sie nicht unter die schwere, dunkle Erde legen – hier spielen goldene Lichter um sie her, und draußen auf dem Baume läßt sich der Vogel nieder; auf seinen Flügeln ruht noch der Waldodem, und aus seiner Kehle strömen die Lieder, die ihre Wiegenlieder waren … Es sanken auch goldene Lichter in das Walddickicht herab, und die Vögel sangen droben auf den Zweigen, als das schlanke Reh das Gebüsch teilte und erschreckt die scheuen Augen auf den jungen Jäger richtete, der unter dem Busche ruhte. Da fuhr es jäh und heiß durch sein Herz, er warf das Gewehr weit von sich und folgte rastlos der Mädchengestalt, die vor ihm floh. Sie, das Kind des Waldes, eine Tochter jener Horden, die ein Fluch über die Erde treibt, die nirgends heimischen Boden unter den irrenden Füßen, nicht eine Scholle vaterländischer Erde haben, auf die sie das sterbende Haupt legen können, sie hatte das Herz des wilden Junkers bezwungen … Um ihre Liebe bettelnd, streifte er Tag und Nacht um das Lager ihres Stammes, folgte ihren Schritten wie ein Hund und umschloß rasend vor Leidenschaft ihre Kniee, bis sie gerührt einwilligte, die Ihrigen zu verlassen und ihm heimlich zu folgen … Er trug sie in der Stille der Nacht hinauf auf sein Schloß – wehe – und wurde ihr Mörder! … Er achtete nicht ihr Flehen, als sie plötzlich die unbezwingliche Sehnsucht nach der Waldfreiheit erfaßte; wie der gefangene Vogel umherflattert und angstvoll sein zartes Köpfchen gegen die Stäbe des Käfigs stößt, so irrte sie verzweiflungsvoll zwischen den Mauern, die einst ihre berauschende Stimme, ihr wunderbares Saitenspiel gehört hatten und nun von ihren schmerzlichen Klagen und Seufzern widerhallten. Er sah ihre Wangen bleich werden, sah, wie ihr Auge im Haß sich von ihm abwandte; sein Herz erlitt tausendfach den Tod, wenn sie ihn von sich stieß und vor seiner Berührung schauderte; er geriet in Verzweiflung, aber er schob doppelte Riegel vor und bewachte in Todesangst die festverschlossenen Thüren; denn er wußte, sie war für ihn verloren, wenn einmal ihr flüchtiger Fuß den Waldboden wieder berührte … Da kam endlich eine Zeit, da wurde sie ruhiger; zwar glitt sie an ihm vorüber, als sei er ein Schatten, ein Nichts, sie hob keine Wimper, wenn er in ihre Nähe trat und bittend und schmeichelnd sie anredete; seit lange hatte sie kein Wort zu ihm gesprochen und auch jetzt kam kein Laut über ihre Lippen, aber sie rüttelte nicht mehr wild an den Fenstern, die zarte Brust wund schlagend und in gellenden Tönen nach denen rufend, die draußen in goldener Freiheit durch den Wald zogen, sie jagte nicht mehr wie gehetzt durch Zimmer und Säle oder hinauf auf die Mauer, um den schönen Leib im trüben Grabenwasser zu betten. Unter der Eiche, neben dem Erker, saß sie geduldig mit dem lilienweißen Gesichte und sah still vor sich hin; sie wußte, daß sie Mutter werden sollte. Und wenn die Nacht hereinbrach, nahm er sie auf seine Arme und trug sie hinauf; sie litt es, aber sie wandte das Gesicht von ihm, daß sein Atem sie nicht berühre, und kein Strahl seines heißen Auges auf sie falle.
»Da klopfte eines Tages der Pfarrer von Lindhof an das Schloßthor. Das Volk fabelte, sein Beichtkind, der Jost, halte Verkehr mit dem Teufel, und da kam er, um die arme Seele zu retten. Er fand Einlaß und sah das Wesen, um dessen willen der lustige Jäger das lustige Leben im Walde und den Himmel vergessen hatte. Ihre Schönheit und Reinheit rührten ihn; er sprach zu ihr mit mildem Stimme, und ihr in Schmerz erstarrtes Herz öffnete sich seinem Zuspruche. Um ihres Kindes willen ließ sie sich taufen und ließ es geschehen, daß jenes unselige Bündnis durch Priesterwort geheiligt wurde … Als ihre schwere Stunde vorüber war, da legte sie mühsam ihre Lippen auf die Stirn des Kindes und mit diesem Kusse entfloh ihre Seele; sie war frei, frei! noch auf der entseelten Hülle strahlt der Abglanz dieses Triumphes! … Der Unselige sah ihre Wunderaugen brechen; er wand sich in den Schmerzen der Reue und Verzweiflung zu ihren Füßen und flehte vergebens um einen einzigen, letzten Liebesstrahl.
