Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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ich ihr nachspringen sollen?«

      »Allerdings, wenn Sie wahrhaftig waren.«

      Elisabeth wußte jetzt, weshalb er den einsamen Waldweg mit ihr betreten hatte, sie sollte beichten, wie sie über Hollfeld denke; es war richtig, wie sie damals vermutet hatte, Herr von Walde war offenbar in großer Besorgnis, daß sie jene Huldigung seines Vetters zu hoch anschlagen und sich wohl gar einbilden könne, er habe ihren bürgerlichen Standpunkt vergessen. Jetzt war der Moment gekommen, wo sie ihre Ansicht aussprechen durfte. Mit einer raschen Bewegung befreite sie ihre Hand von der seinigen und trat einen Schritt seitwärts.

      »Ich muß Ihnen zugeben,« sagte sie, »daß mein Aeußeres, wenn es in jenem Augenblicke gleichgültig war, durchaus nicht im Einklange mit meinem Innern gewesen ist.«

      »Sehen Sie!« rief er, aber es lag nichts weniger als ein Triumph in diesem Ausrufe.

      »Ich war vielmehr entrüstet.«

      »Ueber mich?«

      »Zunächst über den unpassenden Scherz des Herrn von Hollfeld.«

      »Er hat Sie erschreckt – freilich –«

      »Nein, beleidigt. Wie konnte er es wagen, sich mir in der Weise aufzudrängen! … Ich verabscheue ihn!«

      Sie hatte recht gehabt in ihrer Voraussetzung, aber daß er einen solchen außerordentlichen Wert auf ihren Ausspruch legen würde, hatte sie nicht geahnt. Es schien ihm eine Zentnerlast vom Herzen zu fallen … Brach es nicht wie heller Jubel aus den Augen, die eben noch in einem Gemische von Mißtrauen, Hohn und Bitterkeit auf sie gerichtet gewesen waren? Er schöpfte tief Atem und breitete plötzlich die Arme aus … Elisabeth sah sich um nach dem unbekannten Etwas, das seine leuchtenden Blicke in der Luft suchten, um es ohne Zweifel an sein Herz zu ziehen. Sie entdeckte nichts, wohl aber fühlte sie ein heftiges Zittern seiner Hand, als er die ihrige nahm und sie wieder auf seinen Arm legte. Sie gingen einige Schritt weiter, er sprach kein Wort.

      Plötzlich blieb er wieder stehen.

      »Wir sind in diesem Augenblicke ganz allein,« sagte er mit unbeschreiblich milder Stimme. »Sehen Sie, nur ein Stückchen blaues Himmelsauge sieht auf uns herab, keines jener Gesellschaftgesichter drängt sich zwischen uns … ich kann und will Ihren Glückwunsch nicht entbehren … Sagen Sie ihn jetzt, wo ihn niemand hört, als ich, ich ganz allein!«

      Sie schwieg verlegen.

      »Nun, wissen Sie nicht, wie man das macht?« drängte er.

      »O ja,« entgegnete sie, und ein schelmisches Lächeln flog um ihren Mund, »ich habe Uebung darin; die Eltern, der Onkel, Ernst –«

      »Jedes hat seinen Geburtstag,« fiel er lächelnd ein, »aber Sie können es mir nicht verdenken, wenn ich meinen Glückwunsch für mich ganz allein haben will, daß ich verlange, er soll ganz anders klingen, als alle, die Sie bisher ausgesprochen haben, denn ich bin weder Ihr Vater, noch der barsche Försteronkel, am allerwenigsten beanspruche ich die Rechte des Bruders, mit dem Sie spielen … Nun sprechen Sie!«

      Sie schwieg abermals. Was sollte sie sagen? … Sie hatte schon längst die Augen gesenkt, denn sie konnte den Blick nicht ertragen, der so peinlich forschend, mit einem eigentümlichen Ausdrucke von ängstlicher Unruhe und Erwartung tief in ihre Seele drang.

      »Kommen Sie!« rief er rauh, nachdem er einen Augenblick auf einen Laut von ihren Lippen gewartet hatte, und zog sie fort. »Es war ein thörichtes Verlangen von mir … Ich weiß ja, Ihr Mund, der allezeit bereit ist, andren Freundliches und Liebes zu sagen, schweigt entweder für mich, oder ergeht sich in strenger Zurechtweisung.«

      Sie erblaßte bei diesen Worten und blieb unwillkürlich stehen.

      »Sie wollen?« frug er milder. »Geht es durchaus nicht?« fuhr er kopfschüttelnd fort, als sie noch immer nicht sprach, ihn aber bittend ansah. »Nun, dann will ich Ihnen einen Vorschlag machen … Ich werde Ihnen den Glückwunsch sagen, wie ich ihn ungefähr von Ihren Lippen zu hören gewünscht hätte, aber ich mache die Bedingung, daß Sie ihn Wort für Wort nachsprechen.«

      Jetzt erschien wieder ein Lächeln auf Elisabeths Gesicht, und sie nickte zustimmend.

