ihrem Mann nach. Wie flink diese Füße laufen konnten! Wie die Barben der Morgenhaube flatterten und die weiße Schleppe den Fußboden fegte!
Baron Schilling stieg eben die untersten Stufen der breiten Wendeltreppe hinab, als seine Frau droben erschien.
»Arnold!« rief sie hinab.
»Was wünschest du?«
Eine Pause erfolgte. Die Baronin hörte, wie ihr Mann unbeirrt die letzte Stufe verließ und auf dem hallenden Steinfußboden weiterschritt.
»Arnold, komme! Ich will gut sein, ich will – abbitten!« rief sie halblaut, und in diesem unterdrückten Ton lag so viel Glut, er klang so verräterisch sehnsüchtig, daß man sich unwillkürlich die hageren, zur Umarmung ausgestreckten Arme vergegenwärtigen mußte.
»Wozu das? – Ich zürne nicht!« scholl es herauf, dabei aber verdoppelten sich drunten die eilenden Männerschritte. Die Tür nach dem großen Garten wurde geöffnet, und Baron Schilling trat hinaus auf die Freitreppe. In diesem Augenblick stand aber auch schon seine Frau neben ihm ... Sie war so lautlos hinter ihm hergeschlüpft, als habe sich die lange, schwanke Gestalt zu einem Schatten verflüchtigt. Ihren Arm fest um den seinen schlingend, sah sie ihm unter das Gesicht und ertappte noch den Ausdruck einer stillen Verzweiflung, eines unbezwinglichen Widerwillens auf diesen Zügen.
»Arnold,« murrte sie drohend, da er, durch ihr plötzliches Erscheinen überrascht, eine unwillkürliche Bewegung machte, als wolle er sie wie ein unheimliches Traumgespenst von sich schütteln. »Versündige dich nicht! Denke an den Ausspruch der Ärzte, der dich verpflichtet, mich um meines schwächlichen Nervenlebens willen vor jedem Ärger zu behüten.«
Er antwortete nicht. Sein« Zähne gruben sich tief in die volle, kirschrote Unterlippe, und er stieg langsam die Freitreppe hinab.
Seine Frau ging mit. Sie hing noch an seinem Arm und hatte die Arme verschränkt – für fernstehende Beobachter mußte das Paar, das langsam wandelnd in die schattige Platanenallee einlenkte, das glückliche Bild ehelicher Eintracht sein.
»Arnold, verzeihe! Es war eine Unbesonnenheit von mir, dich an die Ansprüche der Steinbrücks zu erinnern,« hob die Baronin wieder an.
Ein Zug von Ekel ging durch sein Gesicht, als er, von ihr weggewendet, seine Augen droben durch das Geäst der Platanen gleiten lieh. »Lasse doch das auf sich beruhen, Klementine – verdirb mir nicht mit dem leidigen ›Mein und Dein‹ den strahlenden Morgen!«
»Aber ich will dir ja nur sagen, daß ich im Grunde an diese Ansprüche so wenig denke wie du,« entgegnete sie hartnäckig.
»Darin irrst du wieder. Ich denke sehr oft daran; so oft, als ich unter diesen lieben, alten Bäumen hingehe und den Blick auf das Säulenhaus richte; so oft ich durch eine neue Sparsumme das Kapital erhöhe, das deine Hypothek von diesem Grundstück wenigstens, von meinem Vaterhause, ablösen soll.«
»Unsinn! Bist du nicht Mitbesitzer alles dessen, was mir gehört?«
»Nein. Ich habe mich nur in diese Rolle zu finden gesucht, solange mein Vater lebte. Du führst deine Bücher musterhaft und wirst deshalb auch ohne diesen meinen Protest wissen, daß ich seit seinem Tode mich auch nicht für eine Stunde länger als Mitbesitzer betrachtet habe.« Bei diesen Worten klärte sich sein verfinstertes Gesicht auf. Diese zurückkehrende unanfechtbare Ruhe war der nebenher gehenden Frau sicher noch verhaßter, als sein Widerspruch. Sie zog ihren Arm aus dem seinen und sagte in erbittertem Tone: »Es ist ja recht liebevoll von dir, mir so unverschleiert ins Gesicht hinein zu sagen, daß ich dir entbehrlich bin –«
»Dein Geld, Klementine –«
»Wie richtig ist der Instinkt gewesen, mit dem ich gleich zu Beginn unserer Ehe in deiner Kunstausübung meine Todfeindin gesehen habe!« fuhr sie unbeirrt in wachsender Leidenschaftlichkeit fort. »Du pochst auf das, was sie dir einbringt!«
