Ludwig Ganghofer

Das große Jagen


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du weit bist von meinem Herrgott und dich versündigst am rechten Glauben.«

      »Elend und Not kommt über mich, weil du fern bist von meiner Seligkeit. Du bist so weit von mir – schier sehen dich meine Augen nimmer.« Nach diesen Worten ein gellender Schrei ihrer Qual.

      Nicht dieser Schrei erschütterte ihn. Was ihm das Herz bedrückte, war der Blick der Liebe, der nach ihm dürstete aus ihren verstörten Augen. Wie ein Wahnwitziger keuchte er: »Schick mich den Höllenweg! Ich tu's, Martle, nur daß ich dich nimmer leiden seh! Soll ich dir einen holen von den Deinigen? Daß er dich tröstet?«

      Sie zog seine Hände an ihren Hals. »Mein Vater und meine Mutter haben mich verlassen, haben mich verstoßen. Von den anderen, die meine Geschwister sind in Gott, därf ich keinen beim Namen nennen. Magst du mir was zulieb tun, so hol mir mein Paradiesgärtl und tu mir's unter das Kissen legen. Dann ist mir leichter.«

      Christl sagte wie ein Gefesselter: »Ich tu mich versündigen für alle Ewigkeit. Wo hast du das Büchl?«

      Sie spähte gegen die Stubentür und lauschte. Dann zog sie ihn an sich und flüsterte an seinem Ohr: »In der Milchkammer steht die Kleienkist. Tief mußt du unter die Klei hinuntergreifen. Ganz unten ist das Mehlsäckel versteckt. Im Mehl, da findest du einen Pack. Sieben Lodenfleck sind drumgewickelt.« Ihre Augen begannen zu glänzen. »Da drinnen ist das heilige Büchl.«

      »Martle, ich muß es bringen.« Er sah ihr in die glücklichen Augen. So hatte sie ihn angesehen vor drei Jahren, am Hochzeitstag, als er nach dem Kirchenritt die junge Frau heruntergehoben hatte vom rotgesattelten Brautschimmel. Und während er hinaustaumelte durch die Stube, raunte er wie ein Verzweifelter: »Im Mehlsäckl! Jetzt hat sie's im Mehlsäckl. Und hundertmal hab ich das ganze Haus schon ausgesucht nach dem gottverfluchten Teufelsgut!«

      Als er das Buch – das evangelische Paradiesgärtlein des Johann Arndt – gefunden und aus den mehligen Lappen herausgewickelt hatte, mußte er draufspeien in seinem frommen Christenzorn. Erschrocken wischte er den Speichel wieder fort und hatte, als er in die Schlafkammer trat und sein Weib in Freude die Hände strecken sah, das quälende Gefühl: daß er nicht hätte beschimpfen sollen, was seinem Weibe heilig war. Sie selber schob das Buch unter das vom Schweiß ihrer Schmerzen durchnäßte Kissen. Nun streckte sie sich aus, faltete die Hände und sprach mit lächelnder Innigkeit die leisen Worte: »Vergeltsgott, du Lieber! So viel wohl ist mir jetzt. Gott verlaßt die Seinen nit, die zu ihm stehen in Treu und Redlichkeit.« Während Christl stumm sein lächelndes Weib betrachtete, als geschähe an ihr ein Wunder, klang ein hartes Pochen durch das stille Haus: Lewitter klopfte an der Schwelle den Schnee von den Schuhen. In Freude stammelte der junge Bauer: »Martle! Die Hilf ist da!« Er rannte in den Flur und wollte fast verzweifeln, weil Lewitter so lange brauchte, um sich aus dem Pelz herauszuschälen und auf dem Herd die Hände in heißem Wasser zu waschen.

      Mit der braunen Tasche ging Simeon in die Kammer und zündete, während er freundlich zu der Leidenden redete, eine hellbrennende Kerze an. Dann schloß er die Türe. Christl mußte in der Stube bleiben. In qualvoller Erwartung saß er auf der Ofenbank. Um einen Trost für sein hämmerndes Herz zu haben, nahm er sein Büberl aus der Wiege und sang mit erwürgter Stimme ein Schlummerlied, obwohl der Kleine aus dem festen Kinderschlafe gar nicht erwacht war. Zwischen den Strophen des Liedes stammelte er seine Stoßgebete, immer eines, mit dem er die Heiligen um Hilfe anbettelte für sein leidendes Weib, dann eines, mit dem er Gott um Verzeihung bat für die Todsünde, die er durch Förderung der Gottwidrigkeit einer Unsichtbaren begangen hatte. Da öffnete Lewitter die Kammertür. Er schien erregt zu sein. »Ich hab deinem Weib was geben können, was die Schmerzen lindert. Aber man muß die Hasenknopfin holen. Allein möcht ich auch nit bleiben. Kannst du nit einen Nachbar drum anreden, daß er zur Wehmutter geht?«

