Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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Schmerz, wie du dich in dem Bemühen verzehrst, Macht über den Mann zu gewinnen, der seine armselige Kunst zum Götzen macht ... Und wenn dir dein Mühen glückte? – Geh – was für ein erbärmlicher Sieg! ... Kämpfe lieber gegen dich selber! Du Hast allen Halt verloren, bist eine launenhafte Frau geworden, die in einem Atem Entschlüsse faßt und verwirft; jetzt aber sage ich dir – autorisiert durch Pater Franziskus und die frommen Schwestern, die deine Kindheit behütet haben – »bis hierher und nicht weiter!« Hast du die Pilgerfahrt nach Rom infolge grenzenloser Selbstsucht beschlossen, so kannst du diese Sünde nur büßen, indem du das unlautere Feuer in deiner Brust bekämpfst und die Reise wahrhaft reuig antrittst. Ein »Zurück«, wie du es dir seit Jahren erlaubst, gibt es hier nicht mehr! Nicht Laune, nicht Trennungsschmerz, nicht einmal Krankheit werden dich zurückhalten – nötigenfalls lässest du morgen dich in den Reisewagen tragen. Abreisen werden wir um jeden Preis!«

      Wie verscheucht war die Baronin bis zur Glastür zurückgewichen. – Diese Frau trug eine Kette am Fuß, deren äußersten Ring das Klosterinstitut in seinem Grund und Boden festgenietet hatte. Sie brach meist zusammen unter einer direkten Mahnung von dorther, aber in diesem Augenblick behielt doch die fieberhafte Aufregung, mit der sie aus der Platanenallee zurückgekehrt war, hörbar die Oberhand, als sie auf der Schwelle sich umwendend, trotzig rief: »Wer sagt denn, daß ich meinen Entschluß ändern will? – Ich gehe, und sollte ich mich todkrank von Ort zu Ort schleppen!«

      Damit ging sie, um das ganze Haus, behufs ihrer Reisevorkehrungen, zu alarmieren.

      13.

       Inhaltsverzeichnis

      Seit diesem stürmischen Morgen waren nur wenige Tage verstrichen. Im oberen Stockwerk des Säulenhauses umschlossen die herrlichen steingemeißelten Halbrundbogen der Fenster das leblose, eintönige Grau der herabgelassenen Vorhänge und deuteten das tiefe Schweigen an, das in den Räumen herrschte; denn sie lagen hinter Schloß und Riegel, kein Menschenfuß betrat sie; nicht einmal lüften solle man droben, hatte die Frau Baronin bei ihrer Abreise der Dienerschaft streng anbefohlen.

      Baron Schilling stand nachmittags in seinem Atelier. Draußen hatte ein rasch vorüberziehendes Gewitter Millionen funkelnder Regentropfen versprüht; ein frischer Windhauch lief hinter den Wolkenresten her; er schaukelte und schüttelte das tropfende Gezweig und löste den Bann der Schwüle und Gewitterfurcht von den Vogelkehlen; und der Himmel blaute wieder, als sei die tränenschauernde Wolkenwand zwischen ihm und der Erde nie gewesen.

      Diese jubilierende, strahlende Wandlung draußen im Garten bemerkte der Mann vor der Staffelei nicht. Er sah in eine schwüle, von Fackellicht durchzuckte Sommernacht hinein. Die rötlichen Tinten, teils tief im Hintergrund aus den Fenstern eines Palastes quellend, teils vereinzelt und unruhig zwischen riesigen Parkbäumen hindurch unaufhaltsam nach dem Vordergrund eilend, wogten so täuschend und überzeugend, daß man meinen konnte, sie müßten im raschen Vordringen auch das Atelier füllen und sein leises Dämmern durchleuchten. In diesen weiten Raum fiel augenblicklich nur das Oberlicht, aber auch gedämpft, nicht grellgemischt mit dem heißen Goldgefunkel der unverhüllten Sonne ... Dabei herrschte lautlose Stille, nur unterbrochen, oder vielmehr begleitet von dem eintönigen, traumhaften Plätschern fallender Wasser hinter einem zugezogenen dunkelgrünen Samtvorhang von großartigem Faltenwurf, der die ganze Schmalseite des Ateliers nach Süden hin vollkommen bedeckte ... Auch dieses verborgene melancholische Rauschen und Rieseln mischte sich mit dem unheimlich schwülen Atem der Sommernacht auf der köstlich belebten Leinwand – der durch Alleen und Gehölz irrende Fackelschein glühte da und dort hochaufspringende Wasserstrahlen an und löste sie, wie plötzlich hervortretende Geistererscheinungen, aus dem tiefen, verschwiegenen Dunkel.

      Wie traumverloren, der Wirklichkeit vollkommen entrückt, arbeitete der Künstler. Er sah nicht, daß seitwärts durch eine aufgehende Türe das sonnige Tageslicht breit hereinfiel; er hörte nicht die leichten Tritte, die auf ihn zuhuschten, bis eine zaghafte Mädchenstimme neben ihm laut wurde. »Herr Baron, die Fremden sind eben vorgefahren,« meldete Hannchen.