Er wandte langsam den Kopf und sah die Frau an, die jetzt, ohne seine Stütze, mit nachlässig krummem Rücken, den gesteiften, schleppenden Morgenrock mit beiden Händen mühsam über dem morgenfeuchten Kies haltend, in nervöser Hast neben ihm herschritt. »Meine heilige Kunst!« sagte er, und ein schönes, sanftes Lächeln glitt flüchtig um seinen Mund. »Wenn ich in ihre Sonnenaugen sehe, wie bergestief liegen da materielle Interessen unter mir! ... Aber du hast recht. Zu ihren Segnungen gehört allerdings auch die, daß sich ein Frauenfuß nicht so tyrannisch auf meinen Nacken setzen darf, wie er gern möchte. – Übrigens lasse dir sagen, Klementine – auch wenn ich Stift und Pinsel nicht zu führen verstünde, du gelangtest doch nie und nimmer zu dieser Herrschaft, denn ich bin auch ein fleißiger Jurist gewesen – Mittel genug für den Mann, um aus eigener Kraft zu existieren.«
Sie blieb bei seinen letzten Worten stehen und reckte den zusammengesunkenen Oberkörper steif empor. »Nun, da wären mir ja fertig!« warf sie in seltsam trockenem Tone hin. »Du wiederholst es mit gründlicher Beweisführung, daß ich in deinem Leben ein Nichts bin – und ich bin auch albern genug, dir so lange pflichtschuldigst zuzuhören. Aber ich wäre eine Törin, wenn ich dich nicht auch einmal fühlen ließe, wo ich dir fehlen werde – ich verreise. Du hast meine Fürsorge, mein Walten in bezug auf deine häusliche Ordnung und Bequemlichkeit bisher ohne Dank hingenommen, als verstünde sich das ganz von selbst, und auch die Art und Weise, wie ich unser Haus repräsentiere, hat dir nie auch nur das leiseste Beifallszeichen entlockt, während die gute Gesellschaft das ganz anders zu würdigen weiß ... Gut denn! lerne einmal erkennen, was es heißt, wenn die Frau im Hause fehlt; steh, wie du allem fertig wirst mit den fremden Hungerleidern, die den Schillingshof überschwemmen werden, und mit unserer einfältigen Wirtschaftsmamsell, deren Verstand nicht weiter reicht als ihr kleiner Finger ... Ich trete morgen meine längst beabsichtigte Wallfahrt nach Rom an.«
Ihr glühte das Rot der tiefsten Erbitterung auf den Wangen, und er lächelte kalt. »Tue das nicht, Klementine!« warnte er. »Du weißt am besten, daß diese Wallfahrtsaufregungen wahres Gift für dich sind – du bringst stets schlimme Nervenanfälle mit heim.«
»Oh – das ist wieder einmal eine deiner Lästerungen! Was man zur Ehre Gottes tut, das kann niemals schaden ... Und nun genug und übergenug! Ich reise morgen!«
»So geh du in Gottes Namen – ich mache keinen Versuch mehr, dich zurückzuhalten!« – Er schritt gleichmütig weiter – seine kräftigen, weißen Finger gruben sich in alter Gewohnheit in den krausen, dunklen Kinnbart, und der aufleuchtende Blick suchte das Atelier, das eben hell und fensterblitzend, heimisch und genußverheißend zwischen dunklem Taxusgebüsch hervortrat – und sie wandte sich um; einen Augenblick schwankte sie, und verstohlen das Gesicht zurückwendend, schien sie zu hoffen, daß auch sein Auge in Reue sie suche; aber er ging elastischen Schrittes weiter und weiter, als habe er bereits vergessen, was hinter ihm liege; und nun schritt sie hastig nach dem Säulenhause zurück... In ihrem Ankleidezimmer schellte sie der Kammerjungfer und befahl das sofortige Herbeischaffen der Reisekoffer, dann trat sie wieder hinaus auf die Terrasse.
Bei ihrer Rückkehr in das Haus und der Kammerjungfer gegenüber war sie vollkommen die Frau mit der mattgebeugten Haltung, der apathischen Miene und dem langsam schleppenden Gang gewesen; angesichts der Freundin aber brach der Seelensturm wieder durch. »Packe deine Altardecke zusammen, Adelheid!« rief sie mit fliegendem Atem. »Dein heißester Wunsch wird erfüllt – wir gehen morgen nach Rom!«
Die Stiftsdame ließ augenblicklich ihre Arbeit in den Korb sinken, klappte den Deckel zu und erhob sich. Sie stand in ihrer ganzen imposanten Höhe vor der aufgeregten Frau – ein düsteres Feuer glomm in ihren Augen. »Hüte dich, Klementine!« warnte sie mit aufgehobenem Finger. »Du spielst um deine Seele! Deine unselige Liebesleidenschaft treibt dich von einer Sünde zur anderen. Du gehst nicht nach Rom in Glaubensinbrunst – weit entfernt – Trotz und Zorn treiben dich fort, und der geheime Wunsch, durch deine Abwesenheit Sehnsucht in dem Herzen deines kalten, gleichgültigen Mannes zu wecken –«
Die Baronin fuhr empor, als wolle sie sich auf die scharfsichtige, unerbittliche Mahnerin stürzen und ihr mit der Hand den Mund verschließen, aber die stand da wie in den Boden gewurzelt; sie hob nur die schöne Rechte in stummer Abwehr, die schwarzen, kräftig gezeichneten Brauen