erfüllt lieber eine sogenannte heilige Pflicht. Er ist ein Eisblock, für den die Reize des schönen Geschlechts vergebens in der Welt sind … Daß er heute ausnahmsweise ritterlich gegen Sie war, das galt durchaus nicht Ihren bezaubernden Augen, schöne Goldelse, es geschah lediglich, um meine Mama ein wenig zu ärgern.«
»Und scheuen Sie sich nicht, den Mann, dessen Gastfreundschaft Sie unausgesetzt genießen, einer so gemeinen Denkungsweise zu beschuldigen?« rief Elisabeth empört. Sie hatte sich zwar vorgenommen, ihm mit keiner Silbe mehr zu antworten, in der Hoffnung, daß sie ihn mit diesem Schweigen langweilen und endlich verscheuchen würde, allein die Art und Weise, wie er sich über Herrn von Walde äußerte, brachte ihr ganzes Innere in den heftigsten Aufruhr.
»Gemein?« wiederholte er. »Sie reden in sehr starken Ausdrücken. Ich nenne es eine kleine Revanche, zu der er vollkommen berechtigt war … Und was die Gastfreundschaft betrifft, so genieße ich jetzt schon einfach von dem, was später doch einmal mein Eigentum sein wird; ich sehe nicht ein, wie ich um deswillen das Urteil über meinen Vetter ändern soll … Uebrigens bin ich derjenige, welcher sich aufopfert und Dank verdient; rechnen Sie meine Hingebung und Aufmerksamkeit für Fräulein von Walde gar nicht?«
»Es mag in der That eine schwere Aufgabe sein, hie und da einige Blumen zu pflücken, um sie einer armen Kranken zu bringen,« sagte Elisabeth ironisch.
»O, Sie sind über diese kleinen Huldigungen mißvergnügt, wie ich zu meiner großen Befriedigung bemerke,« rief er triumphierend. »Haben Sie im Ernste geglaubt, ich könne da zärtlich fühlen, wo mein Schönheitssinn so stark beleidigt wird? … Ich schätze mein Mühmchen, aber deswegen vergesse ich doch keinen Augenblick, daß sie ein Jahr älter ist als ich, einen Höcker und eine schiefe Hüfte hat und –«
»Abscheulich!« unterbrach ihn Elisabeth, außer sich vor Entrüstung, und sprang hinüber auf die Chaussee. Er folgte ihr.
»›Abscheulich‹ sage auch ich,« fuhr er fort, indem er gleichen Schritt mit ihr zu halten suchte, »besonders wenn ich Ihre Hebegestalt neben ihr sehe … Und nun laufen Sie nicht so, schließen Sie lieber Frieden mit mir und verzögern Sie nicht mutwillig das Glück, von dem ich Tag und Nacht träume.«
Er legte plötzlich den Arm um ihre Taille und zwang sie stehen zu bleiben, sein glühendes Gesicht mit den funkelnden Augen näherte sich dem ihrigen. Im ersten Augenblicke starrte sie ihn an, wie gelähmt oder bewußtlos, dann flog ein Schauder durch ihre Glieder, und mit einer Gebärde des tiefsten Abscheues stieß sie ihn von sich.
»Wagen Sie es nicht noch einmal, mich zu berühren!« rief sie mit weithin klingender Stimme. In diesem Augenblicke erscholl lautes Hundegebell in der Nähe. Elisabeth wandte freudig erschrocken den Kopf nach der Richtung.
»Hektor, hierher!« rief sie den Wald hinein. Gleich daraus stürzte der Jagdhund des Oberförsters aus dem Dickicht und sprang mit einem Freudengeheul an ihr in die Höhe.
»Mein Onkel ist in der Nähe,« wandte sie sich jetzt ruhig und kalt an den verdutzt Dastehenden, »er kann jeden Augenblick hier sein … Sie werden sicher nicht wünschen, daß ich ihn bitte, mich von Ihrer Begleitung zu befreien; ich rate Ihnen deshalb, freiwillig den Rückweg anzutreten.«
Wirklich blieb er feige stehen, während sie sich mit dem Hunde entfernte, aber er stampfte wütend mit dem Fuße auf und verwünschte seine rasende Leidenschaft, die ihn unvorsichtig gemacht hatte. Daß er dem jungen Mädchen in Wirklichkeit einen Widerwillen einflößen könne, das fiel ihm nicht im entferntesten ein, ihm, dem Vielbegehrten, von dem ein karges Wort, eine Aufforderung zum Tanze in der gesamten L.schen Damenwelt Sensation machte und oft zur Fackel der Zwietracht wurde. Ihm konnte ein solcher Gedanke gar nicht kommen. Es lag viel näher, daß die Forstschreiberstochter eine Kokette war, die ihm die Eroberung so schwer wie möglich zu machen suchte. An die jungfräuliche Reinheit der Seele, die Elisabeths ganze Erscheinung so unwiderstehlich machte, und deren Zauber gerade auf ihn, wenn auch von ihm unverstanden, hinreißend wirkte – an jenes keusche, unentweihte innere Leben glaubte er nicht, und deshalb konnte er auch nie zu dem Schlusse gelangen, daß das junge Mädchen instinktmäßig vor seiner inneren Zerrüttung und Verdorbenheit zurückbebe. Er machte sich heftige Vorwürfe, zu plump und stürmisch gewesen zu sein, wodurch er das heißbegehrte Ziel selbst wieder in unbestimmte Ferne gerückt hatte. Ueber eine Stunde lief er im Walde umher, um Herr seiner Aufregung zu werden, denn die dort drüben auf dem Festplatze, von welchem die heiteren Klänge der Tanzmusik zu ihm herüberschallten, durften ja nie erfahren, daß hinter der interessant kalten, verschlossenen Außenseite ein solcher Vulkan tobte.