      Er fuhr zusammen, als seien diese geflissentlich gedämpften Laute Trompetenstöße gewesen, und ein hastiger Unwille über die Störung wallte sichtlich in ihm auf. Zornig warf er den Pinsel hin, während das Mädchen sich scheu zurückzog und wieder hinausschlüpfte. Erst bei dem leisen Geräusch, welches das Zudrücken des Türschlosses verursachte, war es, als werde er sich seiner und der Außenwelt wieder bewußt. »Lucians Kinder!« murmelte er wie zu seiner eigenen Besänftigung. Er streifte die Bluse ab und eilte durch den Garten.

      Als er die Flurhalle des Säulenhauses betrat, da stand die gegenüberliegende, nach dem Vorgarten führende Haupttüre weit offen. Die Dienerschaft des Hauses trug Koffer um Koffer herein, leichtes, jedenfalls nur Damengarderobe enthaltendes Gepäck, Wie die mühelose Beförderung bewies.

      Neben einem Haufen Gepäckstücken, den die Leute bereits aufeinander getürmt hatten, kniete die Kammerjungfer Minna. Sie hatte einen halbzertrümmerten Hutkoffer vor sich; Spitzen und Bänder quollen aus dem geborstenen Gefüge, und auf der Faust der Zofe schwebte ein vollständig zerquetschter Damenhut, den sie aus dem Gemenge von Holzstangen und Lederfetzen gezogen hatte.

      Und die flötenhafte Stimme, die an dem ereignisvollen Abend vor acht Jahren so lustig und silbern von den polierten Steinwänden widergehallt, sie war auch wieder da – sie schalt und kicherte wie ein Kobold in einem Atem. »Dumme Menschen! Einem die Effekten so zu malträtieren! Das kann eben nur im guten, biderben Deutschland passieren! Aber ich werde mich beschweren – der Hut war ganz reizend, ich war wie vernarrt in ihn! – Gott, wie lächerlich er in der Verfassung aussieht! Ha, ha, ha!... Bah, schneide doch nicht gar so verdrießliche Grimassen, Minna! Bin ich etwa schuld an dem Unheil!« Die feine Fußspitze der Sprechenden stieß eine kornblumenblaue Seidenbandrolle, die über das Steingetäfel des Fußbodens gerollt war, nach dem Gepäck zurück; um die ganze bewegliche Gestalt irrte ein leises Geräusch von klirrendem Kettenschmuck und knisternden Stoffen, und die Hände mühten sich, die zerdrückten Locken aufzuschütteln; aber sie fuhren plötzlich herab, um sich dem eintretenden Herrn des Hauses entgegenzustrecken – die kleine Frau flog mit einem freudigen Ausruf auf ihn zu.

      »Da sind wir, lieber Baron! ... Ach Gott, wie muß ich an den armen Felix denken, wenn ich Sie sehe! ... Oh, nicht wahr, wer hätte damals sagen sollen, daß ich so jung Witwe werden würde? So jung! – Der Arme, nun liegt er drüben so allein! Und was hat er leiden müssen – es war furchtbar, sag' ich Ihnen! ... Wissen Sie, für mich ist Felix eigentlich schon gestorben in dem Augenblick, wo er die schwere Wunde erhalten hatte. Ich kann niemand leiden sehen; eine Krankenstube ist mir fürchterlich wie die Hölle – so verdunkelt und dumpf; dazu das schmerzliche Stöhnen, dazu die schleichenden Tritte, die gedämpften Stimmen der Pflegenden – das alles wirkt so furchtbar deprimierend auf mich, daß ich auf und davon laufe.«

      Sie unterbrach sich und wandte den Kopf zurück – ein metallbeschlagener Koffer wurde eben über die Stufen der Säulenhalle gehoben; er war gewichtiger als die anderen, man hörte das an dem Keuchen und den schwerfällig schwankenden Schritten der Diener, die ihn heraufschleppten.

      »Wir beanspruchen viel Raum, nicht wahr?« fuhr die kleine Frau lebhaft fort und deutete lächelnd auf das Gepäck. »Wir haben auch Malheur gehabt. Sehen Sie doch das unbeschreibliche Etwas, das meine Jungfer dort so trübselig hin- und herwendet – das war einmal ein Hut, ein allerliebstes Barett, das ich mir in Hamburg zur Austrauer gekauft hatte ... Man hat mir den Koffer scheußlich zugerichtet – eine fabelhafte Tölpelei!«

      Baron Schilling ließ ihre Rechte, die er unwillkürlich zwischen seinen Händen festgehalten, plötzlich sinken. Das zierliche Wesen da vor ihm kam – wenn auch vielleicht ein wenig bleicher und schmalwangiger – genau so wieder zurück, als was es über das Meer gegangen war, als die leichtbeschwingte Schmetterlingsseele, die nur um die Blumen des Lebens flattert und sich scheu von dem unwirtlichen Feld der Kümmernisse wegwendet ... Die zwei Tränen um den Toten, die sich vorhin über ihre Wangen gestohlen, waren gewiß aufrichtig gemeint gewesen, aber fast mit ihnen zugleich vertieften sich bereits die Wangengrübchen im halb schmollenden, halb