      »Wohl!« Christl preßte die Wange an das schlafheiße Gesicht seines Bübchens und legte das Kind in die Wiege. »Ich spring, was ich springen kann.« Durch den Schnee und über den Zaun hinüber. In dem Haus, an dem er pochte, wollte niemand erwachen. Oder war niemand daheim? Waren das auch solche, die sich unsichtbar machen in der Schneenacht? Über die Straße zum nächsten Haus. Hier wurde der alte Bauer wach und murrte in der Fensterluke: »Aus dem Markt will ich die Hebmutter holen. Der Hasenknopfin geh ich nit ums Leben ins Haus.«

      »Jesus, Jesus, ich brauch aber die Hasenknopfin.«

      »So mußt du selber nach Unterstein. Gelobt sei Jesus Christus und die heilige Mutter Marie.« Der alte Bauer schloß das Fenster und sagte in der Stube zu seinem Weib: »Jetzt muß der Haynacher auch nimmer rechtgläubig sein. Er hat den Fegfeuergruß versagt.« Christl hatte der gutkatholischen Antwort nur aus Schreck vergessen. Und während er sich besann, zu welchem Haus er nun rennen sollte, sah er von der Saline her einen Menschen durch die Mondhelle kommen. Im Schneelicht erkannte Christl den Jäger Leupolt Raurisser, mit der Feuersteinflinte unter dem Radmantel. »Jesus, Christbruder, was hast du für einen Weg?«

      »Zum Königssee.«

      »Gott sei Lob und Dank. Da mußt du durch Unterstein. Magst du nit der Hasenknopfin ausrichten, sie soll zur Haynacherin kommen, gleich! Magst du es tun?«

      »Gern, Bauer!«

      »Vergeltsgott tausendmal!« Das sagte Christl, während er schon davonsprang. Dann fiel ihm ein, daß er den Ablaßgruß vergessen hatte. Im Springen schrie er über die Schulter: »Gelobt sei Jesus Christus und die heilige Mutter Marie!«

      Leupolt gab keine Antwort. Rasch, mit federnden Schritten, wanderte er durch den Mondschein, aufwärts an der Ache. Der Schnee knirschte unter seinen eisenbeschlagenen Schuhen. Als er den Wald erreichte, fuhr ein Wildschweinrudel, das von den Untersteiner Sümpfen kam, an ihm vorüber und brach mit Knacken und Rauschen durch den Wald. Nun kam er wieder zu offenem Feld, kam zu den ersten Häusern von Unterstein. Das Haus der Hasenknopfin lag mitten im Dorf, an der Straße. Leupolt pochte. Es rührte sich was in der Stube, das Fenster wurde geöffnet, und eine leise Mädchenstimme fragte: »Was willst du?«

      »Die Hasenknopfin soll zur Haynacherin kommen.«

      Ein mißtrauische Zögern. »Die Mutter ist auswärts.«

      »Ich will zu ihr hinlaufen. Wo ist sie?«

      Das Mädel schwieg, weil es den Jäger im dunklen Mondschatten nicht erkannte. Da beugte Leupolt sich vor und flüsterte: »Es ist ein heilig Ding. Ist deins und meins. Tu reden, Schwester!«

      »Die Mutter ist bei der Kripp, in der das heilige Kindl hat liegen müssen.«

      Leupolt sprang über die Straße, hastete den verschneiten Wiesenhang hinauf und erreichte den Wald. Im schwarzen Schatten unter den Bäumen nahm er den Mantel ab, zog aus dem Bergsack ein weißes Leinenbündel heraus, schlüpfte in das Schneekleid der Unsichtbaren und verwahrte den Sack, das Hütl und die Flinte in den Stauden. Durch den Wald emporsteigend, kam er zu einer Lichtung. Zwischen den letzten Bäumen vernahm er das Schnalzen eines Eichhörnchens – das Wächterzeichen. Leupolt antwortete mit dem gleichen Laut. Wie hier, so war es in dieser weißen Nacht an vielen Orten des Berchtesgadnischen Landes, auf der Gern, zu Bischofswiesen und Ilsank, auf dem Toten Mann, in der Ramsau, am Taubensee und auf dem Schwarzeneck. Überall wanderten die Unsichtbaren, um Gottes Wort zu hören.

      Die geschulte Jägerei des Stiftes zählte in ihren Bezirken jedes hauende Schwein, jeden jagdbaren Hirsch und jede Gemse. Doch unter den fürstpröpstlichen Jägern wußte nur Leupolt Raurisser, wie viele Eichhörnchen in den Berchtesgadnischen Wäldern schnalzten.

       Inhaltsverzeichnis

      Auf der Waldlichtung lag ein Bauerngehöfte, still, mit schwarzen Balkenmauern unter dem weißen Schnee. Kein Laut, keine Spur von Leben. Viele Schrittfährten waren durch den frischgefallenen Schnee getreten, gegen das Gehöfte hin. Leupolt klopfte an der Haustür, dreimal und einmal. Die Tür wurde lautlos