Ludwig Ganghofer

Das große Jagen


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durch die Fensterscheiben. Von der Frühkälte waren Luisas Wangen wie Pfirsiche vor der Reife. Über den Zöpfen trug sie ein mit weißem Federtuff bestecktes spanisches Hütl, das noch aus der Mädchenzeit ihrer Mutter stammte. Der dunkelgrüne, an den Schultern aufgepuffte Radmantel verhüllte strahlig die schlanke Gestalt. Vorne guckten zwischen den Mantelsäumen die Spitzen der Handschuhe heraus, die Perlen des Rosenkranzes und ein blaues Gebetbuch mit schöner Silberschließe. »Gelobt sei Jesus Christus und die heilige Mutter Marie!«

      »Von nun an bis in Ewigkeit Amen!« Der Meister lächelte ein bißchen, nicht heiter. »Kind, du sagst den Ablaßgruß so oft, daß du aus dem Fegfeuer schon herauskommen mußt, noch eh' du drin bist.«

      Ein Zucken ihrer Augenbrauen bewies, wie sehr sie die unfromme Rede mißbilligte. Schweigend nahm sie das Hütl ab und trat an die Seite des Vaters. Als sie sein Werk betrachtete, schien ihr Unmut sich noch zu steigern. »Du hast das noch allweil nit geändert? Daß ihr der Engl ein Rösl bringt. Das geht nit, Vater! Es müssen die unschuldigen Lilgen sein.«

      Der Meister sagte geduldig: »Ich muß das wächserne Fürbild formen für das Holz. Aus dem spleißigen Holz ist ein Lilgenstengel nit herauszuschneiden, ohne daß er nit ausschaut, als wär's ein Besen. So eine Staud? Die tät mir doch jedes Verhältnis stören. Es ist ein Gesetz in aller Kunst –«

      »Die Kunst muß sich bescheiden vor dem Heiligen. Irdische Rosen hätt die Gottesmutter bei der Verkündigung nit genommen.«

      »So? Wer hat dir denn das gesagt? Dem kannst du ausrichten, er soll mich mein Holz schneiden lassen, wie ich glaub, daß es sein muß. Ich schwefel ihm auch nichts drein, wie er reden soll mit einem Beichtkind! So, wie mit dir? So nit! Aber ich red' ihm nichts drein.« Immer schärfer klang die Stimme des Meisters. »Obwohl ich als Vater verlangen könnt, daß mein Kind, wenn es heimkommt aus der Gottesnäh, für mich ein menschliches Wörtl findet und einen guten Blick. Von einem Lachen will ich schon nimmer reden. Das ist versunken in meinem Haus.«

      Luisa schien nicht zu hören, was der Vater sprach. Während sie sein Werk betrachtete, fingen ihre Wangen in Zorn zu brennen an. Gleich einer Verzweifelten sah sie auf und stammelte: »Vater! Gott verzeih dir die Sünd, was hast du denn da getan?«

      »Getan? Und Sünd? Ich weiß nit, was du meinst?«

      Ihre Lippen zuckten, als wäre ihr das Weinen nahe. »Es muß so sein, daß die Höll mit ihren bösen Mächten durch unser gutgläubige Haus gegangen ist. Ich hab von mir die Versuchung fortgebetet, wie sie gegriffen hat nach meinem Arm. Du, Vater, bist dem sündhaften Geist erlegen. Er hat den Segen von deiner Hand genommen, so daß du dein frommes Werk entheiligt und verdorben hast.«

      Erschrocken sah Niklaus in die fieberhaft glänzenden Augen seines Kindes. »Mädel, mein liebes? Bist du krank?«

      »Vater? Siehst du es nit?« Mit der zitternden Hand, um deren Finger die Perlenschnur des Rosenkranzes gewickelt war, deutete Luisa auf das rote Wachsfigürchen der Maria. »Das ist die reine, züchtige Gottesmutter nimmer, die ich allweil an deinem Werk gesehen hab. Was heilig gewesen, hast du verwandelt in ein sündhaftes Weib. Tät es über den Marktplatz laufen, so wär gleich einer da, der sagen möcht: ‚Du tust mir gefallen!‘« Aus ihren Augen fielen die Tränen. »Du mußt das wieder auslöschen. Oder dein Bildwerk ist verdorben. Es ist nichts Gutes mehr an ihm, als nur das fromme Köpfl der heiligen Mutter. Alles andere ist schlecht.«

      In Erregung griff der Meister nach dem Wachsmesser. Hätte er dem ersten Zorngedanken nachgegeben, so hätte er das leblos himmelnde Köpfchen der Marienfigur vom Halse geschnitten und gesagt: »Das ist das einzig Schlechte an meinem Werk. Alles andere ist gut.« Ein Blick in die angstvollen Augen seines Kindes machte ihn ruhiger. Er legte das Messer fort. »Komm, liebes Mädel! Du hast in der kalten Kirch gefroren. Wir wollen uns neben dem warmen Ofen auf das Bänkl setzen.«

      Sie entzog sich seinen Händen. »Tust du mir versprechen, daß du die Gottesmutter wieder heilig machen willst?«

