Patricia Vandenberg

Im Sonnenwinkel Staffel 4 – Familienroman


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in einer richtigen Familie aufwachsen konnte, in einer kleinen Welt voller Liebe, Güte und Verstehen.

      *

      Auch Oliver konnte wieder lächeln, als er die Augen aufschlug und das Gesicht seines Vaters sich über ihn neigte.

      »Vati«, flüsterte er, »du bist da!«

      Wie rührend, wie behutsam und leise dieser Mann sein konnte.

      »Nimmst du mich mit, Vati?«, fragte Oliver. »Ich möchte immer bei dir bleiben.«

      »Warum hast du es mir denn nicht geschrieben, mein Junge?«, fragte Bertold Busch heiser.

      »Mama hat doch gesagt, dass du mich nicht magst und nicht brauchen kannst. Aber jetzt bin ich doch schon groß. Wir können doch bestimmt allein zurechtkommen.«

      »Probieren können wir es ja mal«, meinte Bertold Busch. »Wir suchen uns eine Haushälterin.«

      »Aber keine Frau«, bat Oliver.

      »Gott bewahre mich«, murmelte sein Vater.

      »War Mama früher eigentlich lieber?«

      »Ich bilde es mir ein, Oliver.«

      Sollte er dem Jungen etwa sagen, dass er lange in dem Glauben gelebt hatte, ein glücklicher Mann zu sein, der alles erreicht hatte, was er erreichen wollte?

      Als Vater hatte er jedenfalls versagt. Das gestand er sich selber ein.

      Aber es war noch nicht zu spät, das gutzumachen.

      Die Anhänglichkeit des Jungen bewies es ihm.

      »Auf dem Fohlenhof wäre es eigentlich ganz schön, wenn wir zusammen dort sein könnten«, bemerkte Oliver nachdenklich. »Kannst du nicht auch mal Urlaub machen, Vati?«

      »Daran kann mich nichts mehr hindern. Ich bleibe hier, bis du gesund bist, Oliver, und dann erholst du dich auf dem Fohlenhof.«

      »Dann erholen wir uns von dem Schreck, Vati«, flüsterte Oliver. »Du hast mich doch lieb, sonst wärst du nicht gekommen.«

      Der von Gewissensbissen geplagte Mann schluckte schwer. Da setzen wir Kinder in die Welt, ging es ihm durch den Sinn, und denken nicht daran, wie ihnen zumute ist, wenn Ehekonflikte auf ihrem Rücken ausgetragen werden. Immer waren die Kinder jene, die am meisten zu leiden hatten. Wie sehr ihm das jetzt bewusst geworden war!

      *

      Bambi Auerbach kam an diesem Tag in recht gedrückter Stimmung vom Fohlenhof zurück.

      »Geht es Flicka nicht gut?«, erkundigte sich Inge Auerbach besorgt.

      »Ach, der Flicka geht’s prima. Die tut gar nicht so, als ob sie bald ihr Fohlen kriegt, aber die Großmanns haben mächtigen Ärger. Da war die Polizei da.«

      »Die Polizei? Wegen des Unfalls etwa?«, fragte Inge überrascht. »Es ist doch erwiesen, dass Gottfried Großmann keine Schuld hatte.«

      »Wegen Gästen«, berichtete Bambi. »Was es so für Leute gibt, da kann man bloß staunen. Fränzi hat vielleicht geschimpft. Da hat so ein Mann seinen Jungen verletzt, aber es war gar nicht sein Sohn. Das haben sie bloß gesagt. Ein Papi tut doch so was auch nicht, gell, Mami?«

      »Du weißt ja wieder eine ganze Menge«, meinte Inge gedankenvoll.

      »Ich habe es so gehört«, erklärte Bambi. »Ich wollte es gar nicht hören, aber sie haben so laut geredet, und nun haben die Großmanns auch noch Scherereien. Der Gottfried will lieber wieder Bauer sein. Das hat er dem Polizisten gesagt. Der Fohlenhof ist doch so schön, Mami, und wir sind doch gern geritten. Es gibt ja auch nette Gäste.«

      Aber gewachsen ist Gottfried Großmann dem allem wohl doch nicht, dachte Inge.

