Ludwig Ganghofer

Das große Jagen


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einer plötzlich schräg über die Gasse hinüber. Immer war's wie der Wunsch, einem andern nicht Gesicht in Gesicht zu begegnen. Und grüßte der andere spöttisch: »Gelobt sei Jesus Christus und die heilige Mutter Marie!« – dann guckte der Ausweichende über die Schulter und antwortete noch viel lauter: »Von nun an bis in Ewigkeit Amen!« Man konnte, bevor man in der Marktgasse vom Pflegeramte bis zum Brunnen kam, ein paar Jährchen Fegfeuer von seiner Seele ablösen.

      Meister Niklaus, in der Erregung, die ihn durchwühlte, vergaß ein paarmal des vorgeschriebenen Grußes. Er wollte schon in das Gässelchen hinter der Stiftsmauer einbiegen. Da kam aus dem Stiftstor eine heiter schwatzende Gesellschaft. Vier von den jungen, adeligen Domizellaren, in weltlicher Tracht, umflattert von den pelzverbrämten Seidenmänteln, mit dreispitzigen Hütchen über den gepuderten Frisuren, begleiteten unter französischem Scherzgeplänkel eine junge Dame, die zwischen den behandschuhten Händen ein winziges Gebetbuch hielt. Auf hochgestöckelten Schuhen trippelte sie zierlich durch den Schnee. Der Föhnwind blähte den himmelblauen Samtmantel auseinander und bewegte den reichgebänderten Steifrock wie eine Glocke. Mit einem Busch von Reiherfedern saß ein Pelzkäppl schief über dem großen Lockenbau, von dem der Puder davonstäubte. Das reizvolle Grübchengesicht hatte ein rosiges Kreuzermäulchen, hatte schwarzgezeichnete Brauenbogen über den Veilchenaugen und trug zwei neckisch angebrachte Schönheitspflästerchen, das eine neben dem linken Mundwinkel, das andere hoch auf der rechten Wange. Vor dieser Dame salutierten die Musketiere mit den langen Feuersteinflinten. Das fröhliche Fräulein, dem sie diese fürstliche Ehre erwiesen, war die Nichte des Berchtesgadnischen Pflegers und Kanzlers v. Grusdorf, war Aurore de Neuenstein, die »Allergnädigste«, des Fürstpropstes standesgemäße Freundin en titre.

      Neben der französisch aufgeputzten Gesellschaft erschienen die Bürgersleute in ihrer veralteten Tracht wie das Volk einer Zeit, die sich verspätet hat um ein halbes Jahrhundert. Die Allergnädigste achtete bei ihrem heiteren Gezwitscher aufmerksam darauf, ob auch jeder Vorübergehende mit genügender Ehrerbietung grüßte und jede Bürgersfrau und jedes Mädchen bis zu pflichtschuldiger Tiefe hinunterknickste. Meister Niklaus weckte bei der jungen Dame ein munteres Verwundern. Hinter ihm herdeutend, zirpte sie mit ihrem Kinderstimmchen in französischer Sprache: »Schon wieder von den Rebellen einer, die ohne Ehrfurcht sind vor Gott und Obrigkeit!«

      Der Meister strebte flink in die enge Gasse hinein. Als er atemlos in die weiße Stube des Pfarrers trat, saß der Hochwürdige beim Frühstück und tunkte die gerösteten Weißbrotschnitten in die Milch. »Herzbruder? Sturm unter dem Haardach?«

      Niklaus sah die Türen an. »Hört uns niemand?«

      »Bei mir kannst du schreien wie ein Jochgeier. Jeder Backofen ist feinhöriger als meine Schwester.«

      »Weißt du, wer uns den Muckenfüßl ins Haus geladen hat?«

      »Das merkst du erst heut?« Der Pfarrer lachte. »Die übermäßig Frommen sind im Leben wie ein Pulverfäßl. Nie weiß man, wann die Bescherung in die Luft geht.«

      Kummervoll nickte der Meister. »Mein töriges Mädel hat heut den Namen des Leupolt ausgeschwatzt.«

      Der Pfarrer fuhr vom Sessel auf. »Das ist hart.« Dann fragte er, als wäre das eine Hoffnung: »Meinst du, sie war im Beichtstuhl?«

      »Das weiß ich nit.«

      Pfarrer Ludwig riß eine Tür auf und brüllte: »Franziskaaa!« Er kam zurück. »Meine Schwester wird's wissen. Jeden Morgen geht sie beichten. Um mich unverdächtiger vor Gott und den Chorkaplänen zu machen. Bei Gott gelingt es ihr, bei den Kaplänen nit.«

      Eine sechzigjährige Frau, halb Bäuerin, halb bürgerlich, kam in die Stube. Ein bißchen mißtrauisch grüßte sie den Meister und sah erwartungsvoll ihren hochwürdigen Bruder an. Durch die Muschel der Hände fragte der Pfarrer, ob das Luisichen heut wieder gebeichtet hätte? Franziska schüttelte den Kopf. »Heut nit. Heut nach der Frühmeß ist sie zum Chorkaplan Jesunder in die Wohnung gegangen. Des Jesunders alte Mutter hat am Fenster genäht. Gählings ist sie vom Fenster weg. Und wie das Kind aus dem Haus war, hat des Jesunders Mutter flink einen Weg gemacht. Zum Pfleger.« Eine tiefe Glocke schallte durch das Haus, so laut, daß es auch die Schwester Franziska hörte. Erst guckte sie flink in der Stube herum, ob da nicht irgend was Verdächtiges läge, dann ging sie, um die Flurtür zu öffnen.