      Er sagte unter klagendem Lächeln: »Ja, Kind! So heilig, als ich es fertig bring mit meiner hölzernen Hand.« Da duldete sie, daß er ihr das Mäntelchen von den Schultern nahm, das Gebetbuch aus ihrer Hand herauswand, die Perlenschnur von den Fingern wickelte und die Handschuhe von ihren Händen zog. Während er alles beiseite legte, ging sie schweigend zu dem braunen Bänkl, das neben dem wärmestrahlenden Ofen an der weißen Mauer stand und überglänzt war von einem Lichtband der Morgensonne. Er betrachtete sie. Trotz der kämpfenden Bitterkeit, die ihn erfüllte, hatte er seine Freude an ihrem schmucken Bild. Sie trug das Mädchenkleid ihrer Mutter aus einer Zeit, in der die französische Mode den spanischen Schnitt noch nicht verdrängt hatte. Die gelben Lederstiefelchen verschwanden unter den Falten des braunen Röckls, und zwischen den abstehenden Schoßzacken des Leibchens lugte der rote Miedersaum hervor. Gleich einer großen weißen Blume lag die gestickte Leinenkrause um den schlanken Hals, und auf dem jungen Busen hob und senkte sich das kleine Elfenbeinkreuz der Klosterschülerin. Sie hielt im Schoß die schlanken weißen Hände übereinander gelegt und sah mit den dunklen Augen, die einen heißen Schimmer hatten und voll Sorge waren, in Erwartung zum Vater auf.

      »Ach, Kind, wie lieb bist du anzuschauen!« sagte er herzlich. »Und wie viel Vaterfreuden könntest du mir schenken unter meinem Dach!« Er nahm ihre Hand und ließ sich neben ihr nieder. Weil er den Arm um ihre Schultern legen wollte, rückte sie von ihm fort. Da war auf seinen Lippen wieder das bittere Lächeln, in seinen Augen die Trauer. »Wir wachsen nit aneinander als Vater und Kind. Jeder Tag und jedes Stündl baut an der Mauer zwischen uns.«

      »Das ist nit meine Schuld.«

      »Wahr, Kindl! Was zwischen uns liegt, das hast du aus dem Kloster mit heimgebracht.«

      »Wider das Kloster darfst du nit schelten, Vater!«

      »Das tu ich nit. Ich mein' nur, die Zeit, in der wir uns nimmer gesehen haben, ist zu lang gewesen. Da hast du den Vater vergessen. Und das Denken an deine Mutter hat man in dir erlöschen lassen.«

      »So ist das nit. Es ist im Kloster kein Tag gewesen, an dem ich nit dreimal für dich gebetet, nit fünfmal zu meiner seligen Mutter gerufen hab um ihren Beistand.« Luisas Augen irrten gegen die Sonne hin. »Ich muß ihr den Himmel neiden. Im Himmel ist's besser als in der Tief, in der wir leiden.«

      Meister Niklaus verlor seine Ruhe. »Himmel! Und allweil Himmel! Nie ein Bröselein Welt! Das ist Elend! Man hat dir im Kloster mehr vom Himmel gesagt, als gut ist, und weniger von der Welt, als nötig wär. Wir alle, Kind, sind Menschen und müssen Wärm und Sonn, einen Trost und Freuden haben, wenn wir schnaufen sollen und nit ersticken.« Die Stimme zerbrach ihm fast. »Bist du denn nit mein Blut? Spürst du denn nit, daß ich dein Vater bin? Schau mich an! Bin ich nit schon ein halb Erwürgter? Willst du mir nit das bißl Sonnschein geben, das ich zum Schaffen brauch? Tu mich anlachen, nur ein einzigesmal! Oder ich muß verhungern, muß verfaulen bei lebendigem Leib!«

      Erschrocken sah sie ihn an und erhob sich. Heiße Glut übergoß ihre Wangen, um sich wieder zu verwandeln in wächserne Blässe. »Warum tust du nie so inbrünstig hinaufschreien zu Gott? Warum tust du ihm nit dein Herz hinbieten auf frommen Händen? Warum tust du nit abschütteln von dir, was dich wegzieht aus seiner Näh? Tät ich's machen wie du, ich wär verloren gewesen in einer sündhaften Nacht. Mein Gebet hat mich erlöst. Höll und Menschen haben nimmer Gewalt über mich.« Sie hob die Hände, und ein träumendes Lächeln irrte um ihren Mund – ein Lächeln, das sich ansah wie die Verzückung einer gequälten Seele.

      Mühsam atmend ließ Meister Niklaus seine Fäuste auf die Bank fallen – die Holzhand schlug wie ein Hammer auf. Ohne die Morgensonne zu spüren, die ihn umleuchtete, sah er stumm seine Tochter an. Nun stand er auf. »Streng bist du allweil gewesen, seit deiner Heimkehr in mein Haus.« Er zwang sich zu ruhigen Worten. »Seit drei, vier Tagen ist was Neues in dir. Das macht dich reden, daß ich es nimmer versteh.« Da mußte er an die Soldaten Gottes denken, und fast heiter konnte er fragen: »Kind? Bist du denn neulich in der Nacht so arg erschrocken –«

      Unter seinem Worte zuckend wie unter einem Nadelstich, drehte sie das erglühende Gesicht zu ihm und stammelte: »Ich wüßt nit, über was ich erschrecken