      »Alles wegen so einem blöden Mann«, äußerte Bambi empört. »Der Junge ist jetzt in der Sternseeklinik. Sein Vater hat ein Zimmer im Fohlenhof genommen. Das ist vielleicht ein Riese. Der ist so groß wie Rübezahl. Er hat gesagt, dass sie den anderen Mann einsperren sollen. Verstehst du, was ich meine?«

      Inge tat so, obgleich alles ein bisschen verworren war. Aber die Einzelheiten würde sie bestimmt noch erfahren, und Bambi hatte sich anscheinend alles schon zusammengereimt.

      »Geht es eigentlich, dass Kinder zwei Väter haben?«, fragte sie.

      Solchen Fragen fühlte Inge sich nicht gleich gewachsen. Aber Bambi sah sie so erwartungsvoll an, dass sie eine Erklärung finden musste.

      »Manchmal verlieren Kinder ihren Vater, und dann bekommen sie einen andern. Das gibt es schon«, erwiderte sie.

      »Und der, der ganz lieb ist, ist der richtige Vater?«, wollte Bambi wissen.

      »Ja, dann ist er bestimmt ein richtiger Vater.«

      »Der Rübezahl ist ein richtiger Vater«, stellte Bambi fest. »Aber die Mutter ist getürmt. So was gibt es auch.«

      Ein abgrundtiefer Seufzer folgte. Zu Inges Erleichterung kam Hannes jetzt von der Schule heim, und Bambi hatte es eilig, ihm die Neuigkeiten zu berichten.

      Da ihm aber diese Angelegenheit völlig schleierhaft war, beschloss er, sich erst einmal genauere Informationen zu beschaffen.

      »Du denkst wohl, ich erzähle Märchen«, äußerte Bambi beleidigt.

      »Man muss vorsichtig sein, Bambi. Die Leute reden so viel, aber nur Tatsachen soll man gelten lassen«, entgegnete er weise.

      Bambi schaute den großen Bruder ehrfürchtig an.

      »Du bist schon so schrecklich gescheit, Hannes«, sagte sie bewundernd, und da errötete er, weil er so hochtrabend geredet hatte.

      »Man muss immer dazulernen«, erklärte er. »Du weißt doch, was Papi immer sagt. So alt kann man gar nicht werden, dass man nicht immer noch etwas lernen kann.«

      Und wenn man erst vierzehn war, hatte man dazu noch viel Zeit.

      *

      Ursula erwachte aus tiefem, traumlosem Schlummer, der wie eine Erlösung gewesen war.

      Erschrocken blickte sie auf die Uhr, deren Zeiger schon auf der Vier stand.

      Heller Sonnenschein flutete ins Zimmer. Die Vögel zwitscherten, die Bäume wiegten sich im lauen Frühlingswind. Sie dehnte die Arme, und ein tiefes Leuchten kam in ihre Augen, als sie an Hartmut dachte.

      Jetzt musste sie sich aber beeilen. Vielleicht war er schon mit Maxi gekommen.

      So war es. Er saß bei Dagmar am Bett und las ihr aus dem Bilderbuch vor.

      Er blickte auf und umfing Ursula mit einem zärtlichen Blick. Dagmar sah es nicht, denn sie war mit dem Bilderbuch beschäftigt, aber Maxi machte große, staunende Augen.

      »Ich habe vielleicht schon viel gelernt, Mutti«, zwitscherte Dagmar fröhlich. »Schau, das ist ein Fink, das ist eine Amsel, und das ist ein Star, und das ist die ganze Vogelschar. Maxis Papi zeigt sie mir alle auch mal lebendig, wenn sie auf den Bäumen sitzen und kleine Vogelkinder haben. Wir haben schon viel Spaß gehabt, gell, Maxi?«

      Er nickte und sah Ursula dabei immer noch unverwandt an.

      »Dann hast du mich ja gar nicht vermisst«, bemerkte sie.

      »Du musst ja auch mal schlafen. Der Papi von Maxi hat gesagt, dass das ganz nötig ist, wenn man die ganze Nacht auf war. Nicht wahr, das hast du gesagt?«

      »Und der Maxi muss auch noch viel schlafen, weil er krank gewesen ist«, meinte Ursula.

      Er umschlang sie mit seinen Armen und drückte seinen Kopf ganz fest in ihre Armbeuge.

      »Erst will ich mal wieder bei dir sein«, flüsterte er. »Vergisst du mich auch nicht?«

      »Wie könnte ich das, Maxi?«

      Viel zu schnell verging die Zeit, und Ursula dachte, dass glückliche Stunden viel kürzer waren als die kummervollen.

      Viel konnte