Sollte sie jetzt erfahren, was Grit so sehr aus der Bahn geworfen hatte?
»Ich …, nach dem Reinfall mit Roberto«, oh, sie sagte nicht mehr Robertino, »fühlte ich mich sehr unglücklich, war ich sehr einsam … Ich … ich lernte Marco kennen.«
O Gott, nicht schon wieder ein italienischer Charmeur, durchschoss es Bettina. Was fand Grit
nur an diesen südländischen Typen? Holger sah ganz anders aus, diese dunkellockigen Männer mit dunklen Augen passten doch überhaupt nicht in Grits Beuteschema.
»Marco …, er war charmant, hofierte mich … Er redete von Liebe, ich glaubte ihm.«
Warum sprach sie nicht weiter?
»Ich vertraute ihm …. Wir waren gerade zusammen, als er Forderungen stellte … Er wollte auch ein Auto von mir haben, eine schöne Wohnung …, alles so wie auch Roberto …«
Bettina konnte dazu nichts sagen, sie konnte nur ahnen, wie ihre Schwester sich jetzt fühlen musste.
»Er kannte mich offensichtlich vom Hörensagen und hat sich nur an mich herangemacht, um mich abzuzocken … Weißt du, wie ich mich dabei gefühlt habe? Ich bin doch nicht …, ich meine, ich bin doch kein … Mängelexemplar, das draufzahlen muss, um genommen zu werden.«
»Es ist schrecklich, Grit, ganz schrecklich sogar. Aber sei froh, dass du den miesen Charakter dieses Mannes beizeiten erkannt hast.«
Das meinte Bettina wirklich so, denn bei Roberto hatte es viel zu lange gedauert, und vielleicht wäre Grit ihm sogar jetzt noch verfallen, wenn er sie nicht wegen einer Anderen verlassen hätte.
»Na ja, dazu gehört nicht viel, da war nichts zu raten, nichts herumzurätseln, er hat klipp und klar seine Forderungen gestellt … Bettina, ich schwör dir, ich wäre am liebsten im Erdboden verschwunden. Erst erzählt er mir was vom Pferd, gaukelt mir Gefühle vor, um dann unverschämte Forderungen zu stellen so nach dem Motto, wenn du meine Wünsche nicht erfüllst, ist es vorbei mit uns … Das war so erniedrigend.« Sie begann zu schluchzen. Bettina unterdrückte ihren Impuls, aufzustehen, sie in die Arme zu nehmen. Da musste sie selbst durch, da konnte ihr niemand helfen.
Nach einer Weile hatte Grit sich wieder beruhigt.
»Ich muss nach Hause, weil er noch einen Schlüssel von mir hat und bei mir ein und aus gehen kann. Und ich muss ihm sagen, dass er sich niemals mehr bei mir blicken lassen soll. Ich habe mich nämlich völlig falsch verhalten. Zuerst habe ich nur geheult, und dann habe ich zur Flasche gegriffen, mit dem Resultat, dass ich einen Filmriss hatte und nicht einmal wusste, wie und warum ich zu dir gekommen war.«
»Weil du wusstest, dass man in solchen Situationen seine Familie braucht«, antwortete Bettina. »Ich kann es immer nur wiederholen. Ich bin sehr froh, dass du gekommen bist, und Grit, wenn du jetzt wieder nach Hause fährst …, bitte, werde auch nicht wieder so abweisend …«
»Nein, ganz bestimmt nicht. Ich habe jetzt doch niemanden mehr außer dir. Frieder macht sein eigenes Ding, der muss versuchen zu retten was zu retten ist. Jörg ist, wie du weißt, in der Reha, mit ihm würde ich ohnehin nicht über meine Probleme reden, der würde das doch nicht verstehen … Bettina, ich danke dir, dass du mir nichts nachträgst … Ich würde auch gern wiederkommen, wenn ich darf.«
»Jederzeit gern«, war Bettinas spontane, ehrliche Antwort.
Sie blickte hinauf in den Himmel, der voller Sterne war. Sie hoffte jetzt nicht auf eine weitere Sternschnuppe, sondern wusste, dass Grit und sie auf einem guten Weg waren.
*
Nachdem Grit abgefahren war, hatte Bettina fast so etwas wie Panik, weil sie fürchtete, Grit könne ihr Verhalten ändern, wenn sie erst einmal wieder zu Hause war. Doch diese Befürchtung bewahrheitete sich nicht. Es schien wirklich so, als sei Grit wieder auf dem Weg zu sich selbst. Sie telefonierten viel miteinander, dabei zerriss es Bettina fast das Herz, wenn sie die Verzweiflungsausbrüche ihrer Schwester mit anhören musste, von denen sie heimgesucht wurde. Aber das war kein Wunder, Grits Selbstwertgefühl war am Boden. Und um all ihre Wunden zu heilen, brauchte es Zeit.
