Ludwig Ganghofer

Das große Jagen


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davongetrieben. Den Wenigen, so hieß es, die zu einem Ziel gekommen, hätte man ungesundes Sumpfgeländ oder dürren Sandboden zugewiesen, ohne Gerät und Bauholz, ohne Vieh und Zehrpfennig, ohne Beistand und Hilfe.

      Jene von den Unsichtbaren, die im Berchtesgadener Lande schon ans Wandern dachten, waren vor solchen Warnerstimmen so stutzig geworden, daß sie das müde Dulden in der Heimat dem härteren Elend in der Fremde vorzogen. Dann war in der letzten Neumondnacht ein heimlicher Botschaftsträger der Salzburger zum Toten Mann gekommen, hatte das üble Gerede vom Schicksal der Exulanten widerlegt, hatte alles Schwarze in schönes Weiß verwandelt und die gelästerte Wanderschaftshölle geschildert als einen freundlichen Himmel brüderlichen Erbarmens. Was war da Lüge, was Wahrheit? Die Widersprüche waren so schwer, daß auch die Vertrauensvollsten zur Vorsicht rieten. Man durfte, sei es im Guten oder Bösen, nicht jeder umlaufenden Botschaft glauben, mußte die eigenen Augen auftun. Zwei von den Verläßlichsten hatten sich zur verbotenen Wanderschaft gemeldet, der Mann der Hasenknopfin von Unterstein und der Christoph Raschp von der Wies: sie wollten ihr Leben dransetzen, um die Wahrheit zu erfragen. An der Grenze hatte man die beiden nicht gefaßt; sonst wären sie auf offenem Markt schon längst am Schandbalken gehangen. Nun waren sie schon in die dritte Woche auf der Wanderschaft, auf dem Wege zur Wahrheit. Was werden sie bringen? Den Trost einer neuen Hoffnung? Oder das hoffnungslose Sichbeugenmüssen? Diese Frage brannte in den Gedanken des Mannes mit der hölzernen Hand, während er hinaufsah zu den im Blau des Himmels wandernden Weißgestalten. Fröstelnd zog er den mit Pelz besetzten Hauskittel enger um die Brust und wollte die Arbeit beginnen. Weil er die Tür gehen hörte, drehte er das Gesicht über die Schulter.

      Die Sus brachte zwischen den Armen einen festen Pack Buchenscheite und ging zum Ofen.

      Der Meister lächelte. »Als hättst du erraten, daß mir kalt ist! Allweil spür ich deine treue Fürsorg.«

      Schweigend kniete das schlanke Mädchen beim Ofen nieder und schob ein Scheit ums andere in die rote Glut. Leuchtende Schimmerlinien säumten ihre Wange, das weißblonde Haar, die Schulter, den runden Arm und die Hüfte.

      »Wie fein das ist, wenn dich die Glut so anstrahlt! Könnt ich nur auch das Holz so schneiden, wie das Feuer den lebigen Körper nachzeichnet!« Er rückte einen hohen, dreibeinigen Stuhl, der etwas Verhülltes trug, in das Fensterlicht. »Ist das Kind noch droben?«

      Das Mädel, schon bei der Türe, schüttelte den Kopf. »Ums Tagwerden ist sie zur Frühmeß fort.«

      Es zuckte um den bärtigen Mund des Meisters. »Statt besser, wird's allweil ärger. So blaß und seltsam, wie in den letzten Tagen, ist sie noch nie herumgegangen.«

      Sus nickte. »Es muß was geschehen sein in ihr. Die halben Nächt lang hör ich sie beten. Oft ruft sie mich in der Finsternis, weil sie fürchtet, es täten böse Gespenster umgehen.«

      »Gespenster? Freilich, die gehen um. Bei Tag und bei Nacht. In allen Köpfen. Kein Wunder, daß jeder Mensch nach Trost und Beistand dürstet. Ich verdenk dem Kind den ruhlosen Kirchweg nit. Es sieht so aus, als könnt sie den Schreck nit vergessen, den uns der Muckenfüßl ins Haus geschmissen. Da wird sie von ihrer Seel den Zorn über den schlechten Nachbar wegbeten wollen, der uns im Pflegeramt vernadert hat.« Wieder das müde Lächeln. »Ist sie im richtigen Beten, so haben wir ein Stündl Zeit. Seit dem Sonntag ist's mit meinem Figürl nimmer aufwärts gegangen. Ich brauch dich wieder. Magst du das Wollkleid antun und kommen?«

