der Stier hatte von seinem zuerst erspähten Opfer, von mir, abgelassen, jetzt reizte die weiße Gestalt seine Wut, er stürmte gegen sie an, im nächsten Augenblick mußte er seine spitzen Hörner in ihren Leib gebohrt haben, dann sie in die Lüfte schleudernd …
Wie alles geschah, wußte ich später nicht mehr. Mit einem Male stand ich zwischen der Dame und dem Stier, eine der weggeworfenen Lanzen in der Hand – und dessen entsinne ich mich noch deutlich, daß ich ganz klar dachte: das ist Eschenholz, das Ding ist besser als mein silberner Zahnstocher — und dann hatte ich die Stahlspitze dem Stier vorn in die Brust gerannt.
Er stürzte nicht. Zwischen uns beiden entstand eine Art Zweikampf. Auf der einen Seite schob der Ochse, auf der anderen Seite schob ich – ich hatte mich zu stemmen, daß sich meine Füße immer mehr in den Sand einbohrten wie die Lanze ihm in die Brust – dabei bog sich der Eschenschaft wie eine Gerte – und dann brach er zusammen – und ich wurde von dem federnden Schafte in die Höhe geschleudert und kam in ein Veilchenbeet zu liegen.
Im nächsten Moment war ich wieder auf den Füßen, raffte im Sprunge eins der Schwerter empor und war wieder neben dem Stiere, der wälzend sich aufzurichten versuchte, dabei mit der aus der Brust hervorstehenden Lanze in der Luft herumfuchtelnd – und ich holte aus und stieß ihm den breiten Stahl seitwärts bis ans Heft in die Brust, dort, wo ich das Herz vermutete.
Da streckte er sich mit einem Röcheln, er war verendet.
Ich zog das Schwert wieder heraus, und so den blutigen Stahl in der Hand, wandte ich mich der Dame zu, und ich glaube sogar, ich habe dabei einen Kratzfuß gemacht.
»Haben Sie keine Bange, Fräulein, und entschuldigen Sie nur, daß ich …«
Unvergeßlich ist mir der Anblick, den sie bot. Sie stand noch genau so da, halb geduckt, die Hände etwas erhoben, um sie vors Gesicht zu schlagen, aber dieses hatte sich total verändert. Erst vor Todesangst entstellt, spiegelte sich jetzt das grenzenloseste Staunen darin wider, und so blickte sie mich mit weit geöffneten Augen an.
»Bei Thor und Odin!!«
Dieser Ausruf war es, der mich unterbrach, und er ist mir ebenso unvergeßlich, so oft ich ihn auch später noch zu hören belam.
»Bei Thor und Odin!!« wiederholte sie nochmals.
Sie machte sich von ihrem Gewande frei, und da kamen die römischen Ritter und Jungfrauen schon wieder zurück, sie mochten beobachtet haben, wie alles gut abgegangen war, und ein Geschnatter fing an, wie in einer Gänseherde.
Einer der gepanzerten Männer trat auf die Dame zu.
»O, Mylady,« beteuerte er mit der Hand auf der stählernen Brust, »wenn ich gewußt hätte, daß es nur ein einziger Ochse war, und daß Sie zurück … «
Er kam nicht weiter.
»Memme!!!«
Und gleichzeitig holte die Dame aus, und die zarte Hand fuhr dem römischen Ritter an die Backe, daß es knallte.
Dabei blieb es nicht.
»Ihr feigen Memmen, ihr Halunken, ihr Schufte, ihr Canaillen, ihr jämmerlichen Kaninchen … «
Plauz, plauz, plauz, ging es, und das Dämchen fuhr fort, unter den römischen Rittern und Zimbelspielern und Ehrenjungfrauen freigebig Maulschellen auszuteilen, ohne Ansehen der Person.
Ich merkte, daß ich hier ganz überflüssig war. Die besorgte alles allein. Auch gefiel mir diese Szene durchaus nicht. Sich prügelnde Frauenzimmer sind mir etwas Gräßliches. Wenn so etwas auf dem Tanzboden vorkommt, gehe ich immer mit dem Wassereimer dazwischen. Das konnte ich hier nicht.
Also ich ließ das Schwert fallen, steckte die Hände in die Hosentaschen, warf noch einen bedauernden Blick auf den prachtvollen Ochsen, von dem ich mir jetzt gern ein Stück zum Braten abgeschnitten hätte, und überschritt die niedergebrochene Bretterwand und lenkte meine Schritte über die Wiese wieder dem Wege zu.