      »Zuerst reicht man dem – dem Freunde die Hand,« begann er und nahm ihre Hand in die seine – sie bebte, zog aber die Hand nicht zurück – »und spricht: ›Sie sind bisher ein armer, unbeglückter Wanderer gewesen; es war hohe Zeit, daß die Wolken sich teilten, und daß endlich der holde Lichtstrahl erschien, der Ihr ganzes Dasein umgewandelt hat. Es ist mein eigener, unumstößlicher Wunsch und Wille, daß er Sie nie wieder verlasse, hier ist meine Hand als Bürge eines unaussprechlichen Glückes –‹«

      Bis dahin hatte sie den höchst seltsam lautenden Glückwunsch pünktlich nachgesprochen, bei dem letzten Satze trat sie erstaunt zurück und zögere. Er aber faßte heftig auch ihre andere Hand und drängte. »Weiter, weiter!«

      »Hier ist meine …« begann sie endlich.

      »Das ist hübsch, Herr von Walde,« rief plötzlich Cornelies Stimme durch das Gebüsch, »daß wir uns hier treffen! So habe ich doch den Triumph, an Ihrer Seite mit Musik empfangen zu werden!«

      Nie in ihrem ganzen Leben hatte Elisabeth eine so entsetzliche Veränderung in einem menschlichen Antlitz bemerkt, wie die, welche in Herrn von Waldes Zügen vor sich ging. Auf der bleichen Stirn zeigte sich sofort eine starke blaue Ader, seine Augen sprühten, und die Nasenflügel dehnten sich aus. Er stampfte heftig mit dem Fuße, und es sah aus, als habe er die größte Lust, die unwillkommene Störerin, die jetzt, ihr Kreppkleid hoch aufnehmend, sich durch die Büsche arbeitete, wieder dahin zurückzuschleudern, wo sie hergekommen war. Diesmal gelang es ihm nicht so rasch, Herr seiner inneren Bewegung zu werden, vielleicht wollte er auch gar nicht, denn seine Augenbrauen falteten sich noch grimmiger, als Hollfeld hinter der Hofdame auftauchte. Bei dessen Erblicken schob Herr von Walde Elisabeths Arm heftig in den seinigen und preßte ihn fest an sich, als solle sie ihm entrissen werden.

      »Wie sehen Sie denn aus, Herr von Walde?« rief Fräulein von Quittelsdorf, mitten in den Weg springend. »Sie machen uns wahrhaftig ein Gesicht; als wären wir Banditen, die es auf Ihr kostbares Hab und Gut abgesehen hätten!«

      Ohne ein Wort auf diese Ansprache zu erwidern, wandte er sich an seinen Vetter und fragte kurz: »Wo ist Helene?«

      »Sie bekam plötzlich Angst vor dem weiten, unebenen Wege,« entgegnete dieser, »und hat es vorgezogen, zu fahren.«

      »Nun, ich denke, du wirst es dem alten Grafen Wildenau nicht überlassen, Helene aus dem Wagen zu helfen; ich begreife überhaupt nicht, wie du, als vielgetreuer Ritter, den Hauptweg verlassen konntest … Einige rasche Schritte werden die Versäumnis ausgleichen, ich will dir nicht hinderlich sein,« sagte Herr von Walde mit auffallend scharfer Stimme, während ein sarkastisches Lächeln um seine Lippen zuckte. Er trat mit Elisabeth seitwärts, um das Paar vorüberzulassen.

      »Und warum sind Sie nicht auf dem Hauptwege geblieben, wenn man fragen darf?« frug Fräulein von Quittelsdorf pikiert und schnippisch; sie war in diesem Augenblicke bei weitem mehr Kammerkätzchen als Hofdame.

      »Das können Sie erfahren; einfach, weil ich hoffte, auf diesem einfachen Wege der redseligen Zunge gewisser Damen zu entgehen,« erwiderte Herr von Walde trocken.

      »Hu, wie grob! … Gott behüte einen in Gnaden vor solch einem sauertöpfischen Geburtstagskinde!« rief die Hofdame sich schüttelnd und im komischen Entsetzen einen Schritt zurückprallend. »Es war sicher ein Mißgriff, daß wir heute nicht mit Leichenbittermienen, Zitronen in den Händen und bis über die Nase in schwarzen Krepp gewickelt, erschienen sind.«

      Sie hing sich schmollend wieder an Hollfelds Arm und schob ihn vorwärts; allein es hatte den Anschein, als wolle dieser unerhörterweise und vielleicht zum erstenmale in seinem Leben seinem Vetter trotzen. Langsam, wie ein Lebensmüder, schritt er weiter. Er sah angelegentlich rechts und links in die Büsche, als beschäftige ihn jeder Stein, jede vorbeihuschende Eidechse; dabei knüpfte er ein Gespräch mit seiner Begleiterin an; ihre Antworten waren scheinbar von großem Interesse für ihn, denn