»Der Knabe wurde getauft auf den Namen seines Vaters – auf meinen Namen … Ich sah schaudernd in seine Augen – er hat die meinen – er und ich haben sie gemordet … Mein alter Diener Simon hat den Kleinen fortgetragen; ich kann nicht für ihn leben. Simon sagt – der Pfarrer auch – es werde sich kein Weib entschließen, meinem Kinde die Brust zu reichen, weil ich in den Augen des Volkes ein Verlorener, ein der Hölle Verfallener sei … Das Weib meines Forstwarts Ferber nährt den Kleinen jetzt, ohne zu wissen, von wem er stammt –«
Der Vorleser hielt inne und sah erstaunt über das Papier hinweg. Der Oberförster, der bis dahin, aufmerksam zuhörend, ihm gegenüber an der Wand gelehnt hatte, stand mittels einer raschen Bewegung plötzlich an seiner Seite und faßte krampfhaft seinen Arm. Sein braunes Gesicht war bleich geworden, als ob eine mächtige innere Erschütterung momentan seine Pulse stocken mache. Auch Ferber war mit allen Zeichen höchster Ueberraschung näher gekommen.
»Weiter, weiter!« rief endlich der Oberförster mit fast erstickter Stimme.
»Simon hat ihn auf die Schwelle des Forsthauses gelegt,« las Reinhard, »er hat heute gesehen, daß ihn die Ferberin hegt und pflegt, wie ihr eigenes Mägdlein … Nach den Gesetzen meines Hauses hat er keine Ansprüche an das Erbe derer von Gnadewitz, aber mein mütterliches Erbteil wird ihn vor dem Mangel schützen. Auf dem Rathause zu L. liegen meine Verfügungen, die ihn als meinen Sohn und Erben bestätigen. Mag er als Hans von Gnadewitz ein neues Geschlecht begründen: der Allmächtige möge mitleidige Herzen lenken, daß sie seine Jugend beschützen, ich kann es nicht! …
»Alles, was jene liebliche Hülle in glücklichen Tagen geschmückt hat, es soll sie auch im Tode umgeben, soll mit ihr vermodern. Auf die Kleinodien hat ihr Kind Anspruch, aber alles in mir empört sich, wenn ich denke, daß das, was auf ihrer glänzenden Stirn, ihrem reinen Nacken geruht hat, vielleicht durch treulose Hände auseinander gerissen und entweiht wird; eher soll es hier erblinden und verderben.
»Noch einmal wende ich mich an Dich, den vielleicht der Zufall erst nach Jahrhunderten in dies Heiligtum führt; ehre die Tote und bete für mich!
Jost von Gnadewitz.«
Die beiden Brüder reichten sich wortlos die Hände und traten an den Sarg. In ihren Adern kreiste das Blut jenes Wunderwesens, das einst den wilden, stolzen Junker in Liebesraserei entflammt, jenes Weibes, dessen glühende Seele, nach Freiheit lechzend, jubelnd dem vergötterten Leibe entfloh, der hier im engen zinnernen Schreine zu einem Häufchen Asche zusammensank … Da standen die zwei hohen Gestalten, die Abkömmlinge dessen, der, mit dem Weihkusse der sterbenden Mutter auf der Stirn hinausgetragen wurde in den Wald, auf die niedrige Schwelle des Dieners, während sein hochgeborner Vater verzweifelnd in den Tod ging.
»Sie war unsere Stammmutter,« sagte endlich Ferber tiefbewegt zu Reinhard. »Wir sind die Nachkommen jenes Findlings, dessen Abkunft ein Rätsel geblieben ist bis zu dieser Stunde; denn die Papiere, die das Kind in seine Rechte einsetzen sollten, sind mit dem Rathause zu L. ungelesen verbrannt … Wir müssen die Arbeit für einige Tage unterbrechen,« wandte er sich an den einen der Maurer, der in verzeihlicher Wißbegierde bis zur Mitte der Leiter herabgeklettert war und von diesem hohen Standpunkte aus in sprachloser Verwunderung die Aufklärung einer Geschichte mit anhörte, die noch in den Lindhofer Spinnstuben eine große Rolle spielte.
»Dafür aber sollt Ihr morgen auf dem Lindhofer Gottesacker ein Grab ausmauern,« rief der Oberförster hinauf; »ich werde gleich nachher mit dem Pfarrer Rücksprache nehmen.«
Er trat noch einmal an den Schrank und überblickte die Gewänder, die einst die feinen Glieder des Zigeunerkindes eingehüllt hatten und offenbar mit großer Genauigkeit in der Zusammenstellung aufgehangen waren, wie sie das entzückte Auge des Liebenden an der schönen Lila gesehen hatte. Auf dem Boden des Schrankes standen Schuhe. Der Oberförster nahm ein Paar derselben – sie bedeckten gerade seine breite Hand, es mußten wahre Aschenbrödelfüßchen gewesen sein, die darin gesteckt hatten.
»Die will ich der Else mitnehmen,« sagte er lächelnd und faßte sie behutsam mit Daumen und Zeigefinger. »Die wird sich wundern, daß ihre Urahne gerade solch ein Liliput gewesen ist.«
Ferber hatte unterdes die Mandoline vom Staube gesäubert und schob sie vorsichtig unter den Arm, während Reinhard den Juwelenkasten verschloß und ihn an der im Deckel angebrachten zierlichen Handhabe vom Tische hob. So stiegen die drei Männer die Leiter wieder hinauf. Droben wurden alle Bretter, deren man habhaft werden konnte, zum einstweiligen Schutze gegen Wind und Wetter über die Oeffnung im Plafond gedeckt, und dann trat man den Rückzug an.
Die Damen, die unterdes in großer Spannung am Fuße des Erkers gewartet hatten,