Unterwegs blickte ich prüfend an meinem Anzug hinab. Gott sei Dank, er hatte nicht gelitten und zeigte auch keine Blutspuren. Wenn ich nur gewußt hätte, ob nicht etwa das Vorhemdchen und der Kragen von Marys Bräutigam mit Blut bespritzt waren, es war doch Sonntag, es wäre doch genierlich gewesen …
»Hallo, Sir!« erklang es da hinter mir, als ich eben wieder jene Eiche passierte.
Es war ein Diener, der mir nachgelaufen kam, kein römischer, sondern ein moderner, in reicher Livree. Das Kerlchen sah aus wie ein herausgeputzter Affe.
»Na?«
»Die Lady läßt den Herrn höflichst bitten, sich zurückzubegeben, sie möchte ihrem Retter danken.«
Ich überlegte nicht lange. Meine Neugier war doch rege geworden, zu erfahren, was für eine Bewandtnis es mit dieser römischen Milchwirtschaft habe. Und dann sollte die nicht etwa denken, ich könne nur einen Stier fällen, sonst aber sei ich zwei Meter langer Kerl ein schüchterner Mensch. O, ich war ein feiner Bengel, wenn ich’s nur sein wollte!
Also ich drehte um. Der geputzte Affe trippelte neben mir her.
»Wer war denn die Dame, die mit dem Thronsessel umfiel?« fing ich zu fragen an.
»Sie wissen wirklich nicht, wer das ist?« erklang es erstaunt.
»Na, sonst würde ich doch nicht erst fragen!« wurde ich gleich grob. Ich kann solch eine dumme Fragerei für den Tod nicht leiden. Hei, solch einen sollte ich einmal unter meinem Kommando an Bord haben! Mit dem würde ich aber längs fahren!
»Die Lady Blodwen von Leytenstone,« war jetzt die kleinlaute Antwort.
Mir gänzlich unbekannt.
»Haut die immer so?«
Der Diener duckte sich im Gehen gleich zusammen. Und dann versicherte er das Gegenteil.
»O, wir haben es hier sehr gut, können über nichts klagen.«
Es hatte das Gegenteil herausgeklungen. Es war eine Sklavenseele. Und mit dieser Erkenntnis kam mir das Bewußtsein, daß ich ein Steuermann war, der kraft seines internationalen Patentes den größten Dampfer über den Ozean führen durfte, und dieser Mensch neben mir ein Lakai, und daß es sich daher für mich nicht schickte, ihn über seine Herrin auszufragen.
Ja, ich konnte maßlos stolz sein! Ich machte wohl vor dem Mädel, das ich auf dem Tanzboden engagierte, einen Bückling, aber sonst hat wohl selten ein Mensch den Kopf so stolz im Nacken getragen wie ich damals! Nur der Kapitän, dem ich mich für eine gewisse Zeit verheuert, hatte über mich zu befehlen, sonst war ich keinem anderen Menschen auf der Erde Respekt schuldig. Und ich glaube, er ist gesund, dieser Stolz.
Wir durchschritten den Park. Viele Statuen, niedliche Tempelchen, auch die großen Wohngebäude, alle mit blendend weißen Fassaden, reich geschmückt mit Säulen, durchaus in römischem Stil gehalten. Eine richtige römische Villa.
Unter einer solchen verstand der alte Römer etwas anderes als wir heute. Sie entsprach unserem heutigen Schloß, welcher Begriff aber auch schon verdreht wird. Das Schloß, in dem Menschen wohnen, und das Türschloß haben ein und denselben Ursprung. Abgeschlossen … nämlich von der übrigen Welt. Ein Schloß muß seine Bewohner selbständig ernähren können, seine Mauern müssen Handwerker aller Art beherbergen.
Das verlangte der alte Römer auch von einer Villa. Villa bedeutet ja übrigens auch Stadt, richtiger Flecken, Gemeinde, und noch heute werden in Italien kleinere Städtchen Villas genannt.
Unsere heutigen Villas und Schlösser sind verständnislose Nachäffungen. Nur auf Rittergütern findet man noch das ursprüngliche Verhältnis, und dann besonders in der ›Residenz‹ des reichen Engländers, wo mindestens Hauslehrer, Hausarzt und Hauskaplan vorhanden sein muß.
Hier hatte ein Engländer seiner Residenz einmal das Aussehen einer altrömischen Villa gegeben; auch im persönlichen Aeußeren strebte man nach diesem Stile. Ich konnte dies alles recht wohl begreifen. Wenn ich Geld hätte, ich würde mein Leben auch nach meinem Geschmacke einrichten.