfe...

      MUTTER (unterbricht) Ach, jetzt gibt’s doch die 400 Euro-Jobs. Kannste denn nicht so was mal machen. Du hast doch keine zwei linken Hände.

      MARTIN Ich suche schon 2 Jahre nach einem Job.

      MUTTER Na, dann wird es doch höchste Zeit mal wieder arbeiten zu gehen. So was kann man verlernen. Gemütlich hast du es ja nicht gerade. So unordentlich.

      MARTIN Unordentlich?

      MUTTER Unaufgeräumt.

      MARTIN Ich habe keine Putzfrau, so wie du in deiner Langzeittherapieklinik.

      MUTTER Oh, Junge, wir Patienten...

      MARTIN Alkoholiker!

      MUTTER (grinst einmal kurz zu Martin) Wir Kranken, wir werden hart rangenommen. Wir müssen sogar das eigene Zimmer sauber halten. Schrecklich. Die kommen und kontrollieren. Man weiß gar nicht, wo man die Flaschen noch verstecken soll.

      MARTIN (zornig) Wieso bist du heute hier? Der Besuch war doch erst für das nächste Wochenende geplant?

      MUTTER Die haben mich rausgeschmissen.

      MARTIN Die haben was?

      MUTTER Rausgeschmiss...

      MARTIN Du hast gesoffen.

      MUTTER Nur ein bisschen. Das machen alle. Sonst hält man es dort doch nicht aus. Und ausnüchtern kann ich doch auch hier bei dir. Kannst deiner armen, alten, kranken Mutter ruhig mal helfen. Ach übrigens, dein Wagen hat zwei platte Reifen.

      MARTIN Was? (Martin läuft zum Fenster und reißt es auf) Das gibt’s doch gar nicht. So eine Scheiße. Das auch noch.

      MUTTER (steht auf) Und ich dachte, du hast es extra gemacht, damit du deine arme, alte, kranke Mutter nicht abholen brauchst. Ich geh mal aufs Klo.

      Mutter nimmt die Flasche aus der Tasche an sich und versucht sie hinterm Rücken zu verstecken. Martin sieht es.

      MARTIN Was hast du da? Du willst doch nicht...

      MUTTER Nur einen winzigen Schluck.

      Martin geht ihr hinterher. Mutter geht schnell ins Bad und schließt ab.

      MARTIN Mama, mach die Tür auf.

      Kein Laut von drinnen.

      MARTIN Fängt die ganze Scheiße wieder an.

      Martin läuft zum Fenster.

      MARTIN Mein schönes altes Auto. Ich halt das alles nicht mehr aus.

      Martin klettert aus dem Fenster und springt.

      MARTINS STIMME AUS DEM OFF Mama! Mama?

      Mutter kommt vom Klo und verstaut die Flasche, die fast leer ist, wieder in der Tasche.

      MUTTER Jesses, jetzt lässt der Junge auch noch das Fenster offen. (lauter) Und Mutter kann sich ja den Tod an den Hals holen, was? Ich habe noch nicht genug getrunken, dass ich das nicht merke. Martin? Wo bist du denn? Ich glaub ich krieg ne Krise. Ist das kalt hier drin.