und das Papier ist total zerweicht! ... Das nichtswürdige Tier, dieser Pirat! Ich könnte ihn mit meinen eigenen Händen erwürgen für diese Tölpelei! Was nun machen?« – Sie zuckte halb ärgerlich, halb lachend die Achseln. – »Ach was, dein ›fischblütiger Germane‹ ist ja mein Freund, mein guter alter Freund noch aus der himmlischen Zeit, wo ich das verhätschelte Kind in Mamas Salon war und noch nichts von Baumwollensäcken und dergleichen wußte. Er wird nicht brummen, daß ich in seiner Bärenhöhle ein wenig gekramt habe, dieweil er nicht dagewesen ist.«
Mit diesen Worten klappte sie das Buch zusammen und huschte in den anstoßenden Raum. Vorhin hatte es ausgesehen, als wolle die Dame auf der Schwelle unmutig in den Garten zurückkehren; jetzt aber blieb sie wie festgebannt stehen und sah in das Atelier hinein, das durch eine Glaswand von dem Wintergarten geschieden war. Ein grüner Samtvorhang, auf beiden Seiten zur Hälfte zurückgezogen, hing drüben hinter den Scheiben und rahmte das farbenreiche Gesamtbild der eigenartigen Einrichtung dunkel ein. Das Atelier war von bedeutender Höhe. Oben an der gegenüberliegenden Wand lief eine Galerie hin – eine Türöffnung, halb geschlossen durch eine schwere, buntfarbige, in Ringeln laufende Gobelingardine, mündete auf diese Galerie, die in der nordwestlichen Ecke in eine schmale, schöngeschwungene Wendeltreppe auslief. Über das braune Holzgeländer fiel, nachlässig hingeworfen, ein gewirkter Teppich von altbyzantinischem Muster – er sprühte einen wahren Farbenregen unter dem schräg herüberfallenden Oberlicht, das ringsum, hier aus dem polierten Harnisch einer aufgebauten Ritterrüstung, dort aus altgriechischen Metallspiegeln, aus venezianischem Glasgeschirr glitzernde Reflexe lockte. Es war ein scheinbar chaotisches Durcheinander, das emsige Sammlerhände hier aufgehäuft hatten. Zwischen den hingelehnten, bemalten Holzflügelresten eines uralten Altarschreines, den Bruchstücken eines feinmodellierten ehemaligen Stadtbrunnengitters, auf dem Boden lagernde Riesenfolianten unter den Füßen, erhoben sich graziöse Statuetten modernen Ursprunges. Schränke und Kredenzen von kostbarer Schnitzarbeit stiegen an den Wänden empor, oder sie traten auch schräg kulissenartig ins Zimmer herein, auf den Borden vollbesetzt mit pompejanischem Geschirr, mit kupfernen Trinkkannen, mit Glas- und Silberpokalen; und hoch vom Sims herab rauschten Brokatvorhänge irgend eines Nabob-Himmelbettes vergangener Jahrhunderte als Türvorhang auf den Boden; und daneben ragte auf wuchtiger Steinkonsole die Kolossalbüste eines altrömischen Kaisers aus der Wandfläche und hob ihr helles Profil lebendig von dem buntschillernden Faltengewoge seitwärts. Über dem goldgeäderten, schwarzen Lack des chinesischen Kaminschirmes breiteten sich Pfauenwedel zwischen Terrakottavasen aus Pompeji – ausgestopftes Gevögel, schneeweiße Ibisse und Flamingos mit rosenfarbenem Gefieder leuchteten aus dem Halbdunkel der Winkel, oder sie standen stelzbeinig auf hingerollten Säulenkapitälen aus Theben, neben steinernen Sphinxleibern und Relieffragmenten, und aus diesen zusammengewürfelten Steinresten drängten sich frischgrüne, breite Farnwedel und stachlige Kakteen ans Licht. – Aus dieser Zusammenhäufung des kostbarsten Materials sprach aber doch harmonisch in Formen und Farben, mächtig fesselnd der Gedanke des Künstlers.
Donna Mercedes war ihrer Schwägerin unwillkürlich bis unter die hinüberführende schmale Glastüre nachgegangen.
Die kleine Frau bemühte sich eben, das Album mit seinen verdorbenen Blättern geschickt unter den Mappen, Schriften und Büchern eines Tisches zu verbergen.«Nun, was sagst du zu der Bärenhöhle?« fragte sie über die Schulter zurück. »Hat sich mein Freund nicht famos eingerichtet?« –
»Ja, mit dem Gelde seiner Frau,« sagte Donna Mercedes und trat mit einer nachlässig gleichgültigen Gebärde vor die Staffelei, welche, die Rückseite schräg dem Glashaus zukehrend, inmitten des Ateliers stand.
