auf sich wirken lassen, eventuell ist auch schon tempo di aperitivo, also bleibt man ein wenig sitzen und schaut aufs Meer … Wenn man das zur rechten Zeit am Morgen macht, hat man ein besonderes Erlebnis. Die Fischer fahren aus, manche in ihren traditionellen, bunten Schiffen. Und wenn man ein paar Stunden wartet, kann man die Boote wieder heimkehren sehen. Jetzt, denkt der Laie, ist des Fischers Arbeit getan – falsch, sie geht noch lange weiter. Denn nun bringt der Glückliche seinen reichen Fang auf den Markt, und hier darf nur er verkaufen, nicht seine Frau. Wie sehr das heute noch ernst genommen wird, ich weiß es nicht, aber angeblich bringt es Unglück, wenn die Frauen die Fische angreifen. Kaufen dürfen sie sie, das ja, aber den Fang ihrer Männer an Land bringen, zum Kauf vorbereiten, das nein. Vielleicht sind sie ja ganz froh darüber.
Jedenfalls kommen nun Fische und Fischer und Meeresfrüchte auf dem Markt an – und der ist bemerkenswert. Er ist der größte Fischmarkt Italiens und einer der schönsten. Zwischen hohen Toren dehnt sich ein Sonnendach, das sein rötliches Licht auf die Verkaufsstände mit ihren Steintischen wirft, mit dem Fang der Chioggiotti von heute am frühen Morgen. Anderes darf hier herinnen nicht angeboten werden – und so sitzen kleine Buben, die ihre Comic-Hefte verkaufen möchten, und Vertreter ähnlicher Kommerzgruppen vor den Toren. Die Stützen, von denen aus sich das Sonnendach spannt, haben allesamt ihre Bewohner – Möwen, die unbeweglich den Vena-Kanal vor Augen auf die Möglichkeit einer Fischjause lauern. Man muss sie länger beobachten, um sicher zu sein, dass diese Möwen nicht Teil eines Architekturkonzepts und Produkt einer Gipserei sind.
Eigentlich den ganzen Tag über, vor allem aber gegen Abend empfiehlt sich der Corso del Popolo, die Hauptstraße. Andenkenhändler – mit kleinen Holzschiffen alla Chioggia, hergestellt in China – ein Pfeifenerzeuger, Malerstudios und viele kleinere und größere Lokale geben der Stadt jenen Eindruck von geballtem Leben, den auch Carlo Goldoni geschätzt hat. »Krach in Chioggia« heißt sein Theaterstück im lokalen Italienisch, Goethe hat es gesehen und hat sich sehr amüsiert, in Giorgio Strehlers Regie wurde es noch einmal zu einem Welterfolg.
Und so sitzen die echten Chioggiotti mit den temporären – es gibt hier einige gute Hotels – am Corso und debattieren. Curzio Malaparte hat diesen breiten Straßenzug ein riesiges Freilichtcafé genannt.
Dort bin ich wieder einmal gesessen, jemand hat, wieder einmal, diese Charakteristik des Corso durch Malaparte zitiert – und ich habe einen anderen kurzen Text desselben Dichters erwähnt. Man macht so etwas gerne, um zu zeigen, dass man nicht nur »O sole mio« kennt:
»Sorge il sole, canta il gallo, Mussolini monta a cavallo.«
Großes Gelächter! Man ist in der Runde nicht ganz sicher, ob Curzio Malaparte sich über den Duce lustig gemacht hat – oder ob er das noch in der Zeit seiner Verehrung für den Faschismus geschrieben hat:
»Die Sonne geht auf, der Hahn kräht, Mussolini besteigt sein Pferd.«
Einer der Herren, es waren nur Männer in der Runde, bat mich, doch am nächsten Morgen, vor meiner Weiterfahrt in den Süden, in seinem Geschäft, gleich hier, vorbeizukommen, er habe etwas für mich.
Also ging ich am nächsten Morgen in die Kunsthandlung neben dem Hotel – und bekam ein Spielzeugpferd mit einem Reiter: Mussolini mit dem sogenannten Römischen Gruß, Vorsicht, nicht mit dem Hitlergruß! Er sieht auch anders aus. Meine Sammlerfreunde haben mir dann erklärt, ich hätte da etwas besonders Wertvolles geschenkt bekommen – der Schimmel vor allem stehe in ihren Kreisen in hohem Ansehen. Da die rechtliche Lage ganz anders ist als ihre Entsprechung, was die nationalsozialistische Wiederbetätigung betrifft, und da ja sogar auch noch heute in Rom, am Tiber, eine Säule steht, die dem Duce gewidmet ist, wie man auf ihr lesen kann, stelle ich hier mein Geschenk aus Chioggia vor. Allerdings habe ich Pferd und Reiter mit einem Pinocchio kombiniert, der dem Duce soeben den Römischen Gruß beibringt.
