der Schillingshof wird Gäste beherbergen, die –«
Die Stiftsdame horchte gespannt auf, aber ein Geräusch von der Glastüre her machte die Baronin verstummen; sie sah seitwärts und streckte sofort in lebhafter, ungnädiger Abwehr die Hand aus. Ein Bedienter war aus dem Salon getreten, er trug Minka auf dem Arm. »Ich wollte der gnädigen Frau nur melden, daß das arme Tierchen wieder wohlauf ist,« stotterte er ganz verblüfft über die hinausweisende Gebärde.
»Es ist gut,« sagte die Baronin stirnrunzelnd. »Die Strafe kann dem Tier nicht schaden. Minka hat für den ganzen Tag strengen Arrest – sie soll mir heute nicht mehr unter die Augen kommen.«
Der Diener reichte ihr eine Postmappe hin, die er mitgebracht hatte, und entfernte sich schweigend. Drin im Salon lachte er sich ins Fäustchen – sonst, bei dergleichen Vorkommnissen, wurde die im ganzen Hause grimmig gehaßte »schwarze Kanaille«, die er eben vor den Ohren der Gnädigen in mitfühlendem Tone »das arme Tierchen« genannt hatte, sorgfältig untersucht und gepflegt – und nun diese plötzliche Ungnade! Was der Unwille des Hausherrn, die Klagen der Dienerschaft nicht bewirkt, das hatte eine grobe Beleidigung von außen her fertig gebracht – die ging denn doch »über den Spaß« ...
Die Postmappe, die der Bediente gebracht hatte, war eine praktische Einrichtung der Frau Baronin, »damit keine Zuschrift durch die Fahrlässigkeit der Dienstboten abhanden komme« – so gingen alle im Schillingshofe einlaufenden Briefe durch die Hand der Herrin ... Sie schloß die Mappe auf und sortierte alles Eingegangene. Das geschah mit gewohnter Pünktlichkeit, mit den graziös lässigen, diese Frau charakterisierenden Bewegungen, bis plötzlich, bei einem jäh aufsteigenden Wangenrot, die langen, dünnen Finger widerwillig zuckten, als sei aus einem der Kuverts eine flinke Spinne über sie hingehuscht. Dieses Kuvert war schwarz gerändert und zeigte ein schön ausgeprägtes Wappen auf dem Siegel.
»Also doch!« murmelte sie tonlos. »Und ich hoffte mit jedem Tag mehr, daß die Geschichte wieder einschlafen würde.« – Sie war jedenfalls sehr unangenehm berührt, aber sie verbarg das unter einem erzwungenen Lächeln. »Lupus in fabula!« sagte sie, der Stiftsdame den Brief hinhaltend – er war an Baron Schilling adressiert. »Ich sprach dir von Gästen; das dünne Briefblättchen da drin ist jedenfalls der Kurier, der ihr unvermeidliches Erscheinen sicher für die allernächsten Tage feststellt ... Wirst du es ertragen, mit einer ehemaligen Tänzerin unter einem Dache zu leben?«
Das brünette, kluge Gesicht der Stiftsdame erstarrte förmlich in eisiger Zurückhaltung. »Zunächst muß ich fragen, wirst du das können, Klementine? Wie magst du so unsäglich schwach sein, dir dergleichen aufbürden zu lassen?«
Die Baronin schlug die Augen nieder und strich wiederholt einige Kuchenkrümchen von der Tischecke – sie war verlegen. »In diesem Falle hat mein Mann mich gebeten – er bittet sonst nie –«
»Ach so – das ist freilich überwältigend!« – Der strengste Beichtvater, der eine büßende Menschenseele in der Hand hat, konnte nicht unerbittlicher aussehen, als diese ironisierende Dame – aber der Eindruck war nicht der gewünschte. Die »distinguierte Frau« da vor ihr wandelte sich, wie so oft, zum eigensinnig widersprechenden Kind und sagte tiefgereizt und ärgerlich: »Ach geh doch, Adelheid – schulmeistere nicht immer! – Ich weiß recht gut, wie ich mich zu verhalten habe und reserviere mich streng auch dieser dummen Geschichte gegenüber. Mein Gott, was geht's mich an, daß dieser Felix Lucian gestorben ist? Was habe ich damit zu schaffen, daß er durch den Krieg Hab und Gut verloren hat? Ich sehe darin nur die rächende Hand Gottes an dem sündigen Sohne, der sich in abscheulicher Verblendung gegen die eigene Mutter aufgelehnt hat –«
»Das ist die alte Frau drüben auf dem Klostergute, die wir am Fenster sahen?«
»Ja – sie will bis auf den heutigen Tag nichts von dem Sohne hören – mit allem Recht! Sie weiß nicht um seinen Tod, nicht daß er zwei Kinder hinterlassen hat, und spart und mehrt ihr großes Vermögen einzig und allein für das Kind ihres Bruders, das kleine fratzenhafte Gerippe, das vorhin dort auf der Mauer herumsprang.«
