Eugenie Marlitt

Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte


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seinen Vetter schleuderte, ließ sie erraten, daß er aufs äußerste ergrimmt sei über dessen Gebaren. Mit ihr sprach er nicht mehr. Er wandte einmal langsam den Kopf nach ihr, und sie fühlte, daß seine Blicke unverwandt auf ihr ruhten, allein es war ihr unmöglich, die Augen zu ihm aufzuschlagen. Hätte er nicht auf der Stelle sehen müssen, daß ihr ganzes Innere in Aufruhr war über jenen rätselhaften Glückwunsch, den er ihr mit tiefbewegter Stimme souffliert hatte? … Er würde mittels eines einzigen Blickes erraten haben, was in ihr wogte und stürmte, und – sie mochte diesen Gedanken gar nicht ausdenken – infolge dieser Wahrnehmung seinen vielleicht sehr harmlos gemeinten Einfall bereuen. Es war eine natürliche Folge dieser Befürchtung, daß die Lider des jungen Mädchens sich noch tiefer senkten, als zuvor, und deshalb konnte sie auch nicht bemerken, wie ein leiser, unhörbarer Seufzer über die Lippen ihres Begleiters glitt, während der Groll aus seinen Zügen verschwand, um dem gewissen melancholischen Schatten über und zwischen den Augen Platz zu machen.

      Ein schwacher, schnell hinsterbender Trompetenton, den ohne Zweifel die Ungeduld der auf der Galerie des Turmes wartenden Musikanten hinausgeschickt hatte, verriet die Nähe des Festplatzes. Bald summte und lärmte es, als ob ein großes Zigeunerlager in der Nähe sei; der Weg wurde breiter, hinter dem nächsten Buschwerke wogte ein buntes Gedränge, und plötzlich schmetterte eine wahre Salve von Posaunen-und Trompetentönen auf die Ankommenden herab. Elisabeth benutzte diesen Moment, ihren Arm leise aus dem Waldes zu ziehen und sich unter die Gesellschaft zu mischen, die einen dichten Kreis um den Schloßherrn bildete, während eine junge Dame als Dryade kostümiert und von vier anderen dekorierten Waldnymphen umgeben, ihn in holperigen Hexametern im Waldreviere begrüßte.

      »Nun, der Walde hat wenigstens im geeigneten Momente seine aufgedrungene Dulcinea abzuschütteln gewußt, ich sehe die Kleine nicht mehr,« flüsterte lächelnd die Oberhofmeisterin dem Grafen Wildenau zu, der neben ihr auf einem erhöhten Sitze unter den Eichen saß. »Der vergibt es der Lessen und unserer vorwitzigen Hofdame nie und nimmer, daß er durch ihr einfältiges Arrangement gezwungen worden ist, dem kleinen Dinge gegenüber einen Augenblick die Rolle des Ritters spielen zu müssen … Kindchen,« wandte sie sich an Helene, die, zu ihrer Rechten sitzend, ihr getrübtes Auge suchend über den Menschenschwarm gleiten ließ, »wir müssen ihn nachher, wenn die dort drüben ihn freilassen, in unsere Mitte nehmen und alles aufbieten, damit er den unerquicklichen Anfang des Festes vergißt.«

      Helene nickte mechanisch mit dem Kopfe. Sie hatte offenbar nur die Hälfte von dem verstanden, was die alte Dame ihr zugeflüstert. Ihre kleine, verkrüppelte Gestalt, die ein schwerer, zartblauer Seidenstoff umhüllte, drückte sich hilflos und matt an die hohe Stuhllehne, und ihre Wangen waren weißer, als der Seerosenkranz, der über ihrer Stirn lag.

      Elisabeth hatte sich unterdes im Gedränge wieder mit Doktor Fels und dessen Frau zusammengefunden. Letztere nahm das junge Mädchen sogleich bei der Hand, damit sie nicht wieder getrennt würden.

      »Bleiben Sie noch so lange, bis man anfängt zu tanzen,« meinte sie auf Elisabeths Aeußerung hin, daß vielleicht jetzt der passende Augenblick gekommen sei, wo sie sich unbemerkt entfernen und nach Hause gehen könne. »Ich verdenke es Ihnen gar nicht, wenn Sie die Gesellschaft so bald wie möglich zu verlassen wünschen,« fügte sie lächelnd hinzu; »auch wir werden nicht lange bleiben, mir läßt die Sorge um meine Kleinen daheim keine Ruhe, und daß ich überhaupt hier bin, ist ein schweres Opfer, welches ich der Stellung meines Mannes bringe … Herr von Walde, dem Sie nun einmal heute durch das Los angehören, tanzt nicht, er wird Sie gewiß freigeben, wenn der Tanz beginnt, denke ich.«

      Der Menschenknäuel entwirrte sich plötzlich. Von der Zinne des Turmes rauschte ein imposanter Marsch hernieder, und während die Herren schattige Plätze suchten, eilten die Damen nach den Büffetts, um, den Statuten des Festes gemäß, das beste für die Herren der Schöpfung herbeizutragen.

      Herr von Walde schritt langsam über den Platz, er hatte die Hände auf den Rücken gelegt und sprach mit dem Kreisgerichtsdirektor Busch, der an seiner Seite ging.

