Kathrin Singer

Heimatkinder Staffel 4 – Heimatroman


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nein, Marie! Ich war doch nur für sie da, weil’s ihr erbärmlich ging und sie an sich zweifelte.«

      Maries Blick wanderte wie abwesend durch den prächtigen Raum und an den anderen Gästen vorbei.

      »Aber wie ich an deiner Liebe zweifelte – das interessiert dich nicht?«

      »Nein, Marie! Warum auch? Du hast doch keinen Grund dazu! Du bist das Wertvollste auf der Welt für mich. Wäre ich dir sonst hierher in diesen Feinschmecker-Tempel gefolgt?«, flüsterte er ihr neckend zu.

      »Da gibt’s nichts zu lachen, Stefan. Wenn du jetzt Anettes Freund und Schutzherr sein willst – bitte schön! Aber ich will nichts mehr mit ihr zu tun haben!«

      »Hm, na ja.« Er glaubte ihr nicht. Sowie Anette mit ihrem Traummann anrückte, war alles wieder in Ordnung. Davon ging er mal aus. Eine so enge Freundschaft wie zwischen den beiden war doch nicht kaputt zu kriegen. »Denk an ihren Sopran in deinem Chor!«, gab er zu bedenken.

      »Bestimmt nicht. Und die dritte Stimme kriege ich auch ohne sie hin. Morgen bin ich bei Irma Osterloh. Sie hat einen Neffen zu Besuch. Er studiert in München Musik und wird mir helfen. Anette kann trällern, wo sie will. Aber nicht in meinem Chor.«

      Ihnen wurden die feinen Gerichte gebracht, und nachdem Maries Zorn ein wenig verraucht war, stellte sie fest, dass das Gemüse essbar, aber nicht so lecker wie das vom Weißenberg-Hof war, und obwohl Stefan mit dem Salat zufrieden sein konnte, stimmte er ihr natürlich zu. Sie sahen sich voller Zufriedenheit über das einzigartig gute Gemüse vom Weißenberg-Hof an, und so wurde der Abend noch ein Erfolg, auch, weil Marie nun wenigstens nicht mehr an seiner Liebe zweifelte.

      *

      Schon in aller Frühe am Morgen spürte sie Stefans Lippen auf ihrer Wange. Sie schlug die Augen auf.

      »Bleib liegen, mein Schatz!«, flüsterte er. »Ich bringe die Kinder. Danach habe ich einen Termin beim Landratsamt.«

      Mit ihrem noch vom Schlaf getrübten Blick sah sie ihn an. »Wenn du mich liebst, wie du behauptest, holst du die Kinder auch ab. Dann bin ich diesmal wenigstens pünktlich bei Irma.«

      »Gern, mein Schatz.«

      Er half Jossi und Dany beim Ankleiden und musste Reserl zur Eile antreiben, weil die sich für keine ihrer Haarspangen entscheiden konnte. Dann rannte er hinunter ins Büro, zog die Lade seines Schreibtisches auf, zerknüllte den albernen Zettel mit seinen Notizen und warf ihn weg.

      Wilma schloss schon die Brotzeitschächtelchen, als Reserl endlich erschien. Sie hielt ein Knäuel bunter Seidenbänder in ihrer Hand und wollte die in ihren Ranzen stopfen.

      »Was soll das denn?«, wollte Wilma sofort wissen.

      »Die schenk ich Julia. Ich bin jetzt zu groß dafür.«

      Stefan und Wilma tauschten einen Blick.

      »Zu groß?«, fragte Stefan. Das wurde ja immer ärger mit seinen Frauen. Marie verbrachte fast den ganzen Tag bei Irma Osterloh, und Reserl fühlte sich zu erwachsen für bunte Haarbänder!

      »Ich bin vier Monate älter als Julia, Papi. Ich nehme nur noch Spangen ins Haar.«

      Alle schwiegen beeindruckt, bis Wilma die Schleifen wieder hervorholte. »So verschenkst du sie nicht, Reserl! Was sollen denn die Locettis denken! Die sind immer so akkurat gekleidet! Ich werde sie waschen und bügeln! Dann kannst du Lucia die Bändchen schenken.«

      Reserl war begeistert, und in bester Stimmung gings zum Kindergarten und zur Schule. Mittags schaffte Stefan es gerade noch, seine kleine Schar rechtzeitig einzusammeln.

      Es war ein strahlender Tag, und wieder dachte er daran, Marie mit einem selbst gepflückten Versöhnungsblümchen einige Rührungstränen zu entlocken. Aber die Primeln blühten nicht mehr, und die Tulpen streckten erst grüne Blätter aus der Erde.

      Obwohl er wusste, wo Marie war, versetzte es ihm wieder einen Stich ins Herz, als er ihren Wagen auf dem Hof vermisste. Ob ihr wohl völlig entfallen war, wie viel es ihm bedeutete, hier oben mit einem Kuss von ihr begrüßt zu werden?