Wie erschöpft vom anhaltenden Sprechen und sichtlich grillig schmiegte sie sich in den Lehnstuhl – das weiße Batistkleid bauschte in häßlichen Falten um den leicht zusammensinkenden Körper, und auf den langen, schmalen Händen, die mechanisch an dem gestickten Besatz zupften, lag fast greisenhaft entblößt das Geflecht der Adern. »Dem verzogenen, boshaften Jungen könnte es im Grunde nicht schaden, wenn ihm diese Erbschaft entzogen würde – er erbt so wie so übergenug,« setzte sie nach einer Pause mit einem stechenden Aufflimmern ihrer Augen hinzu; »aber wie gesagt, was kann das mich interessieren? ... Ich habe stets ein gerütteltes Maß Geduld nötig gehabt, wenn Arnold von dem amerikanischen Freund sprach – wie »der arme Mensch« auf seinem Leidensbette keinen anderen Wunsch habe, als der gekränkten Mutter seine vergötterten Kinder zuzuführen, wie es sein ausdrücklicher letzter Wille sei, daß nach seinem Tode die junge Witwe mit ihnen nach Deutschland zurückkehre, und Gott weiß was alles! – Ich habe immer nur mit halbem Ohr hingehört ... Nun sollen aber alle diese Träume und Pläne verwirklicht werden, und dabei stößt man auf große Schwierigkeiten. Rat Wolfram hält geflissentlich alles fern, was seine Schwester an den Sohn erinnern könnte – er ist ein Mann, der sich lieber in Stücke zerreißen läßt, ehe er den eigentlichen Erben seiner Schwester auch nur einen Span zugesteht; er muß mithin völlig ahnungslos bleiben, und die Großmutter soll ihre Enkel anfänglich kennen lernen, ohne zu wissen, wer sie sind – wie die guten Leute das anfangen wollen, das mag der Himmel wissen, lange genug wird's dauern! Der Ort dieser Manöver aber wird der Schillingshof sein, den Arnold leider in seiner überschwenglichen Freundschaft dem Verstorbenen und seiner Witwe zur Verfügung gestellt hat.« »Und in dieser Intrigue wirst du trotz alledem und alledem deine Hand haben – du wirst das Geheimnis mit behüten müssen –«
Mit einem müden Kopfneigen und allen Zeichen des Überdrusses bestätigte die Baronin:»Wenn ich meine Einwilligung nicht zurücknehmen will, allerdings; selbst vor unseren Leuten – mit Ausnahme der Birkner, die diese ehemalige Mademoiselle Fournier gesehen hat und sie jedenfalls wiedererkennen wird.«
Adelheid deutete auf das Kuvert, das eine feste Hand beschrieben hatte. »Ist der Brief von der jungen Witwe selbst?«
Die Baronin verzog geringschätzend die Lippen. »Ich vermute, daß diese Tanzvirtuosin keinen anständigen Brief zu schreiben versteht, deshalb mag wohl Lucians Halbschwester, eine Frau Mercedes de Valmaseda, die Verhandlungen in die Hand genommen haben. Sie schreibt stets wenige, kurz zusammengefaßte Zeilen, und so sehr von oben herab, daß ich Arnolds Gelassenheit bewundere, mit der er sich das gefallen läßt. – Ihr Herr Gemahl mag wohl ein steifleinener Grande sein, ein edler Hidalgo, der sich stolz in seinen geflickten Mantel hüllt – denn furchtbar verarmt sind sie alle durch den Krieg, diese Herren Sklavenhalter der Südstaaten.«
Sie fuhr plötzlich wie elektrisiert aus ihrer nachlässigen Stellung empor – man hörte Pferdegetrappel, und das eiserne Gittertor wurde klirrend zurückgeschlagen – Baron Schilling ritt in den Garten.
Die Frau mit dem müden Leib und der matten Seele war für einen Moment in ihrem unbeherrscht lebendigen Mienenspiel, in jedem kräftig gespannten Muskel das Bild atemloser, fast bräutlich leidenschaftlicher Erwartung; aber auch nur für einen Moment, dann sank sie mit einem lauernden Seitenblick nach der Freundin in ihre frühere Teilnahmslosigkeit zurück.
12.
In der Nähe des Hauses sprang Baron Schilling vom Pferde. Ein Stallbedienter eilte herbei, das Tier in Empfang zu nehmen, und auf einen Wink des Gebieters kam auch Hannchen vom Säulengang her.
»Hier, mein Kind, das trägst du in das Atelier – du weißt schon, wo die anderen liegen.« – Er holte einige kleine Baumschwämme aus der Tasche und warf sie dem Mädchen in die Schürze. – »Und diese hier« – behutsam nahm er ein Sträußchen frisch aufgeblühter Heckenrosen aus dem Knopfloch – »die gibst du der Birkner und sagst ihr, ich hätte auch heute nicht vergessen, die ersten, die ich gesehen,