Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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ihn stets beruhigte und wieder zu sich selbst brachte.

      Elisabeth schmückte sich zum Konzert, d. h. sie zog ein einfaches, weißes Mullkleid an und steckte als außergewöhnlichen Schmuck ein frisches Waldblumenboukett an die Brust. Die Mutter brachte ein kleines Medaillon am schwarzen, schmalen Samtbändchen und legte ihr dasselbe um den Hals – das war die Konzerttoilette, die gewiß jedes andere junge Mädchen, im Hinblicke auf sein Erscheinen in einer glänzenden Gesellschaft, mit einem bedrückten Gefühle angelegt haben würde. Elisabeth dagegen fand mit großer Genugtuung, daß das schon so oft gewaschene Kleid noch nie so tadellos unter ihrem Plätteisen hervorgegangen sei, als diesmal, und hätte am liebsten den kleinen goldenen Schmuck der Mutter wieder abgelegt; denn sie war der Ansicht, da unten sei sie ja nur Musikant und nicht Gesellschaft, und die Hauptsache seien heute ihre Finger. Es beunruhigte sie übrigens einigermaßen, daß sich an diese Finger ein entblößter Arm schloß, und daß das Kleid auch die Schultern frei ließ. Bis dahin war sie stets bis an das Kinn verhüllt gegangen; sie begriff nicht, weshalb die vornehme Welt es passender finde, bei festlichen Gelegenheiten dekolletiert zu gehen … Daß ihre Schultern und Arme reizend geformt und von einem fast glänzenden Weiß waren, fiel ihr selbst nicht auf, so wenig, als sie bemerkte, wie ihr schöner Kopf voll schwerer, blonder Flechten im Vereine mit dem schlanken Halse und den Schultern eine unbeschreiblich graziöse Linie bildete. Die Mutter hatte heute das goldene Lockengekräusel selbst geordnet, das auf Elisabeths Stirn fiel und durch seinen lichten Glanz die feinen, aber festen Bogen der schwarzen Augenbrauen, als einen eigentümlichen Reiz, wunderbar hervortreten ließ … Sie konnte Miß Mertens nicht widersprechen, die, nachdem Elisabeth den Weg ins Schloß angetreten hatte, begeistert meinte, der Anblick des jungen Mädchens habe etwas Ueberirdisches, denn sie selbst hatte heute überrascht die Bemerkung gemacht, daß ihr Kind in auffallender Schönheit erblüht sei.

      Als Elisabeth das Vestibül im Lindhofer Schlosse betrat, bemerkte sie den Doktor Fels, der, seine Frau am Arme führend, eben in einen Korridor einbiegen wollte. Sie eilte auf ihn zu und begrüßte ihn freudig, denn ihr Herz hatte auf dem ganzen Wege ängstlich geklopft bei dem Gedanken, daß sie allein in den weiten Saal werde eintreten müssen, wo voraussichtlich schon der größte Teil der Geladenen versammelt war. Der Doktor reichte ihr sogleich die Hand und stellte sie seiner Frau mit halblauter Stimme als das »Heldenmädchen von gestern« vor. Beide nahmen das junge Mädchen herzlich gern ins Schlepptau … Die hohe Flügeltür des Saales rauschte auf. Elisabeth dankte in diesem Augenblicke ihrem guten Sterne, der sie hinter der imposanten Gestalt der Doktorin völlig verschwinden ließ, denn der Eindruck des großen, festlich geschmückten Raumes, über dessen spiegelglattes Parkett prachtvolle Damenroben rauschten, und die feinen Lackstiefel der vornehmen befrackten Herren hinglitten, hatte etwas Ueberwältigendes für sie … Inmitten des Saales stand die Baronin Lessen, von einem prächtigen, dunkelblauen Moiré antique umbauscht, und machte die Honneurs. Sie erwiderte den Gruß des eintretenden Ehepaares sehr höflich, aber auch sehr kühl, und deutete auf des Doktors Frage nach Herrn von Walde auf einen Menschenknäuel, nahe am Fenster, von welchem ein Gesumm, unverständlich wie die babylonische Sprachverwirrung, herüberscholl.

      Während Fels mit seiner Frau dorthin schritt, folgte Elisabeth froh und dankbar einem Winke Helenes, die, in einem andern Fenster sitzend, ihr hastig und aufgeregt mitteilte, daß sie plötzlich vom sogenannten Lampenfieber überfallen worden sei; sie habe entsetzliche Angst, vor all diesen Leuten zu spielen, und möchte am liebsten in ein Mäuseloch kriechen. Schließlich bat sie das junge Mädchen, statt der vierhändigen Piece, mit der das Konzert eröffnet werden sollte, eine Sonate von Beethoven zu spielen, ein Wunsch, auf den Elisabeth sofort einging. Ihre Befangenheit war verflogen. Sie trat an den Tisch, auf welchem die Musikalien lagen, und schlug die Sonate auf, die sie vortragen wollte. Währenddem fuhren draußen Wagen auf Wagen donnernd in die Einfahrt. Die Thüren öffneten sich unermüdlich und beförderten nach und nach einen solchen Ueberfluß von Tüll und Spitzen und Samt und Seide in den Saal, daß Elisabeth bedauerlich lächelnd auf ihr schön gebügeltes Mullkleid hinabsah, denn einmal zwischen jenes Krinolinengedränge geraten, mußte es auf der Stelle seine tadellose Glätte einbüßen.