Bettina, die bei ihrer Bank etwas zu erledigen hatten, überlegte gerade, ob sie in den neuen Buchladen gehen sollte, um für Grit vielleicht ein paar Ratgeber-Bücher zu kaufen, als jemand auf ihre Schulter tippte.
Bettina wirbelte herum und sah in das lachende Gesicht ihres alten Freundes Markus.
»Hi, altes Mädchen, woran denkst du so intensiv?«, erkundigte er sich. »Vielleicht daran, ob jemand mit dir einen Kaffee trinken geht? Nun, ich biete mich an … Wir haben Ewigkeiten nichts mehr voneinander gehört.
Bettina lachte.
»Tage, mein Freund, nur Tage …, aber zusammen Kaffee zu trinken halte ich für eine gute Idee.« Sie hakte sich bei ihm ein. »Wohin gehen wir?«
Er deutete auf die gegenüberliegende Straßenseite. »Zu dem kleinen Italiener dort drüben? Der hat nicht nur guten Kaffee, sondern auch köstliches Eis. Yvonne ist immer ganz verrückt nach dem Amarettoeis.«
»Damit kannst du mich jagen. Ich mag Kirschen immer nur unverarbeitet. Da kann ich nicht genug von ihnen kriegen, aber als Eis oder Marmelade …, nein, danke.«
Sie hatten das kleine Eiscafé erreicht, fanden draußen Platz, gaben ihre Bestellung auf, dann schaute Bettina ihren Freund an.
»Wie geht es Yvonne? Hast du etwas Neues aus Malawi gehört? Etwas, was ich noch nicht durch Leni erfahren habe?«
Er grinste sie an.
»Wir haben heute schon miteinander telefoniert, aber was Neues? Nein, das kann ich nicht berichten. Yvonne ist immer nur voller Begeisterung, alles ist super, alles ist schön, dabei ackert sie manchmal zwanzig Stunden am Tag. Aber das macht ihr offensichtlich nichts aus. Sie geht voll in ihrer Aufgabe auf und hat nichts anderes im Sinn als ihre kleinen Patienten.«
»Yvonne ist schließlich auch mit Begeisterung Kinderärztin, bestimmt hat ihr etwas gefehlt, nachdem sie wegen ihres Vaters ihre florierende Praxis aufgegeben hat.«
»Ja, und vergiss nicht den aussichtslosen Kampf um ein eigenes Kind. Daran wäre Yvonne beinahe zerbrochen … Es ist deswegen sehr gut, dass sie jetzt für ein paar Wochen für Ärzte ohne Grenzen in ihrem Beruf arbeiten kann. Sie findet ihre Befriedigung, und sie tut dabei noch ein gutes Werk.«
»Markus, es war wirklich sehr großzügig von dir, sie gehen zu lassen«, meinte Bettina.
»Bettina, ich bitte dich. Das war doch wohl selbstverständlich. Wir leben schließlich nicht im Mittelalter, wo die Frau dem Mann untertan sein muss und ohne ihn nichts entscheiden darf. Ich freue mich wirklich für Yvonne, wenn ich andererseits aber auch zugeben muss, dass sie mir wahnsinnig fehlt. Sie ist halt die große Liebe meines Lebens, und ohne sie fühle ich mich irgendwie …, wie …, nun, wie amputiert. Du glaubst ja nicht, wie sehr ich mich auf unser Wiedersehen freue. Ich kann es kaum erwarten, zu ihr zu fliegen und dann, wenn sie mit ihrem Job fertig ist, Urlaub mit ihr zu machen.«
»Das kann ich mir vorstellen. Aber danach, wie soll es dann mit euch weitergehen?«, wollte Bettina wissen, nachdem sie etwas von ihrem Kaffee getrunken hatte. »Ich mein, wenn ihr aus Malawi zurück seid und der Alltag in Fahrenbach euch wieder eingeholt hat.«
Markus zuckte die Achseln.
»Ich weiß es wirklich nicht. Doch ich denke, über kurz oder lang wird es darauf hinauslaufen, dass Yvonne sich in meinem Haus …, unserem Haus, auf dem Marktplatz als Kinderärztin niederlassen wird.«
»Das heißt«, sagte Bettina, »dass der Gedanke an eine Adoption endgültig vom Tisch ist.«
»Ja, davon kannst du ausgehen.«
»Eigentlich schade, ihr könntet einem oder mehreren Kindern ein Zuhause geben, ihnen eine glänzende Zukunft bieten … Es gibt so viele Kinder auf der Welt, die es verdient hätten.«
»Man kann Kinder auch so unterstützen und fördern und muss sie nicht gleich adoptieren. Wie du weißt, unterstützen