Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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Herrschaft.«

      14.

       Inhaltsverzeichnis

      Währenddessen hatte Baron Schilling die Angekommenen durch den Korridor geführt. Die Flügeltüre am äußersten Ende stand zum Empfang weit offen; man konnte das ehemalige Familienzimmer mit seinen mächtigen Deckenbalken und holzgeschnitzten Wänden vollkommen übersehen. Es zeigte noch genau die Ausstattung wie vor acht Jahren; nur das reiche Silbergeschirr auf den Kredenztischen fehlte; es war durch altes chinesisches Porzellan ersetzt worden ... Hannchen schien eben noch einmal Musterung zu halten – sie stand mit dem Staubtuch neben einem der Tische. Mit einem Blick überflog Lucile das Zimmer und fuhr zurück. »Aber ich bitte Sie, Baron,« rief sie ganz entsetzt, »Sie werden uns doch nicht in den gräßlichen Salon stecken, wo es nachts »trab, trab« hinter den Wänden geht? ... Wissen Sie noch, wie Ihre Frau damals aufschrie? ... Puh, was für ein finsteres Gesicht Sie machen – man könnte erschrecken! – Kann ich's denn ändern, daß mein dummer Kindskopf solche entsetzliche Dinge niemals vergißt? ... Da, da ist die Stelle –« sie zeigte nach der Wand, wo die Ruhebank mit den grünseidenen Polstern stand – »da hat es gestanden und Ihrer Frau eiskalt in das Genick gehaucht!«

      »Lucile, sei kein Kind – denke an José!« unterbrach die schwarzgekleidete Dame die Schilderung. Ihr volles Organ, das den deutschen Lauten einen fremdartigen Zauber verlieh, hatte in diesem Augenblick eine hörbare Beimischung lebhaften Verdrusses. Sie ergriff die Hand der kleinen Frau sehr energisch und führte sie über die Schwelle.

      Das wurde aber sehr übel vermerkt. Lucile lief wohl in das Zimmer hinein; aber sie riß in der Tat wie ein recht unartiges, verzogenes kleines Mädchen ihre Hand los. »Ach was, ich will doch tausendmal lieber kindisch sein, als mich auf die weise Großmutter spielen!« rief sie anzüglich mit hoch hinaufgeschraubter Kinderstimme. »Bah, warum soll denn José nicht wissen, daß es hier spukt? Lächerlich! – Frage doch deine Deborah,« – sie zeigte kichernd nach der Negerin – »sie weiß fabelhaft viel Gespenstergeschichten, eine gruseliger als die andere; und während du Felix in der Krankenstube die Zeitungen vorlasest, habe ich gar oft neben José draußen in der Veranda gekauert und Deborah zugehört. Wir haben uns stets um die Wette gefürchtet, gelt, José?«

      Die Schwarze sah erschrocken nach ihrer Herrin und stellte schleunigst Paula auf einen Stuhl, um ihr Hut und Reisemantel abzunehmen. Lucile aber streifte die Handschuhe ab, riß mit übermütig graziöser Gebärde den Hut vom Kopf und das Jackett von den Schultern und warf Stück um Stück der Kammerjungfer hin, die es auffing – dann ließ sie sich in die Kissen der nächsten Ruhebank sinken. »Na meinetwegen! Ich bin sterbensmüde und habe vorläufig nur das eine brennende Verlangen, zu ruhen!« – Sie drückte sich gliedergeschmeidig wie eine kleine Katze in die Seidenpolster. – »Ihr Poltergeist wird ja wohl so viel Takt haben, uns wenigstens am hellen, lichten Tage ungeschoren zu lassen, lieber Baron?« ironisierte sie selbst ihre Furcht mit einem Schelmenblick von unten herauf. »Puh – ein Selbstmörder ist er gewesen! – Ach ja – wie vom denn das eigentlich? – Hatte der Mann nicht gestohlen, oder den lieben, alten, prächtigen Freiherr« betrogen –«

      »Er hat weder gestohlen, noch betrogen, der ehrliche, brave Adam,« schnitt Baron Schilling rauh und unverbindlich das Geplauder ab und blickte besorgt nach dem jungen Mädchen am Kredenztische, unter deren Händen das aufgestellte Porzellan plötzlich stark aneinander klirrte. Aus ihrem erblaßten Gesicht glühten die Augen in verhaltenem Grimm die kleine Frau in der Polsterecke unverwandt an.

      Baron Schilling winkte ihr, die bepackte Kammerjungfer in das anstoßende Zimmer zu führen, und als sie mit gesenkten Lidern an ihm vorüberging, da strich seine Hand lind und tröstend über ihren dunklen Scheitel. »Gelt, Hannchen, wir wissen das besser?« sagte er mit seiner schönen, mitleiderfüllten Stimme.