      Aus der Begrüßung der Baronin konnte sie sehr leicht erkennen, aus welcher Rangstufe die Eingetretenen standen. Mittels einer einzigen Wendung des federgeschmückten Hauptes schwebte die Dame sofort über dem Fahrwasser freundschaftlichen Verkehrs, wenn bürgerliches Element in ihre Nähe kam, und dieses bürgerliche Element that auch alles, jenen hohen, unnahbaren Standpunkt streng zu respektieren und anzuerkennen. Zuerst strömten gewöhnlich alle Ankommenden auf den Wink der Baronin nach dem Fenster, wo Herr von Walde stehen sollte – von ihm selbst sah Elisabeth keine Spur, denn der Ring, den die Glückwünschenden bildeten, war stets undurchdringlich – dann verteilten sie sich in einzelne Gruppen, die entweder ruhig der Dinge harrten, die da kommen sollten, oder eine Unterhaltung auf eigene Faust anknüpften.

      In diesem Augenblicke rauschte abermals die Thür auf, und eine alte korpulente Dame hinkte am Arme eines ebenso bejahrten, vielfach dekorierten Herrn, und von Fräulein von Quittelsdorf begleitet, in den Saal. Die Baronin eilte den Eintretenden entgegen, auch Fräulein von Walde erhob sich mühsam und trat, von Hollfeld geführt, auf das alte Paar zu, während die um sie versammelten Damen ihr folgten, wie ein Kometenschweif. Der Menschenknäuel am Fenster löste sich ebenfalls wie durch einen Zauberschlag, und Herrn von Waldes hohe Gestalt wurde sichtbar.

      »Man muß zu Ihnen kommen, wenn man Sie sehen will, Sie Unartiger!« rief die alte Dame, indem sie, mit dem Finger drohend, auf ihn zuwackelte. »Hat denn das schöne Spanien jede Erinnerung an Ihre alten Freunde verwischt? … Sie sehen, trotz meiner kranken Füße, und obgleich ich mich von Ihnen schmerzlich vernachlässigt fühle, komme ich heute doch, um unter denen nicht zu fehlen, die Ihnen ihre Glückwünsche aussprechen.«

      Er verbeugte sich und sagte ihr einige Worte, worauf sie ihm lachend einen leichten Schlag auf die Schulter versetzte; dann führte er sie zu einem Fauteuil, auf welchem sie sich mit großer Grandezza niederließ.

      »Die Frau Baronin von Falkenberg, Oberhofmeisterin am Hofe zu L.,« antwortete die Doktorin auf Elisabeths Frage, wer die alte Dame sei. Fräulein von Quittelsdorf sah heute wunderschön aus in ihrem weißen Kreppkleide und einen brennend roten Malvenkranz auf ihr dunkles Haar gedrückt, als sie sich in ehrerbietigster Weise um ihre Vorgesetzte bemühte, wobei sie jedoch nicht unterließ, dann und wann einen schalkhaften Blick auf Fräulein von Walde zu werfen.

      Das Erscheinen der Gäste vom Hofe war das Signal zum Beginn des Konzerts. Elisabeth hörte fast ihr Herz klopfen. Noch stand sie hinter der Doktorin; noch konnte sie ihr Gesicht verbergen vor all den Augen, die im nächsten Momente auf ihr haften, jeder ihrer Bewegungen folgen würden. Eine unsägliche Scheu überkam sie plötzlich, und sie bereute bitter, daß sie darauf eingegangen war, zuerst allein zu spielen … Sie bebte, als Fräulein von Walde ihr winkte, zu beginnen; aber nun half kein Sträuben mehr … Sie schöpfte tief Atem, nahm das Notenheft und schritt langsam, mit gesenkten Augen zum Klavier, wo sie sich schüchtern verbeugte.

      Zuerst entstand atemlose Stille, dann lief ein Geflüster von Mund zu Mund, das aber sofort erlosch, als das junge Mädchen die Tasten berührte. Auch Elisabeths Angst und Beklemmung entwichen bei dem ersten Akkorde. Sie war ja nicht mehr allein, er war ja bei ihr, an dessen Hand sie unzähligemal über sonnige Halden, an dunklen Abgründen vorüber, durch Sturm und Wetter geschritten war, der süße Ahnungen in ihr geweckt und alle heiligen und erhabenen Empfindungen ihres Herzens in unendlichem Wohlklange zusammen faßte … er, der ihr so lieb und vertraut war, wie das Gesicht der Mutter, wenn sie auch scheu den Blick senken mußte vor der feurigen Glorie, die sein gewaltiges Haupt umzuckte … Die geschmückten Damenköpfe, die sich drüben an den Wänden hinreihten, die Lorgnetten und Brillengläser, welche in der Sonne funkelnd, beharrlich ihre Blitze auf die einsame Spielerin mitten im Saal schleuderten, alles verschwand, sie war allein mit dem großen Beherrscher der Töne und folgte entzückt jeder Wendung seines schöpferischen Geistes.

      Ein wahrer Beifallssturm schreckte sie auf, als sie geendet hatte. Sie verbeugte sich und floh dann förmlich zu ihrer Beschützerin, der Frau Fels, die ihr, sprachlos vor innerer Bewegung, beide Hände entgegenstreckte.

      Das Konzert dauerte nicht lange. Vier junge Herren aus L. sangen ein hübsches Quartett,