Pinocchio bringt Mussolini den Römischen Gruß bei
Sizilien ist in vielem das deutlichere Italien. Alles ist bunter, signifikanter, und wer zuerst die Insel und danach die Halbinsel Italien kennenlernt, mag sich wundern. Goethe in der »Italienischen Reise«: »Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele, hier ist der Schlüssel zu allem.«
Wenn auch die Liste mit dem Titel »Hier irrt Goethe« gar nicht so kurz ist, meistens hat er ja doch recht, in diesem Falle ganz sicher. Die Neigung des Landes zu Prunk und Glanz wird hier noch deutlicher. Der Feuilletonist und Journalist Luigi Barzini hat gesagt: »Die Schlauheit der Sizilianer ist tatsächlich so mächtig, dass immer schon ein Teil davon nach außen exportiert werden musste.«
Der Mailänder Barzini lobt ihre Fähigkeit, »eine Situation im Handumdrehen zu erfassen«, und dass sie auf diese Weise »die Italiener des Festlandes oft ebenso leicht zu verwirren vermögen wie die kontinentalen Italiener die Ausländer aus dem Norden Europas«. Dass man in dieser Region also mit Handel und Handeln besonders gut umzugehen weiß, ist kein Wunder.
Und dass man auf der Insel wunderschöne Märkte finden kann, ist also auch nicht zu verwundern. In Noto, ein Beispiel, das gerade nach Jahren des erschreckenden Verfalls wieder auflebt, gibt es zwar auch einen berühmten Töpfermarkt, aber vor allem den Bauernmarkt inmitten des prächtigsten Barock – ein Weltkulturerbe der UNESCO. Aus Steinbrüchen in der Nähe kam und kommt heller Kalktuff, der den Bauwerken so einen liebenswürdigen Eindruck von Leichtigkeit gibt. Die heroische Genickstarre, die den Betrachter eines gotischen Kirchturms erfasst, erspart man sich hier.
Palermo hat gleich mehrere Märkte, die absolute Sehenswürdigkeiten sind. Dass sie etwas von arabischen Suks – oder Suqs oder Souks oder anders, Basar – haben, den großen Märkten in Nordafrika oder Syrien, mag man sich mit der Vergangenheit erklären. Auf die kommen gerade Norditaliener immer wieder zu sprechen, wenn sie Sizilien zu beschreiben versuchen. Da kommt dann auch schnell das altgediente Späßlein »Die Sizilianer sind die einzigen Araber ohne Öl«.
Öl gibt es hier sehr wohl und auch im Kanister – prämiertes hervorragendes Olivenöl. Es wird fast überall auf der sonnendurchfluteten Insel gewonnen, rund um den Ätna, in den Monti Iblei, in der Provinz Ragusa. Das ist eines der Angebote, die für den Gast aus dem Norden noch als landestypisch zu begreifen sind.
Anderes an Palermos Märkten erinnert mehr an das arabische Erbe. Eine Delikatesse gibt es, die sofort in die Erinnerung an Nordafrika führt – Cannoli. Süß, mit kandierten Früchten, wie ein Dessert im nahen Ägypten, schmeckt das.
Zwischen diesen und anderen typisch sizilianischen Delikatessen gibt es Paradeiser aller Art, also pomodori, und an fast jedem Stand den finocchietto, wilden Fenchel, oder die aus ciceri, Kichererbsen, gemachten panelle.
Berühmt war der Markt La Vucciria schon immer, aber alte Palermitaner erinnern sich voll Wehmut an seine Vergangenheit. Das sei ja viel schöner gewesen, jetzt sei das eher ein Ziel für Touristen.
Der Markt ist der älteste der Stadt, und auch wenn ich gerne glaube, was man mir erzählt – es ist wie in vielen anderen Städten. Was noch immer da ist, macht Freude, auch wenn es »lange nicht mehr so ist, wie es war …«. Zu Zeiten Tomasi di Lampedusas, Leonardo Sciascias, Luigi Pirandellos habe ich noch nicht, oder fast noch nicht, gelebt. Mir gefällt es hier sehr.
Wenn man sich von diesen vielen Eindrücken vielleicht nur an weniges erinnert, den Lärm wird man nicht vergessen. Ganz anders als auf den Märkten im Norden der Halbinsel wird hier marktgeschrien auf Kunde komm raus.
Sizilien also ist in jeder Hinsicht anders als der Norden, dichter, bunter, und neben den soeben genannten und beschriebenen Märkten gibt es noch die vielen, vielen an den Markttagen der kleineren Orte, und die Märkte von Cefalù, von Capo d’Orlando, von …
Neapel kann sich auch einiger wunderbarer Märkte rühmen, aber ich kenne sie zu wenig, als dass ich sie hier im Detail rühmen könnte. Gut kenne ich die Museen, den Hafen, das angeblich gefährliche Viertel rund um den großen Bahnhof. Man geht von da in Richtung Dom, es ist nicht weit, in die Via