aus fernen Landen, die er allabendlich den Blättern erzählt … Das Stadtmusikkorps aus L. brachte Herrn von Walde ein Ständchen.
15.
Am andern Morgen um fünf Uhr wurden die Bewohner von Gnadeck durch Böllerschüsse geweckt. »Aha,« sagte Ferber zu seiner Frau, »die Verherrlichung nimmt ihren Anfang.« Elisabeth aber fuhr jäh aus einem schrecklichen Traume auf. Das Unglück, welches sie gestern abgewendet, hatte der Traum wahr gemacht; sie sah in dem Augenblicke Herrn von Walde sterbend zusammenbrechen, als der Schuß im Thale sie aufschreckte. Es bedurfte langer Zeit, ehe sie sich zu sammeln vermochte. In einen einzigen Moment hatten sich unnennbare Schmerzen zusammengedrängt. Sie hatte gewähnt, Himmel und Erde müßten mit jener hohen Gestalt zusammenstürzen und auch sie unter ihren Trümmern zerschmettern, und noch jetzt, nachdem sie sich überzeugt hatte, daß das goldene Morgenlicht in ihr Stübchen und nicht auf die blutgetränkte Waldwiese falle, vibrierten die aufgetürmten Gefühle nach … nicht einmal gestern, als sie ihr Leben für das seine wagte, war sie sich so klar bewußt gewesen, daß sie in einem solchen Augenblicke mit ihm sterben müsse.
Wieder und wieder donnerte es drunten durch das Thal. Die Fensterscheiben klirrten leise, und Hänschen flatterte entsetzt auf und klammere sich an die Stäbe seines Käfigs. Elisabeth schauderte jedesmal zusammen, und als die Mutter, die sich noch immer nicht über den Vorfall des gestrigen Tages beruhigen konnte, obgleich sie ihr Kind wohlbehalten und unverletzt sich zurückgegeben sah, an der Tochter Bett trat, um zu fragen, wie sie geschlafen habe, da schlang diese heftig die Arme um ihren Hals und brach in einen unaufhaltsamen Thränenstrom aus.
»Um Gotteswillen, Kind!« rief Frau Ferber erschrocken, »du bist krank! … Ich wußte wohl, daß die gestrige Nervenaufregung nicht ohne Folgen bleiben würde … und nun schießen sie auch noch so unvernünftig da unten.«
Es kostete Elisabeth viele Mühe, die Mutter zu überreden, daß sie sich ganz gesund fühle und um keinen Preis im Bette bleiben, sondern mit den anderen zusammen Kaffee trinken wolle. Um jede Einwendung sofort abzuschneiden, schlüpfte sie in ihre Kleider, wusch das verweinte Gesicht mit frischem Wasser und stand bald draußen am Herde, um die letzte Hand an das von der Mutter vorbereitete Frühstück zu legen.
Die Schüsse waren plötzlich verstummt, und es währte nicht lange, da waren auch die Thränenspuren aus Elisabeths Augen verwischt. Sie blickte wieder heller in die Welt, denn wenn sie auch ein Leben voll Entsagen vor sich sah, so lebte er ja doch; dieser Gedanke hatte infolge des fürchterlichen Traumgesichts eine beschwichtigende Kraft für ihr unruhiges Herz … und wenn er auch ging – weit fort –, und sie mußte jahrelang leben, ohne ihn zu sehen, einmal kam doch eine Zeit, da er wiederkehrte … Und ihn lieben und an ihn denken durfte sie ja auch, denn er gehörte ja keiner anderen.
Später ging sie mit den Ihrigen und Miß Mertens nach dem Forsthause, wohin die Gesellschaft wie alle Sonntage für den Mittag eingeladen war. Auf der Stirn des Oberförsters, der ihnen entgegenkam, lagen schwere Wolken. Wie Elisabeth bald bemerkte, machte ihm Bertha schwer zu schaffen.
»Ich kann und werde diese Wirtschaft nicht länger mehr mit ansehen!« rief er heftig. »Soll ich in meinen alten Tagen noch Zuchtmeister werden und in meinem eigenen Hause Tag und Nacht auf der Lauer stehen, um ein junges, eigensinniges Ding, das mich eigentlich auf der Gotteswelt nichts angeht, von verrückten Streichen abzuhalten?«
»Onkel, bedenke, daß sie unglücklich ist!« rief Elisabeth erschrocken.