Elisabeth war scheinbar festen Fußes schnell weiter geschritten. Sie hütete sich jedoch, rechts oder links zu sehen, in der Furcht, sein verhaßtes Gesicht könne plötzlich wieder neben ihr auftauchen. Endlich wagte sie es, stehen zu bleiben und sich umzusehen – er war verschwunden. Aufatmend lehnte sie sich an einen Baumstamm, um vorerst ihre Gedanken zu sammeln, während Hektor ruhig und mit klugem Blicke vor ihr stehen blieb, als wisse er genau, daß er heute die Rolle ihres Beschützers spiele. Er hatte ohne Zweifel einen Spaziergang auf eigene Faust durch den Wald gemacht, denn von seinem Herrn war keine Spur zu sehen. Elisabeth fühlte jetzt erst, wie ihre Kniee zitterten. Ihr Schrecken, als Hollfeld gewagt hatte, sie zu umschlingen, war ein unbeschreiblicher gewesen. In ihrer unschuldigen Seele war nicht einmal der Gedanke an eine solche Roheit aufgetaucht; deshalb hatte der plötzliche Angriff sie momentan starr gemacht vor Entsetzen. Sie vergoß schmerzliche Thränen der Scham, als Herrn von Waldes Bild vor ihr aufstieg, nicht mit dem milden Ausdrucke der letzten Stunden, sondern in seiner ganzen Strenge und Unnahbarkeit; sie glaubte, nicht zu ihm aufblicken zu dürfen, weil jener Mensch sie berührt hatte. Ihre ganze Glückseligkeit lag zertrümmert zu ihren Füßen. Die unselige Begegnung mit Hollfeld hatte sie schonungslos in die Gegenwart zurückgeführt; seine Aeußerungen über Herrn von Walde, wenn auch niederträchtig und verleumderisch, hatten doch vieles wieder wachgerüttelt, was sie sich einst als Steuer gegen ihre wachsende Neigung eingeprägt … Sie dachte an seinen unerschütterlichen Ahnenstolz, an die sich selbst vergessende Liebe zu seiner Schwester und an die Meinung aller, daß er ein völlig kaltes Herz habe gegenüber dem anderen Geschlechte … All die bunten, schimmernden Träume, die sie umflattert hatten auf dem Wege durch den stillen Wald, sie legten jetzt die Flügel zusammen und starben einer nach dem andern unter dem prüfenden Blicke des erwachten Auges … Sie war sich ja jetzt nicht einmal klar, worin jene Glückseligkeit bestanden. Daß er heute eine wunderbar weiche Stimmung ihr gegenüber gezeigt und sie gegen den Hochmut seiner Verwandten hochherzig in Schutz genommen hatte, konnte dies nicht alles aus dem Gefühle einer strengen Gerechtigkeitsliebe stammen? Hatte er nicht auch Miß Mertens geschützt und großmütig das Unrecht auszugleichen gesucht, das ihr unter seinem Dache widerfahren war? Und der Glückwunsch … an den Glückwunsch und an sein noch ungelöstes Ende durfte sie freilich nicht denken, wenn nicht alle Traumleichen ein fröhliches Auferstehen feiern sollten.
Als sie in die Thür des Forsthauses trat, kam ihr Sabine mit angstbleichem Gesichte entgegen. Sie deutete stumm auf die Wohnstube. Der Onkel sprach drinnen laut und heftig, und man hörte deutlich, wie er dabei mit starken Schritten auf und ab ging.
»Ach, ach,« flüsterte Sabine, »da drinnen geht’s schlimm her! … Die Bertha ist dem Herrn Oberförster in den letzten Wochen immer geschickt aus dem Wege gegangen; vorhin aber hat sie hier in der Hausflur gestanden und hat nicht gemerkt, daß er durch die Hofthür hereingekommen ist; das war ihm gerade recht. Er hat nicht lange Federlesens gemacht, hat sie von hinterrücks bei der Hand genommen und in die Stube gezogen. Sie sah aus wie eine geweißte Wand vor Schrecken, aber all ihr Sperren und Zerren hat nichts genutzt, sie hat mit gemußt … Herr meines Lebend, bei dem Herrn Oberförster möchte ich auch nicht zur Beichte gehen …«
Ein lautes Aufschluchzen, das fast wie ein erstickter Schrei klang, unterbrach Sabines Geflüster.
»So recht!« hörten sie jetzt den Oberförster mit bedeutend milderer Stimme sagen, »das ist doch ein Zeichen, daß du nicht gänzlich verhärtet und verdorben bist … Und nun sprich auch. Denke, daß ich hier an Stelle deiner braven Eltern stehe … Hast du einen Kummer, so schütte ihn aus; ist er ohne dein Verschulden über dich gekommen, so kannst du sicher sein, daß ich ihn redlich mit dir tragen werde.«
Es