      Mit einem Aufleuchten in den Augen ging das Mädel davon. Der Meister hob das grüne Tuch von seiner Arbeit und betrachtete das fast vollendete Werk. Auf ovaler Holzplatte war in doppelter Spannenlänge aus rotem Wachs ein Hochrelief herausgebildet: die Verkündigung, die Gottes Engel der Maria bringt. Aus den Lüften niederschwebend, reicht er der Auflauschenden die Rose über die Schulter herab. Zwischen den Flügeln, die straff gespreitet sind – so, wie Falken die Flügel stellen, wenn sie nach steilem Stoßflug sich niederlassen auf einen Baumwipfel – neigt sich der von Locken umfallene Engelskopf heraus, an dessen Antlitz der Meister die strenge Schönheit seines Kindes nachgebildet hatte, mit einem keuschen Zug ins Knabenhafte. Nur der Kopf, die Arme und Schultern des Engels mit den Schwingen wachsen plastisch aus der Holzplatte; von den Flügeln nach abwärts wird die Gestalt immer unkörperlicher und verschwindet unter dem Faltengewoge des Gewandes, das im Sturme zu flattern scheint und überrollt ist an allen Säumen. Im Gegensatz zu diesem Auslöschen alles Körperlichen hebt sich der schlanke, schwellende Mädchenleib der auflauschenden Jungfrau um so irdischer aus dem Bilde. Neben dem Webstuhl, von ihm abgewendet, sitzt Maria auf einem Schemel, die linke Hand noch am Weberschifflein, die rechte in Ergebung ausgestreckt zu einer innigen Geste des Empfangens. Dieser Körper lebte, hatte Atem, hatte Blut und Fleisch. Die schmiegsamen Falten des zarten Gewandes verrieten ihn mehr, als sie ihn verhüllten. Dazu ein fremdartig berührendes, kühl stilisierte Köpfchen, wie herausgenommen aus einem anderen Bilde und auf diesen Hals gesetzt, zu dem es nicht gehörte. Beim Beginn der Arbeit hatte Niklaus im Antlitz der Maria die Erinnerung an die Züge seines Weibes nachzubilden versucht, das vor Jahren aus Schreck über den verstümmelten Arm ihres Mannes gestorben war. Als Luisa das neue Werk des Vaters zum erstenmal betrachtete, sagte sie in ihrer strengen Weise: »Vater, das Gesichtl der Gottesmutter schaut nit himmlisch genug.«

      »So ist der Blick und das gute Lächeln deiner Mutter gewesen.«

      »Wie das gewesen ist, das weiß ich nit. Ich weiß nur, das Gesichtl der Gottesmutter ist unheilig. Das darfst du nit dreinschauen lassen wie beim Heimgart im Ofenwinkel. Du mußt es schauen lassen wie in seliger Gottesnäh.«

      Dem Kind zuliebe hatte der Meister geändert und verhimmelt, bis das Köpfchen verdorben war. Der strengen Prüferin gefiel es jetzt, für den Meister war es ein Makel, der ihm die Freude an seinem Werk verbitterte. Er war in die unzufriedene Musterung so versunken, daß er die Tür nicht gehen hörte. Die Schritte der Sus waren lautlos, ihre Füße nackt. Anstelle ihres Magdgewandes trug sie ein langes, lind gegürtetes Kuttenkleid von weißblauem Wollstoff, der sich ihrem Körper anschmiegte wie ein Schleier. Erst als sie den Schemel auf den Antritt stellte, sah der Meister auf. »Ich dank dir, gute Sus! Versuchen wir halt, ob's besser wird!«

      Das Mädel ließ sich wortlos auf den Schemel nieder und ordnete das linde Gewand. Von jedem Fältchen schien sie zu wissen, wie es liegen mußte. Schweigend begann der Meister die Arbeit, bei der seine Linke sich bewegte, als wäre sie fast so geschickt geworden, wie seine Rechte gewesen, die man ihm abgeschlagen hatte. Damals, wenn auch schon berührt von den Seelenkeimen der Zeit, war er doch immer noch gewesen, was man einen Katholiken hätte nennen können. Erst der Niklaus mit der hölzernen Hand war ein Unsichtbarer geworden.

      Immer rascher ging ihm die Arbeit vonstatten. An seinen glänzenden Augen war es zu merken, daß beim Schaffen die Freude wieder in ihm erwachte, der Glaube an sein Werk. Der Wahrheit des Lebens gegenüber wurde der junge Frauenkörper, den er formte, immer wärmer und wahrhafter. Einmal murrte der Meister im Eifer der Arbeit vor sich hin: »Ach Gott, mein Pfötl, mein dummes! Ich seh, wie ich's machen muß! Aber die unschickigen Finger erzwingen es nit!«

      Der unbeweglichen Sus rollten zwei große Tränen über den Mund. Sie schwieg. Weil sie wußte, daß es ihm die Arbeit entzweiriß, wenn sie sprach. Und immer müder wurde sie, immer schwerer ging ihr Atem.

      Als er Bild und Leben wieder einmal mit prüfendem Blick verglich, ging er plötzlich auf das Mädel zu und sagte: »Der Gürtel ist ein bißl gerutscht.« Er schob ihn um eine Fingerbreite höher gegen ihre Brust.

      Sie bekam ein glühendes Gesicht und fing zu zittern an.

      Eine Furche grub sich zwischen seine Brauen. »Geh, Mädel!« Das Wort hatte einen herzlich mahnenden Klang. »Tu verständig sein!« Nach einer Weile, als er wieder bei der Arbeit stand, sagte er zögernd: »Man muß sich gedulden.« Er sah die Sus nimmer an, und seine Hand war nimmer so flink wie zuvor. »Das wird nit ausbleiben, daß mein Kind sein Glück findet. Und daß ich wieder ein Einschichtiger bin, der auf niemand zu achten braucht.«

      Da fuhr die Sus erschrocken vom Schemel auf. »Sie kommt.« Hastig schob sie den Antritt gegen die Mauer und war schon zur Tür hinausgehuscht, bevor der Meister das Gesicht vom Fenster abwandte. Draußen