      Lucile fuhr empor. »Wie – Hannchen sagen Sie? – Die große, hübsche Person da wäre das barfüßige, kleine Ding, sein Kind, das damals so –«

      Er trat ihr rasch näher. »Gnädige Frau, ich muß Sie dringend bitten, mit dergleichen Anspielungen zurückzuhalten,« fiel er ihr ins Wort, ohne die Empörung, die Ungeduld zu verbergen, die ihm in jedem Nerv zu prickeln schien. – »Sie wissen, zu welchem Zweck Sie hierher gekommen sind, Sie wissen auch, daß die Leute im Schillingshof vorläufig nicht ahnen sollen, wer Sie sind –« »Ach ja, ich weiß meine Lektion schon,« – unterbrach sie ihn mit einer lässigen Handbewegung. – »Ich habe Sie und Ihre Frau in Paris kennen gelernt, bin einfach hier, um mich zu erholen und in der kräftigen, urdeutschen Luft starke Nerven zu bekommen, und so weiter – eine haarsträubend langweilige Rolle, wie Sie mir zugeben werden.«

      Zuerst hatte sie ihn mit großen Augen angesehen – diese energische Zurechtweisung von seiten eines Mannes mochte »das vergötterte Elfenkind« ein wenig verblüffen. Nun aber warf sie sich zurück und legte die hochgehobenen Arme verschränkt unter den Kopf: »Ich will Ihnen etwas sagen, Baron Schilling!... Hätte mich nicht seit Jahren die Sehnsucht nach Europa, nach den alten Verhältnissen, die ich dummer Backfisch damals wahnwitzigerweise aufgegeben hatte, insgeheim gepeinigt und verzehrt, ich wäre nicht um die Welt hierher gegangen – darauf können Sie sich verlassen ... Die Idee an sich ist mir immer unfaßbar gewesen – der arme Felix hatte sich eben mit der ganzen Fieberhitze seiner Krankheit hinein verrannt. Ich frage – was gewinnen wir denn damit? – wir sind reich –«

      Baron Schilling sah überrascht empor; seine Augen begegneten denen der schwarzgekleideten Dame, die in einer der Fensternischen getreten war, wie um einen Blick in den Vorgarten zu werfen, nun aber rasch über die Schulter in das Zimmer zurücksah. Ihre großen, stolzen Augen sahen ihn ausdrucksvoll an, sie legte flüchtig den Zeigefinger auf die Lippen.

      »Ungeheuer reich, sag' ich Ihnen,« fuhr Lucile fort, die diesen Austausch der Blicke nicht bemerkt hatte. »Felix war stets in der Lage, alle meine Wünsche zu erfüllen, und wenn mein toller Kindskopf auf den Einfall gekommen wäre, unseren Wagenpferden massiv goldene Hufeisen zu geben und das Riemenzeug mit Brillanten besetzen zu lassen, er hätte es gedurft ... Augenblicklich werde ich freilich knapper gehalten; die dumme Vormundschaft, von der ich rein gar nichts verstehe, und die mich deshalb behandeln und an der Nase führen kann, wie sie gerade Lust hat, und auch andere widerwärtige Schulmeister –« sie verstummte und streifte mit einem feindseligen Blick die Fensternische – »bah, das wird sich ja schließlich auch abschütteln lassen – mir ist nicht bange!« setzte sie gleich darauf hinzu, übermütig die Locken zurückwerfend und mit dem kleinen Absatz auf den Fuß der Ruhebank hämmernd. »Kurzum, wir brauchen die zusammengescharrten Milch- und Buttergroschen, von denen mir Felix einmal erzählt hat, durchaus nicht!«

      Inzwischen hatte die Dame im Fensterbogen Hut und Reisemantel abgelegt ... Der alte Miniaturmaler, den der reiche Plantagenbesitzer in Südkarolina so hoch geschätzt hatte, war in der Tat ein Meister gewesen. – Das dreizehnjährige Mädchengesicht auf der Elfenbeinplatte und der junge Frauenkopf dort unter der grünen Seidengardine zeigten heute noch ein und dieselben fast unirdisch zarten Linien, die seltsame Färbung, die an die leuchtende hellste Tönung des Bernsteins erinnerte ... Nun erschien sie, deren Augen einst fast aus märchenhafter Ferne her voraus geleuchtet hatten, leibhaftig unter dem nordischen Himmel; das überreiche, nachtdunkle Haar voll aufgestreuter blauflimmernder Reflexe, schlank und biegsam, mit herrlich stolzer Nackenwölbung, stand sie in demselben Zimmer, wo damals ein übermütiger Mädchenmund von ihr als der »kleinen Buckligen« gesprochen hatte.

      Langsam zog sie die Handschuhe von den Händen und rückte den verschobenen Trauring sorglich wieder an Ort und Stelle und dabei sagte sie mit seltsam frostiger Zurückhaltung nach ihrer Schwägerin hinüber: »Es handelt sich in erster Linie um die Zuneigung der Großmutter.«

      Lucile schnellte empor und preßte beide Hände auf die Ohren. »Wenn ich nur diese Phrase nicht mehr hören müßte!« rief sie wie rasend vor Ärger und Ungeduld. »Ach, lieber Baron, was hat man in diesem Amerika aus der kleinen, mutwilligen Lucile gemacht! – Es ist zum Erbarmen! – Monatelang vor Felix' Tode war diese widerwärtige Großmutterversöhnung das stehende Thema in der Krankenstube, und ich armer