      »Mein bester Herr von Walde, nun kommen Sie zu uns!« rief die Oberhofmeisterin zu ihm hinüber und streckte ihm in beinahe zärtlicher Weise die Hände entgegen. »Ich habe Ihnen ein reizendes Plätzchen reserviert … Ruhen Sie hier aus auf den wohlverdienten Lorbeeren, die man Ihnen heute streut … Zwar sind sämtliche junge Damen durch das Los gefesselt, aber hier unsere schönen, liebenswürdigen Waldnymphen sind bereit, Ihnen den Wein zu kredenzen und von den Buffetts herbeizutragen, was Ihr Herz begehrt.«

      »Ihre Güte und Fürsorge rührt mich, Exzellenz,« entgegnete der Angeredete, »aber ich will nicht hoffen, daß Fräulein Ferber mich dem allgemeinen Mitleide überlassen wird.«

      Er sprach mit lauter Stimme und wandte sich um nach Elisabeth, die nicht sehr entfernt von ihm stand. Sie hatte jedes Wort gehört. Sofort schritt sie hinüber und stellte sich so ruhig und fest an seine Seite, als sei sie durchaus nicht gewillt, auch nur ein Haar breit von ihrer Verpflichtung an andere abzutreten. Es flog in diesem Augenblicke etwas, wie ein freudiges Erschrecken über sein Gesicht. Sein Auge begegnete aufleuchtend dem ihren, das, unbeirrt durch die Umgebung, lächelnd zu ihm aufsah. Er schien unerhörterweise ganz und gar zu vergessen, daß die Frau Oberhofmeisterin ein »reizendes Plätzchen« für ihn reserviert hatte, denn nach einer leichten Verbeugung gegen die Exzellenz und die sie umringenden, willfährigen jungen Damen reichte er Elisabeth den Arm und führte sie über den Platz nach einer dickstämmigen Eiche, unter deren Schatten Doktor Fels soeben für sich und seine Frau einen Sitz zurechtmachte.

      »Nein, diese Rache geht denn doch ein wenig zu weit!« wandte sich die Oberhofmeisterin entrüstet an den Grafen Wildenau und die sehr verblüfft dastehenden fünf Waldgrazien. »Er sucht das ganze Fest zu persiflieren, indem er die Anwesenheit der kleinen Person in so auffallender Weise markiert … Jetzt fange ich an, mich über ihn zu ärgern … Niemand sieht es ja besser ein, als ich, daß er vollkommen recht hat, wenn er zürnt; aber ich meine auch, er dürfte sich nicht so weit hinreißen lassen, die Rücksicht für die übrigen Anwesenden zu vergessen, die ja völlig schuldlos sind an dem geistlosen Machwerke der Lessen und der Quittelsdorf … Ich wette, schließlich bildet sich das Gänschen dort auch noch ein, das geschehe alles nur um ihrer schönen Augen willen.«

      Alle zehn Augen der schönen, liebenswürdigen Dryaden schleuderten a tempo einen vernichtenden Blick auf Elisabeth, die in diesem Augenblicke unbefangen nach dem Marketenderzelte ging und bald darauf mit einer Flasche Champagner und vier Gläsern nach der Eiche zurückkehrte, wo sich Herr von Walde und das doktorliche Ehepaar bereits einträchtig hinter einem Tische niedergelassen hatten.

      »Unsere sämtlichen Damen haben heute wahre Blumengärten auf dem Scheitel,« sagte Frau Fels, als das junge Mädchen an den Tisch trat, »nur Fräulein Ferber geht schmucklos wie Aschenbrödel; das leide ich nicht.«

      Sie zog aus dem großen Boukett, das sie in der Hand hielt, zwei Rosen und stand auf, um Elisabeth mit denselben zu schmücken.

      »Halt!« rief Herr von Walde und hielt ihre Hand zurück. »In diesem Haare mag ich nur die Orangenblüte sehen.«

      »Die ziemt eigentlich nur den Bräuten,« meinte die Doktorin unbefangen

      »Ja, eben deshalb,« entgegnete er, und so ruhig, als habe er etwas gesagt, das sich ganz von selbst verstehe, füllte er die Gläser und wandte sich an Fels.

      »Stoßen Sie mit mir an, Doktor,« sagte er. »Ich trinke auf das Wohl meiner Retterin, der Goldelse auf Gnadeck!«

      Der Doktor schmunzelte und stieß kräftig an. Auf dies Signal näherte sich eine Schar Herren, mit den Gläsern in der Hand.

      »Schön, meine Herren, daß Sie kommen!« rief ihnen der Schloßherr entgegen, »trinken Sie mit mir auf die Erfüllung meines höchsten Wunsches!«

      Ein Hoch schallte durch die Lüfte, und die Gläser klangen lustig aneinander.

      »Skandalös!« rief die alte Exzellenz und ließ die Gabel mit einem saftigen Stücke marinierten Aales auf den Teller fallen. »Dort drüben geht es ja wahrhaftig zu, wie in einer Studentenkneipe … Ich bin ganz konsterniert! Welch unanständiger Lärm! Da schreit ja wirklich der Pöbel auf den Straßen manierlicher,