Michaela Dornberg

Bettina Fahrenbach Staffel 5 – Liebesroman


Скачать книгу

      Leni wollte eine Bemerkung machen, aber Bettina warf ihr einen warnenden Blick zu. Sie hatte jetzt nämlich keine Lust auf Konfrontation.

      Also bekam Grit ihre beiden Pillen, die sie in den Mund schob, Wasser hinterhertrank, sich schüttelte. Dann saß sie eine Weile mit geschlossenen Augen da. Sie sah erbärmlich aus, mitleiderregend und hatte mit der coolen, herausfordernden Grit nichts gemein. Was war bloß geschehen?, fragte Bettina sich wieder.

      Weil Grit nichts sagte, sprachen auch Leni und Bettina nicht mehr miteinander. Es herrschte eine ganz eigentümliche Stimmung im Raum, die bei Bettina ein ziemliches Unbehagen auslöste, und auch Leni war anzumerken, dass sie sich am liebsten aus dem Staub gemacht hätte.

      Endlich öffnete Grit die Augen, trank fast das ganze Glas leer, ehe sie sich erkundigte: »Wie bin ich eigentlich hierhergekommen?«

      Ja, das schlug dem Fass wirklich den Boden aus!

      Wie konnte sie eine derartige Frage stellen. Hatte sie wirklich vergessen oder vielleicht auch nur verdrängt, weil es ihr peinlich war, dass sie mit ihrem schnittigen Sportwagen im volltrunkenen Zustand mitten in der Nacht hier auf dem Hof aufgetaucht war?

      »Na, wie denn wohl«, antwortete Leni auf ihre resolute Art, »mit deinem Auto. Weißt du das denn nicht mehr?«

      Grit schüttelte den Kopf. Dann sank sie förmlich in sich zusammen, als habe alle Kraft sie verlassen. Nach unendlich langer Zeit murmelte sie: »Und … und warum bin ich hier?«

      Diese Frage verwirrte Bettina vollkommen. Sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie schaute ihre Schwester an. Wusste Grit es wirklich nicht oder machte sie nur Theater? Schließlich hatte sie, wenn sie von daheim gekommen war, einige Hundert Kilometer zurückgelegt. Oder hatte sie sich anderswo, vielleicht hier in der Nähe, aufgehalten?

      Glücklicherweise sagte Leni etwas dazu.

      »Also, mein liebes Mädchen, diese Frage können wir dir nun beim besten Willen nicht beantworten. Das musst du schon selbst wissen.«

      Grit zuckte hilflos die Achseln.

      »Ich … ich weiß es nicht … Ich weiß es wirklich nicht.« Tränen rannen ihr übers Gesicht. Bettina wollte sofort aufspringen, ihre Schwes­ter tröstend in die Arme nehmen, doch Lenis Blick hielt sie zurück.

      »Weißt du was«, sagte Leni, »am besten legst du dich gleich wieder hin. Nimm dir ein Wasser mit nach oben …« Das, wenn man einen solchen Nachdurst hat wie du, braucht man das, verkniff sie sich.

      Leni stand auf, griff nach der auf dem Tisch stehenden Flasche, einem Glas, dann packte sie Grit beim Arm.

      »Komm, ich bring dich nach oben, schlaf noch eine Runde, in ein paar Stunden sieht die Welt ganz anders aus.«

      Willenlos wie eine Marionette ließ Grit sich hinausführen, bekümmert blickte Bettina ihrer Schwes­ter hinterher. Grit hatte getrunken, das war gewiss, und sie hatte deswegen auch Ausfallerscheinungen, einen Filmriss, aber da war noch etwas anderes – ihre Schwes­ter machte auf sie einen erloschenen Eindruck, es musste etwas geschehen sein, das sie aus der Bahn geworfen hatte.

      Bettina wünschte sich so sehr, dass Grit sich ihr gegenüber öffnen würde. Früher, als ihr Vater noch gelebt hatte, waren sie nicht nur Schwestern, sondern auch Freun­dinnen gewesen. Aber das hatte sich nach dem Tod ihres Vaters, nachdem sie alle so viel geerbt hatten, schlagartig verändert. Grit hatte sich auf Monas Seite geschlagen, Frieders mittlerweile Exfrau, war einem Kaufrausch verfallen, war dann, nach den ersten Versuchen mit Botox, auf die Tournee zu Schönheitschirurgen gegangen, hatte sich junge Lover zugelegt, von denen schließlich Roberto, Robertino, wie sie ihn genannt hatte, sie ins Verderben gestürzt hatte. Ihn hatte sie finanziert, ihm nicht nur eine Luxuswohnung, sondern auch einen teuren italienischen Sportwagen gekauft, er hatte ihre Kreditkarten zum Glühen gebracht, für ihn hatte sie Mann und Kinder verlassen, und wofür …

      Bettina seufzte und schenkte sich noch einen Kaffee ein. Nachdenklich rührte sie in der Tasse herum.