      Er schnaufte leise vor sich hin. Mit Anette als Familienfreundin war vieles einfacher gewesen. Marie hatte sie oft nach den Chorproben mitgebracht, und wenn er seine Frau dann küsste, hatte Anette sich immer peinlich berührt abgewandt. Ja, mit dem Liebesglück anderer hatte sie so ihre Probleme. Aber das war jetzt vorbei. Dann konnten doch wieder bessere Zeiten auf dem Weißenberg-Hof anbrechen!

      Reserl machte einen Freudensprung, weil Wilma die Seidenbänder so fein gewaschen und gebügelt hatte, dass sie wie neu aussahen, und nachdem sie zusammen gegessen und er seiner Ältesten bei ihren Hausarbeiten kurz zugeschaut hatte, entschloss er sich, schnell zu Anette zu fahren. Er nahm sich vor, ihre Glückslaune zu einem ernsten Gespräch zu nutzen. Denn mit etwas Geduld und Verständnis musste sich die enge Freundschaft zu Marie doch wohl wiederherstellen lassen!

      Jossi und Dany saßen mit den Katzen in der Sonne beim alten Sepp. Er winkte ihnen nur flüchtig zu. Denn er wollte sich beeilen, um vor Maries Rückkehr heimzukommen. Die Ankündigung von einem Wochenendbesuch Anettes mit ihrem Münchner Doktor würde sie bestimmt auch versöhnlich stimmen.

      Gerade als er sich hinters Steuer schwingen wollte, sauste Reserl auf dem Fahrrad heran.

      »Fährst du runter nach Altendorf, Papi?« Er nickte. »Nimm mich mit! Ich will Lucia die Bänder bringen. Ich hab’s ihr versprochen.«

      »Morgen, Reserl. Bring sie ihr morgen zur Schule mit.«

      Er sah gerade noch, wie Reserl mit dem Fuß aufstampfte, sich dann aber wieder ihrem Fahrrad zuwandte, kräftig in die Pedalen trat und hinüber zu Sepp, Jossi und Dany sauste. Wie gut, dass sie wenigstens heute auf dem Hof blieb.

      Anette stand unter der Tür, als er, drei Stufen auf einmal nehmend, zu ihr hoch hastete.

      »Lässt du dich auch mal blicken?«, begrüßte sie ihn. Wenn sie ihm vor Wochen wie eine schöne Geistererscheinung entgegengetreten war, so wirkte sie jetzt wie ein Gespenst. Die Haare hingen wirr bis zum Hals herunter, und unter ihren Augen lagen dunkle Schatten. Aber heute konnte er darauf keine Rücksicht nehmen.

      »Ruf mich bitte in Zukunft nicht mehr abends an, Anette«, begann er etwas ungeschickt. »Marie hat’s bemerkt. Deshalb habe ich mein Versprechen gebrochen und ihr alles gesagt.«

      Anette sackte auf den nächsten Stuhl. »Wie gemein von dir! Wie kannst du mir das antun? Ausgerechnet jetzt!«

      »Wieso? Was ist denn wieder los?« Da schluchzte sie auf, und schon packte ihn wieder das schlechte Gewissen.

      »Alles war umsonst. Frank Bahring ist ein mieser Typ, ein Lügner. Ich habe einfach kein Glück mit Männern! Ich habe mich nur lächerlich gemacht! Ja, das soll Marie jetzt auch wissen, wie? Hauptsache, ihr seid glücklich!« Sie schniefte, streckte ihren Arm nach einer Packung Taschentücher aus, holte eins raus und schlug es sich vors Gesicht.

      »Anette …!«

      Mehr als Schluchzen und Schniefen gab sie nicht von sich. Da wusste Stefan, so schnell kam er nicht zurück auf den Weißenberg-Hof. Er setzte sich und wartete.

      Nachdem er einige Zeit stillschweigend herumgesessen hatte, raffte sie sich auf, um einen Tee aufzubrühen. Und schließlich tröpfelten die Worte wie Tränen aus ihr heraus. Frank sei nicht Witwer, sondern geschieden und habe zwei halberwachsene Kinder. Sie sprach von den Fotos in den Silberrahmen und von seinen Plänen, mit ihr in England ein neues Leben zu beginnen.

      »Woher weißt du das denn alles?«

      »Von ihm, Stefan. Von ihm. Einfach so, weil er sein Münchner Haus schon auf den Immobilienmarkt anbietet!«

      »Dann hat er doch nicht gelogen. Er hat dir nur etwas verschwiegen, Anette!«

      »Na und? Ist das etwa kein Betrug?«

      Stefan dachte an Marie. Auch er hatte ihr etwas verschwiegen. Nicht aus Liebe, aber aus Freundschaft zu Anette. Und damit war’s nun auch aus. So ein Schweigen