      »Wenn's beim lieben Herrgott einmal auslaßt mit der Allwissenheit,« sagte der Pfarrer, »da braucht er nur meine Schwester fragen.«

      In Unruh stammelte der Meister: »Man muß dem Buben ein Wörtl schicken, daß er sich fürsieht.«

      »Das wird nit helfen. Der Leupolt ist von den Graden einer, die vor Wasser und Feuer nit ausweichen. Sonst könnt man ihm beibringen: er soll sich ausreden auf sein Wohlgefallen an deinem Mädel, soll sagen, er hätt die Warnung ausgesonnen, um einen Weg zum Luisichen zu finden. Aber der Bub wird das Eisenköpfl schütteln und die Wahrheit sagen. Verschweigt er was, so tut er es nur, um dich nit auch noch einzutunken. So oder so, man muß versuchen, ihm beizuspringen.«

      Da kam Franziska. »Der Hochwürdige soll zum Fürsten hinüber, gleich!«

      Der Pfarrer tat einen leisen Pfiff. »Herzbruder, die Kanon ist geladen.« Während er den Mantel nahm, schwatzte er lustig, um den Schreck der Schwester zu beruhigen. Draußen auf der Stiege zischelte er: »Spring hinüber zum Mälzmeisterhaus! Red mit des Leupolts Mutter!«

      »Das ist doch eine gut Katholische?«

      »Eben drum! Weil sie eine gute ist, drum hat sie das Herz auf dem rechten Fleck. Aller Zwist im Glauben kommt von den Halben und Falschen her. Ob Heid oder Jud, ob römisch oder evangelisch, was einer ganz und redlich ist, das macht in ihm den Menschen besser und aufrechter. Dem braven, gottesfrommen Weibl kannst du dich anvertrauen ohne Scheu. Dann such mich wieder auf!« Der Pfarrer umfaßte mit festem Druck die Hand des Freundes. »Mensch bleiben! Und denk an den Amsterdamer Singvogel! Man ist nit schuldig seiner selbst, nur schuldig seines falschen Wegs. Laß uns den rechten suchen!«

      Mit hämmerndem Herzen sprang der Meister hinter den Häusern in das Staudenwerk der Berglehne. Hier konnte er gedeckt zum Garten des Mälzmeisterhauses kommen, das an der Salzburger Straße lag. Die Hintertür stand offen, und als der Meister in die Küche trat, fand er die kleine, rundliche Frau Agnes beim Backofen beschäftigt. »Gelobt sei Jesus Christus und die heilige Mutter Marie!«

      »In Ewigkeit Amen!« antwortete die Mälzmeisterin, ohne sich umzugucken. Auf flacher Holzschaufel zog sie ein großes Zopfgebäck aus dem Backofen, bestrich es mit Eierklar, ließ es wieder in der duftenden Backhöhle verschwinden und schob das kupferne, von Blankheit spiegelnde Türchen zu. Auch alles andere Metall an den Wänden funkelte. Dieser Küche entsprach die Hausfrau in dem reinlichen Braungewand und der blauen Glockenschürze. Aus dem weißen Häubchen lugte das freundliche Frauengesicht heraus wie ein heiteres Nonnenantlitz. Trotz der fünfzig Jahre sah man in den zwei blonden Haarsicheln, die sich unter dem Häubchen hervorschwangen, noch keinen grauen Faden. Ihre Augen waren ganz die Augen des Sohnes, nur sanfter. »Soooo!« sagte sie und wandte sich. »Ooh, der Meister Niklaus!« Ein leises Lächeln. »Durchs Hintertürl?«

      »Deine muntere Stimm hören, tut wohl. Und da muß ich dir als unguten Dank eine Sorg bringen.«

      Ganz ruhig blieb sie. »Kram nur aus! Mit den Krabbelkäfern, die man Sorgen heißt, bin ich noch allweil fertig geworden.«

      »Ist einer von deinen Mannsleuten daheim?«

      »Keiner. Der meinige mit den zwei Jungbuben ist im Bräuhaus, und der Leupi ist am Königssee, in Barthelmä.«

      Niklaus atmete auf. Das gab Sicherheit für einen Tag. Solang die Sonne schien, war der See nicht befahrbar, erst in der Nacht, wenn der Frost das Eis wieder härtete. »Gott sei Dank!« Er zog die Gartentüre zu, schloß auch die Tür zum Flur und wollte den Riegel vorschieben.

      »Das nit!« wehrte Mutter Agnes. »Die Magd ist in der Tenn beim Bohnenklauben. Gute Ohren hat sie freilich. Müssen wir halt ein bißl Lärm machen.« Im Glutloch des Backofens entzündete sie ein Reisigbündel, legte die aufknisternde Flamme auf den offenen