      Grit hatte alles verloren. Ihren Ehemann, der mittlerweile in Vancouver glücklich verheiratet war, ihre Kinder, die sich mehr oder weniger von ihr abgewandt hatten, und ihren Liebhaber, der wie ein Zugvogel weitergeflogen war, zu einer anderen Sponsorin, die ihm ein noch größeres Haus, einen noch teureren Wagen und noch üppigere Geschenke geboten hatte.

      Bettina legte den Löffel weg, als ihr bewusst wurde, dass sie schon die Gewohnheit ihrer Freundin Linde angenommen hatte, bei emotionaler Erregung in den Getränken herumzurühren. Sie trank etwas von ihrem Kaffee.

      Arme, arme, reiche Grit!

      Grit besaß zwar jetzt ein großes Vermögen, aber Liebe, wirkliche Liebe schenkte ihr niemand. Ob ihre Schwester jetzt begriffen hatte, dass man sich Liebe nicht kaufen konnte wie ein besonders schönes Kleid oder ein Paar exquisiter Schuhe? Sie war mit Holger und den beiden Kindern glücklich und zufrieden gewesen. Sie hatten eine gute Ehe gehabt, die Kinder waren wohlgeraten, sie hatten in einem wunderschönen Haus gelebt und auch vor dem Erbe ein mehr als nur gutes Auskommen gehabt.

      Warum war Grit bloß so ausgeflippt und hatte sosehr auf den Putz gehauen?

      Grit hatte von Verwirklichung gesprochen. Verwirklichung war alles andere als all die Unsinnigkeiten, die Grit praktiziert hatte. Und man definierte sich auch nicht durch teure Klamotten, Schön­heits­operationen und jugendliche Liebhaber. Das mache man nur, wenn man keine eigene Identität hatte, ein gestörtes Selbstwertgefühl. Doch so etwas traf weder auf Grit, Frieder, Jörg oder sie zu. Ihr Vater hatte ihnen immer das Gefühl vermittelt, jemand zu sein, er hatte sie ernst genommen, gefördert, gelobt. Also, an der Erziehung hatte es nicht gelegen, das war gewiss, und während ihrer Ehe mit Holger war Grit auch nicht unterdrückt worden, Holger hatte ihr alle Freiheiten gelassen, sie geliebt und wertgeschätzt.

      Grit hatte sich in etwas verrannt, war an falsche Freunde geraten, auf einen falschen Weg …

      Aber es war immerhin gut, dass Grit den Weg auf den Fahrenbach-Hof gefunden hatte, aus welchem Grund auch immer.

      Bettina wünschte sich von ganzem Herzen, dass ihre Schwes­ter bleiben würde, wenigstens für eine Weile. Doch bei Grit konnte man sich niemals sicher sein. Wenn sie erst einmal ausgenüchtert war, und sie sich besser fühlen würde, konnte es durchaus sein, dass sie wieder diese schnippische Arroganz, diese unerträgliche Überheblichkeit, an den Tag legen würde …

      Bettina konnte jetzt also nichts weiter tun als einfach nur abzuwarten. Sie musste Linde anrufen, um das geplante Treffen abzusagen, weil sie sich um Grit kümmern musste. Und vermutlich würde Linde enttäuscht und sauer sein, weil sie Grit nicht leiden konnte. Doch da musste sie durch.

      Grit brauchte Hilfe, und Bettina wünschte sich so sehr, dass sie ihre Hilfe annehmen würde.

      Sie stand auf, räumte den Tisch ab, weil sie sich sicher war, dass auch Leni keine Lust mehr auf ein gemütliches Beisammensein haben würde.

      Hoffentlich stauchte Leni die arme Grit nicht so arg zusammen, Grit war doch jetzt schon ein Häufchen Elend.

      Bettina seufzte abgrundtief auf, während sie den Geschirrspüler in Gang setzte.

      Sie wollte ihrer Schwester so gern helfen, hoffentlich ließ Grit ihre Hilfe auch zu. Sie waren doch eine Familie, mussten füreinander einstehen. Hoffentlich sah Grit das jetzt auch so, in der letzten Zeit hatte sie ja leider nichts von Familienbanden gehalten, sondern hatte sich vollkommen auf diesen Lover fokussiert.

      Aber immerhin – sie war in ihrer Not – und dass sie sich in einem Ausnahmezustand befand, war unverkennbar – hierhergekommen. Und das war auf jeden Fall ein gutes Zeichen.

      Bettina ging hinaus in die Diele. Leni kam die Treppe herunter.

      »Sie schläft wieder«, sagte sie. »Und so wie ich die Lage einschätze, wird sie das auch noch über Stunden hinweg tun. Du kannst also beruhigt etwas anderes unternehmen.«

      Bettina schüttelte den Kopf.

      »Geht nicht … Wenn sie doch früher