Aber sie schloß erschrocken die Lippen, auf denen offenbar noch eine scharfe Bemerkung geschwebt hatte, und fuhr unwillkürlich zurück – vielleicht wähnte sie auch in der ersten Überraschung, der herbeiströmende Fackelschein überflute ihr das eigene Haupt, wie er die hinter Buschwerk geflüchtete Frauengruppe grausam verriet... Dort aus dem Palaste – sie hatten wohl vor Minuten noch, aus dem Schlafe aufgeschreckt, angstvoll seine Säle durchirrt – stürmte der Mord den vier Frauen nach. Das schützende Alleedunkel, die Nacht zwischen den hohen Taxushecken hatten sich als treulos erwiesen, und an der kleinen Mauertüre seitwärts fehlte der Schlüssel. Eine der Frauen, ein starkes Weib, und offenbar die Dienerin, hatte sich niedergeworfen, und die Fingernägel drunten in die Türfuge krallend, versuchte sie in wilder Todesnot das feste, eisenbeschlagene Bohlengefüge aus Schloß und Angel zu reißen. Sie sowohl, wie die in die Knie gesunkene schöne, junge Frau, die wohl weniger für sich, als für das Kind in ihren Armen um Schonung zu flehen sich anschickte, bedeckte noch mitleidige halbe Dämmerung; die zwei Gestalten im Mittelgrunde dagegen wurden völlig überschüttet von dem roten Lichte, das der erste aus der Allee stürzende Fackelträger vor sich herwarf. Würdig sterben wollte sie, die Hugenottin, die Gebieterin des altfranzösischen Herrenschlosses dort, die Dame mit dem schneeweißen Haar, über das sie flüchtend einen schwarzen Schleier geworfen hatte. Sie wußte, daß die fanatisierten Bluthunde der Königin keines der Leben verschonen würden, die in diesem letzten Schlupfwinkel atmeten – kein Blick fiel mehr auf den todesgeweihten Enkel an der Brust seiner Mutter, wohl aber zog sie einen Teil ihres Schleiers herab und warf ihn über die schöne, nackte Brust des jungen Mädchens im losen Nachtgewande, das Schutz suchend sich an die hohe Matronengestalt schmiegte und mit entsetzten Augen nach den Verfolgern zurückstarrte – der freche Spottblick der Unholde sollte ihr liebstes Kind, die Wonne ihrer Augen, die süße letzte Blume eines sterbenden Geschlechtes nicht entweihen, bevor der Tod kam ...
»Puh, von dem Bilde könnte man schreckhaft träumen!« rief Lucile nach einer augenblicklich eingetretenen tiefen Stille vom Tisch herüber – ihre helle Stimme klang unangenehm aufschreckend in den Zauber hinein, den ein künstlerische Gedanke dämonisch packend hier ausströmte. – »Ich habe mich schon vorhin deshalb aus dem Staube gemacht und die Albums, die ich durchblättern wollte, eines nach dem anderen, lieber ins Glashaus geschleppt ... Es ist ein furchtbares Leben in dem Bilde – grauenhaft sag' ich dir! Und mit dem ›Fischblut‹ des Malers ist's nichts. Dame Mercedes – da irrst du dich gründlich, und –«
»Der Mann hat sich verkauft,« schnitt die junge Dame verächtlich und achselzuckend die Beweisführung ab und wandte sich von der Staffelei weg. Sie schlug einen der alten Folianten auf, die auf Tischen und Stühlen umherlagen, und sah hinein, aber nur mechanisch, nur für einen Augenblick, dann hob sie den Blick wieder von den plumpen Holzschnitten auf den modrigen Blattseiten – er irrte träumerisch über die Gegenstände hin, um nach dem Bilde auf der Staffelei zurückzukehren, und blieb plötzlich an der Galerie hängen, von der die Wendeltreppe direkt in das Atelier hinabführte – dort oben stand der Maler selbst: noch waren die Türvorhänge, hinter denen er hervorgetreten sein mußte, in wallender Bewegung, er hatte wohl eben erst den Fuß auf die Galerie gesetzt, und doch sah Mercedes sofort an seinem Gesichtsausdruck, daß er ihre harten Bemerkungen gehört hatte.
Ein kaltes Lächeln zuckte um ihren Mund. Sie war offenbar nicht gewohnt, einen ihrer Aussprüche zu verleugnen, mochte er auch noch so rücksichtslos sein. Hatte Felix nicht gesagt, der Mann da oben habe die Schillingschen Familiengüter mit der ungeliebten »langen Cousine« zurückerheiratet? – Nun wohl, es geschah ihm ganz recht, zu erfahren, daß er dadurch bei anderen den Glauben an seine makellos ideale Richtung verwirkt habe. Ihre Augen begegneten mitleidslos, ja, mit grausamer Genugtuung, fest dem empörten Blick, der sie ansah .. .Aber plötzlich stieg ein jähes Rot in ihr Gesicht, und die stolze Frau nahm eiligst das langnachschleppende Gewand auf, um das Arbeitszimmer zu verlassen, das sie ohne die Aufforderung des Besitzers betreten hatte – vorher aber mußte sie sich schlechterdings zu einigen entschuldigenden Worten bequemen.
Er stieg die Wendeltreppe herab, und sie deutete, ihm um wenige Schritte entgegentretend, nach dem Glashause. »Pirat hat Unheil angerichtet,« sagte sie mit einer leicht grüßenden Neigung des Hauptes. »Ich hörte den Lärm in der Allee, und die Besorgnis, daß Ihr Eigentum beschädigt werden könnte, hat mich hierhergetrieben.«
»Es bedarf durchaus keiner Entschuldigung für Ihre Anwesenheit im Atelier, gnädige Frau,« versetzte er. »Es steht jederzeit offen für Besucher aus der Stadt, wie aus der Ferne. Ein Atelier ist ja weder Familienzimmer noch Boudoir,« setzte er kühl und flüchtig lächelnd hinzu. Damit ging er an ihr vorüber, wie er gewöhnt war,