»Unglücklich? … Eine Komödiantin ist sie … ich bin auch kein Menschenfresser, und als ich sie für wirklich unglücklich hielt, das heißt wie sie beide Eltern auf einmal verlor, da bin ich ihr Stab und Stütze gewesen, soviel nur in meinen Kräften stand … Aber da steckt das Unglück auch gar nicht; denn dazumal, kaum zwei Monate nach dem Trauerfalle, trillerte sie den ganzen Tag wie eine Heidelerche, so daß mir das Herz weh gethan hat bei so viel Leichtsinn und Herzlosigkeit … Worüber ist sie unglücklich, he? … Ich will es übrigens auch gar nicht wissen, das Staatsgeheimnis, und wenn sie kein Vertrauen zu mir hat, so mag sie’s bleiben lassen … Meinetwegen könnte sie auch das ganze Jahr ein Thränenweidengesicht machen, wenn sie sich nun einmal darin gefällt; aber sich stumm stellen, des Nachts wie eine Verrückte im Walde herumlaufen und mir eines schönen Tages das Haus über dem Kopfe anbrennen, das sind Dinge, in die ich denn endlich doch ein Wörtchen reden werde.«
»Hast du denn meine Warnung neulich nicht beachtet?« fragte Ferber.
»Ei freilich … Ich habe ihr sofort eine andere Stube angewiesen, sie schläft jetzt über mir, so daß ich jeden Tritt droben hören kann. Nachts werden beide Hausthüren nicht bloß verriegelt, wie früher immer geschehen ist, sondern auch zugeschlossen, und ich nehme die Schlüssel mit in meine Kammer … Aber Weiberlist – nun, das ist eine alte Geschichte … Wir haben durch die Vorsichtsmaßregeln wenigstens eine kurze Zeit Ruhe gehabt. Diese Nacht aber konnte ich nicht einschlafen – die Geschichte mit dem Linke ging mir noch durch den Kopf – da hörte ich droben Schritte, so leise, als ob eine Katze über die Dielen schliche. Aha, dachte ich, da geht das Nachtwandeln wieder los, und machte mich auf; aber als ich hinauf kam, da war das Nest schon leer; auf dem Tische am offenen Fenster brannte ein Licht, und als ich die Thür aufmachte, da flog der Vorhang über die Flamme – Herr Gott, wäre ich nicht sofort zugesprungen, es hätte ein Feuerwerk geben können, bei dem die alten Balken im Forsthause sicher gern mitgeholfen hätten … Und wie war sie hinausgekommen? … Durchs Küchenfenster … Ei, da will ich doch lieber einen Ameisenschwarm hüten, als solch eine geriebene Person …«
»Ich bin fest überzeugt, das Mädchen hat ein Liebesverhältnis,« meinte Frau Ferber.
»Ja, das haben Sie mir schon einmal gesagt, Frau Schwägerin,« entgegnete der Oberförster ärgerlich, »wenn Sie mir aber auch dabei bemerken wollten, mit wem, dann würde ich Ihnen sehr dankbar sein … Sehen Sie sich doch nur um, ob nur ein einziger da ist, der einem Mädchen so den Kopf verdrehen könnte … Meine Gehilfen? … Die sind ihr lange nicht gut genug, die hat sie gleich zu Anfang ablaufen lassen, daß es eine Art hatte … und der Schurke, der Linke, der wird’s wohl auch nicht sein mit seinen krummen Beinen und der semmelfarbenen Perücke, und damit wäre denn das Register voll.«
»Einen haben Sie vergessen,« sagte Frau Ferber bedeutsam und sah sich um nach Elisabeth, die einige Schritt zurückgeblieben war, um für Ernst eine Gerte abzuschneiden.
»Nun?« fragte der Oberförster.
»Herrn von Hollfeld.«
Der Oberförster blieb betroffen stehen. »Hm,« brummte er endlich, »das wäre mir auch in meinem ganzen Leben nicht eingefallen … Nein, nein,« fuhr er lebhaft fort, »das glaube ich nicht; denn erstens wird das Mädel nicht so stockdumm sein, sich einzubilden, der werde sie zur gnädigen Frau auf Odenberg machen –«
»Vielleicht hat sie das doch gehofft und sieht sich nun enttäuscht,« warf Frau Ferber ein.
»Hochmütig und eitel genug wäre sie am Ende,« meinte der Onkel nachdenklich, »aber er – er soll sich ja ganz und gar nichts aus den Weibern machen.«
»Er ist ein kalter Egoist,« sagte Miß Mertens.
»Das letztere glaube ich – das erstere aber nicht,« erwiderte Frau Ferber, »und eben diese Anschauung erklärt mir Berthas ganzes Thun und Treiben.«
»I, das wäre ja eine greuliche Geschichte!« rief der Oberförster zornig. »Und ich hätte mir in meinem Arglosigkeit und Nachsicht eine Nase drehen lassen, wie nur irgend ein alter, bornierter Komödienvater! … Ich werde der Sache jetzt unerbittlich auf den Hals rücken, und wehe der ehrvergessenen Person, wenn sie es wirklich gewagt hat, unter meinem ehrlichen Dache eine Liebelei anzuzetteln, die ihr und mir nur Schande bringen kann!«
Das Mittagessen verlief sehr still. Der Oberförster war und blieb verstimmt und hätte am liebsten Bertha sogleich in die Beichte genommen, wenn nicht Frau Ferber gebeten hätte, er möge des Sonntags